Witwenrente ohne Begründung zurückgefordert

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Schlimm genug, wenn die Rentenversicherung die Rente zurückhaben möchte. Enthält der Rückforderungsbescheid aber nicht einmal eine Begründung, weiß man gar nicht mehr, woran man ist.

Dass das so nicht geht, entschied das Sozialgericht Berlin im Fall eines vom DGB Rechtsschutz vertretenen Witwers, der über 8.000 € zurückzahlen sollte.

Um was ging es?

Der über 80-jährige Kläger bezieht eine Witwerrente, die die beklagte Rentenversicherung im Jahr 2019 für die Zeit ab 2018 neu berechnete und in Höhe von 530 € auszahlte.

2020 stellte die Beklagte erneut einen Fehler in ihrer Berechnung fest und sah sich rückwirkend ab 2015 nur noch verpflichtet, monatlich 267 € zahlen zu müssen.

Grund dafür war die Anrechnung weiteren Einkommens des betagten Klägers, unter anderem aus Tantiemenzahlungen für die Schauspieltätigkeit seiner verstorbenen Ehefrau, die dem Kläger von einer Rechte-Verwertungsgesellschaft zugeflossen waren. Über 8.000 € sollte der Mann nun zurückzahlen.

Der Widerspruch gegen den Rückforderungsbescheid blieb erfolglos

Die anschließend vom DGB Rechtsschutz Berlin erhobene Klage beim Sozialgericht endete zugunsten des Betroffenen. Das Gericht erklärte den Renten-Rückforderungsbescheid bereits formal für fehlerhaft und damit rechtswidrig.

Die gesetzlichen Grundlagen

Selbst wenn ein früherer (positiver) Bewilligungsbescheid von Anfang an rechtswidrig ist, muss die Behörde sich an die gesetzlichen Regeln des § 45 SGB X halten. Gemäß § 45 Abs. 2 S. 1 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist.

Der Vertrauensschutz greift nicht immer

Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte allerdings nicht berufen, wenn einer der in § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 1-3 SGB X aufgeführten Fälle vorliegt:

  • er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,
  • der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder
  • er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

Der Aufhebungsbescheid nahm keinen Bezug auf den konkreten Fall

Das Sozialgericht stellte jedoch fest, dass der Rückforderungsbescheid hierzu keinerlei Begründung enthielt, die auf den Fall des Klägers Bezug nimmt. Deshalb sei die Aufhebungsentscheidung mangels tragfähiger Begründung rechtswidrig, heißt es im Urteil.

Dem Bescheid sei lediglich zu entnehmen, dass der frühere Bescheid nach § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 bis 3 SGB X zurückgenommen werde, womit für den Adressaten völlig unklar bleibe, auf welche konkrete Regelung sich die Aufhebung beziehe und warum deren Voraussetzungen vorliegen sollten.

Der Rückforderungsbescheid weise zwar darauf hin, die Fehlerhaftigkeit des früheren Bewilligungsbescheides „beruhte auf unvollständigen Angaben”. Das stelle aber eine bloße Wiedergabe des Gesetzeswortlauts ohne jeglichen Bezug zwischen konkretem Sachverhalt und gesetzlicher Vorschrift dar.

Auch der Widerspruchsbescheid enthielt keine Begründung

Auch der Widerspruchsbescheid enthalte zur Aufhebungsentscheidung überhaupt keine Ausführungen. Auch wenn an das Erfordernis, einen Bescheid zu begründen keine überspannten Anforderungen zu stellen seien, so müsse dem Bescheid im Falle einer Aufhebung nach § 45 Abs. 2 SGB X jedoch wenigstens zu entnehmen sein, weshalb der Betroffene sich nicht auf Vertrauensschutz berufen könne und welcher Vorwurf ihm im Sinne des § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 1-3 SGB X gemacht werde.

Denn ansonsten wäre dieser nicht in der Lage, sich gegen die Aufhebungsentscheidung angemessen zu verteidigen.

Die Amtsermittlung gilt nicht grenzenlos

Das Gericht sei im Rahmen der Amtsermittlung nicht verpflichtet, die von der Beklagten unterlassenen Ermittlungen selbst einzuleiten, um die Aufhebungsentscheidung erstmals mit einer tragfähigen Begründung zu versehen.

Die Behörde könne im Rahmen des Verfahrens durchaus Gründe „nachschieben“. Allerdings sei auch das an rechtliche Vorgaben geknüpft. Hinsichtlich eines solchen Nachschiebens von Gründen gebe es bei belastenden Verwaltungsakten Einschränkungen, wenn die Verwaltungsakte dadurch in ihrem Wesen verändert würden und Betroffene infolgedessen in ihrer Rechtsverteidigung beeinträchtigt werden könnten.

Umfassende Ermittlungen muss das Gericht nicht einleiten

Ausgehend davon sei in reinen Anfechtungssachen wie hier das Nachschieben eines Grundes durch die Behörde regelmäßig unzulässig, wenn dies umfassende Ermittlungen seitens des Gerichts erfordere, die Behörde ihrerseits keine Ermittlungen angestellt habe und der Verwaltungsakt hierdurch einen anderen Wesenskern erhalte.

Dann hätte nämlich der angefochtene Verwaltungsakt – bei einem entsprechenden Ergebnis der Ermittlungen – mit einer wesentlich anderen Begründung Bestand.

Im Fall des Klägers hätte das Gericht weiter ermitteln müssen, wann dem Kläger der Zufluss der Tantiemenzahlungen bekannt war und ob er es fahrlässig unterlassen hatte, dies mitzuteilen.

Erst damit wäre die Grundlage für eine Entscheidung geschaffen worden, ob die Aufhebungsentscheidung der Rentenversicherung Bestand haben könnte. Das hätte aber das Wesen des angegriffenen Verwaltungsaktes verändert, der darüber keinerlei Aussagen enthalten hatte.

Die Beklagte selbst hätte die Aufklärung betreiben müssen

Es handele sich dabei nicht nur um eine Ergänzung des Sachverhalts, auf den die Beklagte ihre Entscheidung gestützt habe, sondern um die umfassende Prüfung einer maßgeblichen Voraussetzung für die angefochtene Aufhebungsverfügung, welche die Beklagte bisher nicht ermittelt hatte und deren Prüfung und Aufklärung in tatsächlicher Hinsicht von ihr durchzuführen war.

Es sei Aufgabe des Gerichts, im Rahmen einer Anfechtungsklage die Entscheidung des Sozialversicherungsträgers zu überprüfen, nicht aber die Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts erst zu schaffen.

Fazit

Da die Voraussetzungen nach § 45 SGB X im hiesigen Fall nicht erfüllt waren, gab das Gericht der Klage statt und hob den angefochtenen Bescheid auf. Die Neuberechnung für die Zukunft beanstandete das Gericht demgegenüber nicht. Der Kläger wird daher fortan mit einer niedrigeren Witwerrente leben müssen.

Für die Vergangenheit wird er das Verfahren aber unbeschadet überstehen können, denn angesichts des zwischenzeitlich eingetretenen Zeitablaufes kommt eine Wiederholung der Rückforderung durch die Beklagte mit einem neuen Bescheid kaum noch in Betracht. Die Fristen dafür sind zwischenzeitlich abgelaufen. (AZ: S 19 R 964/21)