Eine 82-jährige verursachte mit ihrem PKW einen Unfall mit Sachschaden. Rechtlich hätte ihr eigentlich der Führerschein entzogen werden müssen. Grundlage ist hier § 69 Strafgesetzbuch (StGB), wonach die Fahrerlaubnis entzogen wird, wenn der Täter als ungeeignet zum Führen eines Kraftfahrzeugs gilt. Doch sie konnte ihren Führerschein zunächst behalten, da sie wegen einer schweren Gehbehinderung auf das Auto angewiesen ist. So urteilte das Amtsgericht Pforzheim (7 Cs 82 Js 14245/02).
Die Seniorin verursachte einen Unfall mit einem Sachschaden von 1.218,17 Euro. Der Staatsanwalt forderte deshalb die endgültige Entziehung der Fahrerlaubnis, die das Gesetz in solchen Fällen vorsieht. Grundlage ist dabei, dass den Verursachern die charakterliche Eignung fehlt, um ein Kraftfahrzeug zu führen.
Staatsanwaltschaft fordert vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis
Die Staatsanwaltschaft beantragte sogar die „vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis“ nach § 111a Strafprozessordnung (StPO). Die Betroffene hätte also ihren Führerschein bereits abgeben müssen, bevor die Richter ein rechtskräftiges Urteil gefällt hätten, um die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft handelte es sich also um eine glasklare Angelegenheit.
Seniorin ist notwendig auf das Auto angewiesen
Die Verteidigung der Seniorin argumentierte dagegen, dass die Betroffene hilflos sei und notwendig auf das Auto angewiesen. So können sie sich ohne fremde Hilfe nur mit einem vierrädrigen Gehwagen oder mit Stöcken fortbewegen. Ohne Auto seien für sie weder der Einkauf von Lebensmitteln noch unaufschiebbare Arzttermine möglich.
Führerscheinentzug bedeutet unangemessene Härte
Die Verteidigung bezeichnete einen sofortigen und unangekündigten Verlust der Fahrerlaubnis als unangemessene Härte. Die Betroffene könne eine solche einschneidende Veränderung der Lebensverhältnisse nicht bewältigen, denn sie hätte sich nicht darauf einstellen können.
Das Gericht muss abwägen
Rechtlich waren die Voraussetzungen für eine endgültige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB gegeben, was auch die Richter nicht in Frage stellten. Doch besteht in einem solchen Fall ein richterliches Ermessen, wenn es um die sofortige Abgabe der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO geht. Dieses übten die Richter zugunsten der Seniorin aus.
Sofortiger Entzug des Führerscheins ist eine unangemessene Härte
Hier verwiesen die Richter auf die besondere Situation der Betroffenen. Sie sei nicht nur schwer gehbehindert, sondern auch zwingend auf ihr Fahrzeug angewiesen, um ihren Alltag zu erledigen. Deshalb stellten die Richter klar, dass ein sofortiger Entzug des Führerscheins ihr die Möglichkeit nehmen würde, sich auf die damit verbundene drastische Umstellung ihrer Lebensgewohnheiten einzustellen.
Die Richter stimmten der Verteidigung zu, dass dies eine „unangemessene Härte“ sei. In diesem konkreten Fall sei es gerechtfertigt, den vorläufigen Entzug der Fahrerlaubnis abzulehnen.
Die Betroffene muss dauerhaft ihren Führerschein abgeben
Das bedeutete jedoch nicht, dass die Betroffene ihren Führerschein dauerhaft behalten durfte. Die Richter betonten ausdrücklich, dass der verursachte Vorfall und der Schaden von 1.218,17 Euro eine endgültige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB erforderten.
Grundsätzlich stimmte das Gericht also der Auffassung der Staatsanwaltschaft zu. Doch sie übten ihr Ermessen aus, um der Betroffenen aufgrund ihres Alters und ihrer Behinderung eine unangemessene Härte beim sofortigen Entzug zu ersparen. Damit wurde deutlich, dass Gerichte zwar die Sicherheit des Straßenverkehrs wahren müssen, im Einzelfall aber auch soziale Härten berücksichtigen können.