Hat eine mittlerweile verstorbene Rentnerin zu viel Rente erhalten, müssen die Erben regelmäßig als „Gesamtschuldner” das Geld zurückzahlen. Bei der Frage, welcher Erbe wie viel zurückerstatten soll, muss die Rentenversicherung aber eine vom Einzelfall abhängige Ermessensentscheidung treffen, entschied das Hessische Landessozialgericht (LSG) in Darmstadt in einem am Donnerstag, 12. Mai 2022, veröffentlichten Urteil (Az.: L 2 R 411/18).
Dass die Rentenversicherung ohne weitere „Ermessensentscheidung” die zu zahlende Schuld auf zwei Erbinnen pauschal je zur Hälfte aufteilt, ist danach unzulässig.
Im Streit stand die Rückforderung einer überzahlten Rente. Wegen eines zu hohen Hinzuverdienstes hatte die Stiefmutter der Klägerin 5.230 Euro zu viel an Rente erhalten. Der Rentenversicherungsträger forderte das Geld von der Rentnerin zurück.
Als diese während des Klageverfahrens starb, sollte der Ehemann als Erbe die überzahlte Rente erstatten. Doch auch dieser starb vorzeitig, so dass die gemeinsame Tochter des Paares sowie die Klägerin, die Tochter des verstorbenen Vaters, dafür als Erbinnen und „Gesamtschuldner” eintreten sollten.
Keine wahllose Erbenhaftung wegen überzahlter Rente
Schuldrechtlich kann der Rentenversicherungsträger von jedem „Gesamtschuldner” den ganzen oder auch nur einen Teilbetrag verlangen.
Hier hatte die gemeinsame Tochter die Hälfte der überzahlten Renten an die Rentenversicherung überwiesen. Die andere Tochter dachte aber nicht daran, für die andere Hälfte der überzahlten Rente ihrer Stiefmutter in Höhe von 2.615 Euro aufzukommen.
Sie sei mit der Verstorbenen weder verwandt noch verschwägert. Sie sei allenfalls gesetzliche Erbin in Höhe von einem Viertel des Nachlasses ihres Vaters. Außerdem habe ihr verstorbener Vater ihr keinen Unterhalt gezahlt, so dass sie nicht einsehe, nun für dessen Schulden aufkommen zu müssen. Die Rentenversicherung habe daher zu Unrecht auch von ihr pauschal die Hälfte der überzahlten Rente verlangt.
Das LSG gab ihr mit Urteil vom 14. Dezember 2021 recht. Zwar hafteten Erben regelmäßig als Gesamtschuldner für gemeinschaftliche Nachlassverbindlichkeiten.
Dazu gehöre auch die Erstattung einer überzahlten Rente. Die Rentenversicherung dürfe aber nicht willkürlich festlegen, dass die zwei Erbinnen einfach jeweils die Hälfte zu zahlen haben. Die Behörde müsse vielmehr eine Ermessensentscheidung treffen und begründen, warum und von wem sie wie viel verlangt.
LSG Darmstadt: Behörde muss bei Rückforderung Ermessen ausüben
„Im Fall der Gesamtschuldnerschaft kann der einzelne Beitragspflichtige (…) nur aufgrund einer Ermessensentscheidung unter Beachtung seiner Freiheitsgrundrechte, des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und des Willkürverbots in Anspruch genommen werden”, betonte das LSG.
Erforderlich sei eine „Auswahlentscheidung unter Beachtung der Umstände des Einzelfalls”. Hier habe der Rentenversicherungsträger aber gar keine Ermessensentscheidung getroffen.
Die Darmstädter Richter verwiesen zudem auf ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 23. August 2013 (Az.: B 8 SO 7/12 R; JurAgentur-Meldung vom 27. August 2013). Hier hatten die obersten Sozialrichter entschieden, dass eine Behörde sich nicht beliebig und ohne Ermessensentscheidung einen Erben wegen zurückzuzahlender Sozialhilfeleistungen herauspicken kann.
Im aktuellen Fall ließ das LSG die Revision zum BSG zu, die mittlerweile auch eingelegt wurde (dort Az.: B 5 R 2/22 R) fle/mwo
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