Rente: Der Rentenerhöhungsmonat klaut Zuschlag – Rentner klagte

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Eine scheinbar kleine Differenz von knapp 16 Euro brachte den Rentner Herbert K.* bis vor das Sozialgericht Dortmund. Zum 1. Juli 2023 stiegen bundesweit die gesetzlichen Renten – im Westen um 4,39 Prozent, im Osten sogar um 5,86 Prozent.

Für Herbert K. bedeutete das exakt 15,82 Euro mehr im Portemonnaie. Die Stadt Dortmund, die ihm ergänzend Grundsicherung zahlt, zog diesen Mehrbetrag allerdings schon Ende Juni von seiner für Juli bewilligten Hilfe ab. K. fühlte sich um Geld gebracht; er bekomme die erhöhte Rente schließlich erst am 29. Juli. Also klagte er.

Es prallen zwei Zahlungskalender aufeinander

Der Konflikt liegt im unterschiedlichen Timing zweier Sozialleistungen. Nach § 44 Abs. 4 SGB XII wird die Grundsicherung „monatlich im Voraus“ ausgezahlt – in der Praxis am letzten Bankarbeitstag des Vormonats.

Die Rente hingegen fließt – abgesehen von Altbeständen – erst am letzten Bankarbeitstag des laufenden Monats; die Juli‑Rente landet also Ende Juli auf dem Konto.

Treffen beide Systeme aufeinander, entsteht in Rentenerhöhungsmonaten eine Lücke: Der Sozialhilfeträger kennt den höheren Rentenbetrag bereits, zahlt aber früher; der Rentner erhält das Geld erst Wochen später.

Durfte die Stadt Dortmund die erhöhte Rente schon anrechnen?

Ja, entschied das Sozialgericht Dortmund (Az. S 43 SO 405/23). Die Kammer verwies auf das Einkommen‑und‑Bedarfs‑Prinzip des Sozialhilferechts: Maßgeblich sind die „laufenden Einnahmen des gesamten Monats“, gleichgültig wann sie eintreffen.

Eine „temporäre Unterdeckung“ müsse hingenommen werden, solange das Monatsergebnis stimme.

Das Gericht stützte sich auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur sogenannten modifizierten Zuflusstheorie und auf das Bundesverfassungsgericht, das kurze Unterdeckungen für verfassungsgemäß hält, solange der Gesamtbedarf im Monat gedeckt ist.

Zugleich verwies es darauf, dass der Gesetzgeber 2015 eine frühere Sonderregel (§ 44 Abs. 1 Satz 4 a. F. SGB XII), die solche Anrechnungen einschränkte, bewusst aufgehoben hat.

Was bedeutet „temporäre Unterdeckung“ konkret?

Unterdeckung heißt, dass Betroffene einige Wochen mit weniger Geld als dem gesetzlichen Regelbedarf auskommen müssen. Laut Bundessozialgericht sei das verfassungsrechtlich zulässig, sofern der Fehlbetrag „unterhalb des Bedarfs für einen Kalendertag“ bleibe oder im Folgemonat ausgeglichen werde.

Das Sozialgericht übertrug diese Linie: Die 15,82 Euro fehlten Herbert K. zwar ab 1. Juli, stünden ihm aber spätestens am 29. Juli voll zur Verfügung – ein hinnehmbarer Zeitraum.

Welche Folgen hat das Urteil für andere Rentnerinnen und Rentner?

Für alle, die neben der gesetzlichen Rente Grundsicherung beziehen, gilt: Kommt es zu einer Rentenerhöhung, verrechnet der Sozialhilfeträger den neuen Betrag sofort – meistens schon in der Zahlung Ende Juni. Im Juli fällt die Grundsicherung deshalb niedriger aus; erst mit dem Rentenzugang gegen Monatsende gleicht sich das Minus aus.

Das Dortmunder Urteil bestätigt diese Praxis und schränkt Klagemöglichkeiten ein, weil es sich auf gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung stützt.

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Was können Betroffene trotzdem tun?

Wer durch die Verschiebung in finanzielle Engpässe gerät, kann beim Sozialamt einen Vorschuss nach § 44 Abs. 5 SGB XII oder ein Darlehen nach § 37 SGB XII beantragen.

Auch eine vorübergehende Stundung von Miet‑ oder Energieabschlägen lässt sich mit Vermietern beziehungsweise Versorgern oft vereinbaren, wenn die Zahlungslücke nachweisbar ist. Beratungsstellen der Wohlfahrtsverbände verweisen zudem auf zinsfreie Kredite der Deutschen Rente zur Überbrückung außergewöhnlicher Härten.

Sozialverbände fordern seit Langem, Rentenzahlung und Grundsicherung zeitlich anzugleichen, um administrative Reibungsverluste und Belastungen für Bedürftige zu vermeiden.

Solange die Rente aber traditionell am Monatsende kommt – ein Termin, der historisch auf Verwaltungsabläufe des Renten‑Service zurückgeht – und die Grundsicherung bewusst im Voraus gezahlt wird, bleibt die Lücke systemimmanent.

Ob eine Reform gelingt, ist offen; die Bundesregierung hat bisher nur das Prüfvorhaben „Sozialleistungen digital synchronisieren“ angekündigt.