Eine vollständige Erstattung von Attestkosten im Antragsverfahren ist die Ausnahme. In vielen Fällen gelten sie als private Ausgaben zur Erfüllung der Mitwirkungspflicht. Mit den richtigen Stellschrauben lassen sich Kosten jedoch vermeiden, auf Behörden übertragen oder zumindest steuerlich kompensieren. Entscheidend ist, wer das Attest verlangt und wofür es benötigt wird.
Inhaltsverzeichnis
Grundprinzipien: Amtsermittlung vs. private Vorleistung
Behörden im Sozialrecht ermitteln den Sachverhalt grundsätzlich von Amts wegen. Sie dürfen und sollen medizinische Unterlagen selbst anfordern und die Beweismittel bestimmen. Die Mitwirkung der Betroffenen hat Grenzen, etwa wenn die Beschaffung nicht zumutbar ist oder die Behörde mit geringerem Aufwand selbst an die Informationen gelangt.
Bevor Sie kostenpflichtige Atteste privat beauftragen, klären Sie schriftlich, ob die Behörde die Unterlagen selbst einholt – und damit die Kosten trägt.
Beispiel Schwerbehindertenausweis (GdB)
Versorgungsämter schreiben die im Antrag benannten Ärztinnen und Ärzte in der Regel selbst an und holen Befundberichte ein. Wer freiwillig zusätzliche Atteste einkauft, trägt die Kosten meist selbst – außer die Behörde hat die Vorlage eines bestimmten Attests ausdrücklich verlangt.
1) Steuerliche Geltendmachung (Einkommensteuer)
Kosten für ärztliche Atteste und Fahrten im Zusammenhang mit Krankheit oder Behinderung können als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden. Sie wirken sich oberhalb der zumutbaren Eigenbelastung steuermindernd aus; deren Höhe richtet sich nach Einkommen, Familienstand und Kinderzahl.
Zusätzlich kommt – bei anerkanntem GdB – der Behinderten-Pauschbetrag in Betracht, der ohne Einzelnachweise gilt. Attest- und Fahrtkosten können zusätzlich zu diesem Pauschbetrag als außergewöhnliche Belastungen geltend gemacht werden, soweit sie die zumutbare Belastung übersteigen.
Praxis-Tipps:
Belege konsequent sammeln; der Zweck („für Versorgungsamt/sozialrechtliches Verfahren“) sollte auf der Rechnung erkennbar sein.
Auch Fahrtkosten zu Arztterminen und Gutachterstellen dokumentieren (Datum, Strecke, Anlass).
Pauschbeträge (Auszug): ab GdB 20: 384 €, GdB 50: 1.140 €, GdB 80: 2.120 €, GdB 100: 2.840 €; bei Merkzeichen Bl/TBl/H: 7.400 €.
2) Unterstützung durch Sozialverbände (VdK, SoVD)
Verbände erstatten Attestkosten in der Regel nicht direkt. Sie sparen aber Geld, weil sie präzise sagen können, welche Unterlagen wirklich nötig sind – teure, überflüssige Gutachten lassen sich so vermeiden.
Im Widerspruchs- und Klageverfahren vertreten sie Mitglieder, achten darauf, dass erforderliche Gutachten von den richtigen Stellen beauftragt werden und nicht privat auf Ihrer Rechnung landen. Der Mitgliedsbeitrag ist im Vergleich zu Anwaltskosten gering.
3) Rechtsschutzversicherung (Baustein Sozialrecht)
Der Sozial-Rechtsschutz greift typischerweise erst ab Widerspruch oder Klage. Dann werden Anwalts- und Gerichtskosten sowie gerichtlich oder amtlich angeforderte Gutachten übernommen. Atteste aus dem reinen Antragsverfahren sind häufig nicht versichert. Bedingungen im Vertrag prüfen!
4) Kostenübernahme durch andere Träger
Wird ein Bericht von einem Träger (z. B. Deutsche Rentenversicherung, Agentur für Arbeit) im Rahmen von Reha-/Teilhabe- oder Eingliederungsmaßnahmen angefordert, rechnet die Arztpraxis üblicherweise direkt mit dem Auftraggeber ab. Selbst privat bestellte Atteste fallen nicht darunter. Darum stets vorab klären, wer Auftraggeber und Kostenträger ist.
