Keine Witwenrente: Versorgungsehe auch nach der Heirat

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Wenn eine Ehe weniger als ein Jahr angedauert hat, mรผssen wichtige Grรผnde vorliegen, damit die Rentenversicherung eine Hinterbliebenenrente bewilligt. Denn die Betroffenen mรผssen den Verdacht ausrรคumen, dass die Versorgung nach dem Tod das entscheidende Motiv fรผr die Heirat war.

Keine Versorgungsehe bei unvorhersehbarem Tod

Bei unvorhersehbaren Toden (wie zum Beispiel einem Verkehrsunfall) wird eine Witwenrente auch bei Ehedauer unter einem Jahr bewilligt. Liegt jedoch bereits beim Eheschuss eine schwere Erkrankung vor, so steigt die Beweislast fรผr die Hinterbliebenen dafรผr, dass Versorgung nicht die Hauptrolle fรผr die Heirat spielt, mit dem Todesrisiko an.

Pflegebedรผrftigkeit und schwere Erkrankungen

Die Aspekte werden im Einzelfall abgewogen. Das kann kompliziert werden, wenn der Verstorbene bereits bei der Heirat und an verschiedenen Krankheiten litt. Wenn der Grund fรผr die Ehe eine Versorgungsehe war, kann dies auch gelten, obwohl die konkrete Todesursache zu Beginn der Ehe nicht vorlag. Dies geht aus einem Urteil Bayerischen Landessozialgericht hervor. (L 13 R 68/19)

Ehemann braucht barrierefreie Wohnung

Die Betroffene heiratete den Versicherten am 31.07.2013, und er starb am 14.07.2014. Beide lebten in getrennten Wohnungen. Nach Aussagen der Witwe lag dies daran, dass der Ehemann als Rollstuhlfahrer auf seine behindertengerechte Wohnung angewiesen gewesen sei, wรคhrend die Tochter die Wohnung der Ehefrau benรถtigt hรคtte, da sie in der Nรคhe zur Schule gegangen sei. Sie seien seit 2012 verlobt gewesen und hรคtten den Hochzeitstermin wegen diverser Erkrankungen der Witwe mehrfach verschieben mรผssen.

Nach dem Tod beantragte sie eine Hinterbliebenenrente. Sie erklรคrte, ihr Ehemann sei plรถtzlich verstorben aufgrund eines Herzinfarktes.

Die Versicherung lehnte den Antrag ab. Die Ehe habe weniger als ein Jahr gedauert, und die vorgetragenen Grรผnde kรถnnten nicht widerlegen, dass der รผberwiegende Zweck der Heirat ein Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung sei. Im Widerspruchsverfahren erklรคrte die Betroffene, sie hรคtten eine ganz normale Ehe gefรผhrt, und erst im Mai 2014 sei bei dem Ehemann Harnblasenkrebs diagnostiziert worden.

Rentenversicherung sieht Ehe als Versorgungsehe an

Ein Widerspruch blieb ohne Erfolg. Die Rentenversicherung begrรผndete dies damit, dass die Betroffene trotz Aufforderung keine รคrztlichen Bescheinigungen รผber den Gesundheitszustand des Verstorbenen vor dem 31.07.2013 eingereicht hรคtte. So sei es nicht mรถglich, die damalige Gesundheit zu beurteilen. AuรŸerdem hรคtte die Betroffene mit dem Vater ihrer Tochter auch weiterhin in einer gemeinsamen Wohnung gelebt. Die Witwe klagte vor dem Sozialgericht Mรผnchen.

Krebsdiagnose erst Monate nach der EheschlieรŸung

Die Betroffene erklรคrte vor Gericht, sie hรคtten eine geeignete und grรถรŸere Wohnung fรผr die Eheleute und die Tochter gesucht. Der Sohn des Verstorbenen bestรคtigte, dass der Sohn und die Witwe zwischen 1992 bis 2001 ein Paar gewesen seien und in einer gemeinsamen Wohnung gelebt hรคtten.

Als Polizist sei der Sohn viel unterwegs gewesen, und in dieser Zeit hรคtten die Witwe und sein Vater sich nรคher kennengelernt. Auch bei Urlauben in der Tรผrkei in den 1990er Jahren seien sowohl die Witwe wie der Verstorbene dabei gewesen. 1999 hรคtten der Sohn und die Witwe sich einvernehmlich getrennt.

Kindsvater war aggressiv und unzuverlรคssig

Nach der Trennung sei die Betroffene mit dem Kindsvater zusammengekommen und dieser bei ihr in die Wohnung gezogen. Sein Vater hรคtte ein Bein verloren und sei pflegebedรผrftig geworden. Auch nach der Geburt der Tochter hรคtten sein Vater, er und die Betroffene sich gut verstanden.

Der Kindsvater sei unzuverlรคssig gewesen, computersรผchtig geworden und habe getrunken. Er habe die Betroffene gezwungen, ein zweites Kind abzutreiben. Ihn und seinen Vater habe dies sehr erschรผttert. Sie hรคtten die Betroffene regelmรครŸig besucht, ihr Essen gekocht oder vorbeigebracht.

