Witwenrente nach 19 Tagen Ehe โ Sozialgericht Berlin erkennt Anspruch an
Das Sozialgericht Berlin (Aktenzeichen: S 11 R 5359/08)ย entschied in einem Fall , dass auch nach einer Ehe von nur 19 Tagen ein Anspruch auf Witwenrente besteht.
Obwohl der Rentenversicherte zum Zeitpunkt der Eheschlieรung bereits lebensbedrohlich erkrankt war, konnte die Klรคgerin erfolgreich aufzeigen, dass die Ehe nicht primรคr aus Grรผnden der Versorgung geschlossen wurde.
Entscheidend war dabei ein jahrelanges Scheidungsverfahren, das eine frรผhere Heirat verhindert hatte.
Hintergrund: Die gesetzliche Regelung zur Witwenrente
Grundsรคtzlich wird bei einer Ehe von weniger als einem Jahr die gesetzliche Vermutung einer sogenannten Versorgungsehe angenommen.
Dies bedeutet, dass der Hauptzweck der Ehe in der Absicherung der hinterbliebenen Person gesehen wird.
Ein Anspruch auf Witwenrente besteht in solchen Fรคllen meist nicht. Allerdings sieht das Sozialgesetzbuch (SGB VI, ยง 46 Abs. 2a) die Mรถglichkeit vor, diese Vermutung zu widerlegen, wenn besondere Umstรคnde nachgewiesen werden kรถnnen.
Der Fall: Ehe trotz schwerer Krankheit geschlossen
Im vorliegenden Fall heiratete die 58-jรคhrige Klรคgerin im August 2007 ihren schwer erkrankten Partner im Krankenhaus.
Nur 19 Tage nach der Hochzeit verstarb der 60-jรคhrige. Die Deutsche Rentenversicherung Bund lehnte den Antrag auf Witwenrente jedoch ab und berief sich auf die gesetzliche Annahme einer Versorgungsehe.
Besondere Umstรคnde widerlegen Versorgungsehe
Das Sozialgericht Berlin gab der Klรคgerin nach einer ausfรผhrlichen Prรผfung der Sachlage recht. Maรgeblich war dabei, dass die Eheschlieรung nicht allein zur Absicherung der Klรคgerin erfolgte.
Ein Grund war, dass der Versicherte bis 2006 noch in einer anderen Ehe gebunden war, deren Scheidungsverfahren sich รผber Jahre hinwegzog.
Obwohl die Scheidung bereits 2001 eingeleitet wurde, erlangte sie erst 2006 Rechtskraft, was eine frรผhere Heirat verhinderte.
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Langjรคhrige Partnerschaft und Vorbereitungen auf Ehe entscheidend
Zusรคtzlich konnte die Klรคgerin belegen, dass sie und ihr spรคterer Ehemann schon seit 2003 in einer eheรคhnlichen Gemeinschaft lebten.
Sie hatten gegenseitige Testamente, eine Patientenverfรผgung und Bankvollmachten eingerichtet โ alles Anzeichen, die auf eine langfristige Planung der gemeinsamen Zukunft hinwiesen.
Auรerdem holte die Klรคgerin bereits vor der Diagnose des Partners Informationen zu einer Eheschlieรung ein, was ebenfalls gegen die Annahme einer Versorgungsehe sprach.
Gesamtwรผrdigung aller Umstรคnde รผberzeugt Gericht
Das Sozialgericht stellte klar, dass die entscheidende Frage, ob es sich um eine Versorgungsehe handelt, nicht allein auf der Krankheitsdiagnose basiert. Vielmehr mรผssen alle relevanten Umstรคnde im Einzelfall bewertet werden.
In diesem Fall รผberwogen die Grรผnde, die eine Ehe aus Liebe und Partnerschaft belegen, sodass die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe widerlegt wurde.
Die Klรคgerin erhielt daher Anspruch auf die Witwenrente.
Relevante Rechtsgrundlage: ยง 46 Abs. 2a SGB VI
Die Entscheidung basiert auf ยง 46 Abs. 2a SGB VI. Dieser Paragraf schlieรt den Anspruch auf Witwenrente aus, wenn die Ehe weniger als ein Jahr bestand, es sei denn, besondere Umstรคnde belegen, dass die Heirat nicht รผberwiegend der Versorgung diente.
In diesem Fall erkannte das Gericht die langjรคhrige Bindung und die durch รคuรere Faktoren verzรถgerte Eheschlieรung als solche besonderen Umstรคnde an.
Anmerkung Detlef Brock
Verwitweter Ehemann hat Anspruch auf Witwenrente trotz Nothochzeit im Krankenhaus – SG Berlin,Urteil vom 18.03.2024 – S 4 R 618/21- Berufung anhรคngig beim LSG Berlin- Brandenburg- Az. unbekannt
Deutsche Rentenversicherung: Versorgungsgedanke war Hauptmotiv der Eheschlieรung
Die Deutsche Rentenversicherung lehnte den Antrag auf Witwerrente ab.
Die Begrรผndung:
Das Gesetz gehe bei einer Ehe, die weniger als ein Jahr gedauert hat, davon aus, dass der รผberwiegende Zweck der Eheschlieรung die Versorgung durch eine Hinterbliebenenrente war. Schon zum Zeitpunkt der Eheschlieรung wรคre absehbar gewesen, dass die Krankheit der Versicherten bald zu ihrem Tod fรผhren wรผrde.
Dem ist das SG Berlin nicht gefolgt – Vermutung von ยง 46 SGB Abs. 2a VI greift vorliegend nicht ein
Die Klage hatte Erfolg. Die 4. Kammer des SG Berlin hob die Entscheidung der Beklagten auf und verurteilte diese zur Rentenzahlung.
Folgende Grรผnde bewegte das Gericht, nicht der Auffassung des Rentenversicherungstrรคgers zu folgen
Die Vermutung von ยง 46 SGB Abs. 2a VI kann der Witwerrente entgegenstehen.
Aber diese Vermutung ist wiederlegbar
Nach Auffassung des Gerichts, gelte das aber nicht, wenn besondere Umstรคnde die gesetzliche Vermutung entkrรคften.
Hier betonte die Kammer, dass die angehenden Ehepartner schon vor Bekanntwerden der endgรผltigen Diagnose konkrete Heiratsplรคne hatten.
Versorgungsgedanke nicht รผberwiegender Zweck der Ehe
1. Entschluss zur Eheschlieรung deutlich vor Bekanntwerden der endgรผltigen Krebsdiagnose
2. Hochzeitsvorbereitungen als Beleg: Dies belegen der Kammer zufolge die Hochzeitsvorbereitungen im September 2019, wie etwa die Anmietung der Rรคume oder die Beantragung eines Termins beim Standesamt einen Monat spรคter.
3. Auch fรผr die fรผr vorgezogene Trauung hab es einen Grund
So bekrรคftigte der Klรคger, dass der Hauptgrund fรผr das Vorziehen des Hochzeittermins die Einschrรคnkungen aufgrund der Corona Pandemie sein.
Das Urteil ist nicht rechtskrรคftig. Der beklagte Rentenversicherungstrรคger wendete sich mit einer Berufung an das LSG Berlin-Brandenburg.