Spezialsituation Jobcenter: Atteste für Mehrbedarf & Co.
Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung
Verlangt das Jobcenter eine ärztliche Bescheinigung (z. B. zur Anlage MEB), handelt es sich um ein behördliches Verlangen. In der Praxis werden kurze Bescheinigungen nach GOÄ-Nr. 70 anerkannt; erstattungsfähig ist hier erfahrungsgemäß nur ein geringer Betrag (Regelfall: 5,36 € beim 2,3-fachen Satz).
Für umfangreiche Berichte soll das Jobcenter seinen Ärztlichen Dienst einschalten – höhere Attestkosten werden in der Regel nicht übernommen.
Merke: Fordert das Jobcenter einen Nachweis, bestehen Sie auf der kurzen Bescheinigung (GOÄ 70) und beantragen Sie vorab die Kostenübernahme bzw. Aufwendungsersatz.
Wege-/Reiseunfähigkeitsbescheinigungen & andere Sonderatteste
Verlangt die Behörde spezielle Bescheinigungen (z. B. Wegeunfähigkeit), beantragen Sie schriftlich Aufwendungsersatz und bitten Sie um behördliche Beauftragung oder die Einschaltung des Ärztlichen Dienstes. Fordert die Behörde mehr als eine kurze Bescheinigung, muss sie den weitergehenden Nachweis selbst beauftragen.
GdB-Verfahren: Unterlagen beilegen – aber nicht alles selbst kaufen
Für GdB-Anträge gilt: Ärzteliste im Antrag ausfüllen, die Behörde fordert Befundberichte dort selbst an. Zusätzliche, selbst beschaffte Atteste sind freiwillig und kostenpflichtig. Nutzen Sie vorrangig Ihr Recht auf eine kostenlose Erstkopie Ihrer Patientenakte; oft genügt ein prägnanter Befundbericht statt eines teuren Privatgutachtens.
Kosten steuern: So reden Sie mit der Arztpraxis
- Abrechnungsgrundlage klären: Fragen Sie nach den GOÄ-Ziffern. Für eine kurze Bescheinigung kommt meist GOÄ 70 in Betracht; Befund-/Krankheitsberichte laufen über GOÄ 75, gutachtliche Stellungnahmen über GOÄ 80/85 – diese sind deutlich teurer.
- Bestellerprinzip beachten: Wer anfordert, zahlt. Privat gewünschte Atteste sind Privatrechnungen; behördlich bestellte Berichte rechnet die Praxis mit dem Auftraggeber ab.
- Kostenübernahme schriftlich sichern: Wird ein spezielles Attest verlangt, bitten Sie vorab um Kostenübernahme oder behördliche Beauftragung; verweisen Sie auf Ihre Mitwirkung und die Pflicht der Behörde zur Amtsermittlung.
- Erst Patientenakte anfordern: Nutzen Sie die Möglichkeit der kostenlosen Erstkopie Ihrer Patientenakte. Häufig reicht daraus ein knapper Befund – ein teures Zusatzgutachten ist dann überflüssig.
Ratenzahlung anfragen: Wenn private Kosten anfallen, sind Raten oft möglich.
Häufige Fehler – und wie Sie sie vermeiden
- Teures Privatgutachten beauftragt, obwohl die Behörde selbst ermitteln muss – besser Schweigepflichtentbindung erteilen und die Behörde anfordern lassen.
- Falscher Nachweis fürs Jobcenter: Statt „ausführlichem Gutachten“ genügt oft die kurze Bescheinigung (GOÄ 70) – nur diese wird üblicherweise erstattet.
- Steuerchance verschenkt: Belege nicht gesammelt, Fahrten vergessen oder den Behinderten-Pauschbetrag nicht genutzt.
- Kopierkosten bezahlt, obwohl die Erstkopie der Patientenakte kostenfrei ist – erst diesen Anspruch nutzen, dann weitersehen.