Verstorbener war seelischer Halt

Wegen der fehlenden Versorgung durch den Kindsvater habe die Betroffene sich den Lebensunterhalt mit dem Reinigen von Bahnhofstoiletten verdienen mรผssen. Die Situation habe dazu gefรผhrt, dass die Betroffene sich in stationรคre Behandlung begeben hรคtte. Der Verstorbene sei ihr seelischer Halt gewesen.

Als der Kindsvater der Betroffenen gegenรผber handgreiflich geworden sei, habe sein Vater ihr 2012 einen Heiratsantrag gemacht. Sie habe zugestimmt, aber gesagt, sie wolle fรผr die Hochzeit erst gesund werden. Leider hรคtten sie keine gemeinsame Wohnung gefunden.

Zahlreiche Erkrankungen und Tod

Medizinische Befundberichte zeigten, dass der Verstorbene nach einer Amputation am Oberschenkel und Hirninfarkten unter zahlreichen Erkrankungen litt. Er hatte demnach ein Hochrisikoprofil fรผr Herz-Kreislauf-Erkrankungen, einen Herzinfarkt hinter sich und eine koronare Herzkrankheit.

Am 11.06.2014 sei ein Blasentumor diagnostiziert worden, und am 1.07.2014 sei die Harnblase entfernt worden. Durch ein septisches Multiorganversagen und einen zusรคtzlichen Herzinfarkt sei er am 14.07.2014 verstorben.

Die Befunde zeigte allerdings, dass das Karzinom erst kurz vor seinem Tod diagnostiziert worden war. Der รคrztliche Befund schloss, dass trotz der vielen Krankheiten keine hohe Wahrscheinlichkeit bestanden hรคtte, dass der Betroffene innerhalb eines Jahres nach der Hochzeit sterben wรผrde.

Sozialgericht sieht trotzdem Versorgungsehe

Das Sozialgericht erkannte zwar an, dass die Vorerkrankungen nicht die Ursache fรผr den Tod des Ehemannes waren. Trotzdem, so die Richter, wรผrden die Umstรคnde der Heirat weiterhin fรผr eine Versorgungsehe sprechen.

Berufung bleibt erfolglos

Die Witwe legte Berufung vor dem Landessozialgericht ein, doch dort scheiterte sie ebenfalls. Die dortigen Richter erklรคrten ausfรผhrlich, dass es sich um eine Versorgungsehe gehandelt hรคtte. So sei der Zeitpunkt der Hochzeit und davor von wirtschaftlicher Not und Krankheit der Kรคlgerin gepรคrgt gewesen.

Schutzgemeinschaft statt Ehe

Grund fรผr den Heiratsantrags sei die Zuspitzung der Situation und ein gewaรถttรคtiger รœbergriff des Kindsvaters gewesen. Die Richter fรผhrten aus:

โ€žSelbst wenn diese Schilderung uneingeschrรคnkt der Beurteilung des Senats zugrunde gelegt wird, ergibt sich danach ein Bild, in dem die Klรคgerin einerseits als schutzbedรผrftig und leidend und andererseits als fรผrsorglich dem Versicherten zugewandt beschrieben wird. Sowohl der Versicherte als auch sein Sohn hรคtten danach nicht mehr ertragen, mit anzusehen, wie schlecht die Klรคgerin von dem als wenig fรผrsorglich bis gewalttรคtig beschriebenen Vater ihrer Tochter behandelt wird. Um die Herstellung einer ehelichen Lebensgemeinschaft, wie es ยง 1353 BGB vorsieht, ist es danach zu keinem Zeitpunkt gegangen, sondern ausschlieรŸlich um die Unterstรผtzung der Klรคgerin.โ€œ

Die Richter sahen auch das von der Betroffenen geschilderte Bild als Belege dafรผr, dass der entscheidende Grund fรผr die Ehe gewesen sei, sie finanziell abzusichern. Demnach habe sie keinen Anspruch auf eine Witwenrente.

Tragisch, aber rechtlich begrรผndet

Fรผr die Witwe ist das Urteil ein Desaster, denn es verschlimmert die finanzielle Notlage und die katastrophale Situation gegenรผber dem Kindsvater. Es sprach aber tatsรคchlich alles fรผr eine Versorgungsehe, und dies auch ohne, dass die Betroffene den Tod des Ehemanns im Jahr nach der EheschlieรŸung erwarten konnte.

Schwierig an diesem Fall ist, dass es zwar eindeutig um die Versorgung und Unterstรผtzung der Betroffenen ging, allerdings vermutlich nicht um eine Versorgung in Form einer Hinterbliebenenrente.

Letztlich war es die Einjahres-Frist, die der Betroffenen den Boden unter den FรผรŸen wegzog. Diese endete am 31.07.2014. Wรคre der Ehemann nur zweieinhalb Wochen spรคter verstorben, dann hรคtte die Frage, ob es sich um eine Versorgungsehe handelte, keine Rolle mehr gespielt. Denn die Witwe hรคtte dann auf jeden Fall einen Anspruch auf eine Rente gehabt.