Krankenkassen dürfen Krankengeld nicht mit der Begründung verweigern, dass der nötige Arzt-Patienten-Kontakt nicht rechtzeitig stattfand. Das gilt dann, wenn die Gründe für die Verspätung nicht beim Versicherten, sondern beim Vertragsarzt liegen und auch den Krankenkassen zuzurechnen sind. So entschied das Hessische Landessozialgericht (L 1 KR 125/20)
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Krankengeld bei gleichbleibender Diagnose
Die Betroffene war gesetzlich krankenversichert und wegen Schwindel, Taumel und sonstigen Störungen arbeitsunfähig erkrankt. Sie bezog Krankengeld. Sie reichte eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit gleichbleibender Diagnose vor für die Zeit vom 20. August 2018 bis 7. September 2018 (Freitag). Die nächste AU reichte sie am Mittwoch, den 12. September 2018 ein, für die Zeit vom 12. September bis zum 28. September 2018.
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Krankenkasse verlangt lückenlosen Krankheitsverlauf
Die Krankenkasse lehnte es ab, weiterhin Krankengeld zu zahlen. Dafür sei nämlich ein lückenloser und durchgehender Krankheitsverlauf nachzuweisen, und diese Voraussetzung sei nicht erfüllt. Denn die Folgebescheinigung sei erst auf den 12. September datiert.
Verspäteter Termin beim Vertretungsarzt
Die Erkrankte legte Widerspruch ein. Sie argumentierte, es liege ein zu berücksichtigender Ausnahmefall vor. Sie habe sich nämlich bereits am 10. September telefonisch bei ihrem behandelnden Arzt gemeldet, um die Bescheinigung zu erhalten. Doch ihr Hausarzt sei im Urlaub gewesen, und bei dessen Vertreter sei erst am 12. September ein Termin frei geworden.
Patientin ruft immer zuerst beim Arzt an
Dies sei der Grund, warum sie erst ab dem 12. September 2018 die Folgebescheinigung erhalten habe.
Wegen ihrer gesundheitlichen Einschränkungen melde sie sich immer erst telefonisch beim behandelnden Arzt an. Sie könne nämlich kein Auto fahren, und zu Fuß ginge sie aufgrund ihrer Erkrankung unsicher.
Krankenkasse fordert persönlichen Kontakt
Die Krankenkasse wies den Widerspruch zurück und erklärte, es liege keine Ausnahme vor. Den Arzt anzurufen, reiche nicht, ein unmittelbarer persönlicher Kontakt sei notwendig. Wenn der Arzt beim persönlichen Kontakt keine Folgebescheinigung ausstelle, dann sei dies der Krankenkasse zuzurechnen. Das sei hier aber nicht gegeben.
Alles in der Macht Stehende getan
Die Betroffene klagte vor dem Sozialgericht, und es ging in Berufung vor das Hessische Landessozialgericht. Ihr Prozessbevollmächtigter erklärte, die betroffene habe sich am Montag, den 10. September 2018, also pünktlich, per Telefon bei ihrem Hausarzt bemüht, ihre Arbeitsunfähigkeit feststellen zu lassen. Sie sei an die Urlaubsvertretung verwiesen worden. Dort habe sie erst für Mittwoch einen Termin bekommen. Sie habe also alles in ihrer Macht Stehende getan, um die Arbeitsunfähigkeit fortschreiben zu lassen.
Hausarzt ist für Verzögerung verantwortlich
Die Verzögerung falle nicht in ihre Verantwortung, sondern in die des Hausarztes und seiner Vertretung. Die Betroffene wies ein Attest ihres Arztes vor, in dem dieser bestätigte, dass er am 10. September in Urlaub gewesen sei, und deswegen erst am 12. September ein Termin möglich geworden sei.
Das Landessozialgericht entschied für die Betroffene und bezog sich dabei auf das Bundessozialgericht:
„Das Bundessozialgericht hat mit Urteil vom 26. März 2020 (B 3 KR 9/19 R) diese Rechtsprechung dahingehend fortentwickelt, dass es einem “rechtzeitig” erfolgten persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt gleichsteht, wenn der Versicherte alles in seiner Macht Stehende und ihm Zumutbare getan hat und rechtzeitig innerhalb der anspruchsbegründenden bzw. -erhaltenden zeitlichen Grenzen versucht hat, eine ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung des Anspruchs auf Krankengeld zu erhalten, und es zum persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt aus dem Vertragsarzt und der Krankenkassen zurechenbaren Gründen erst verspätet, aber nach Wegfall dieser Gründe gekommen ist (BSG, Urteil vom 26. März 2020 – B 3 KR 9/19 R, Rn. 22, juris).“
Die Krankenkasse muss zahlen
Die Obliegenheiten eines Versicherten könnten nur das umfassen, was in seiner Macht stünde. Deshalb erklärten die Richter: „In diesem Sinne dürfen auch Krankenkassen gegenüber dem Krankengeldanspruch ihrer Versicherten nicht einwenden, der dafür erforderliche Arzt-Patienten-Kontakt sei nicht rechtzeitig zustande gekommen, wenn dies auf Gründen beruht, die in der Sphäre des Vertragsarztes (und nicht des Versicherten) liegen und die auch den Krankenkassen zuzurechnen sind.“ Deshalb musste die Krankenkasse das Krankengeld weiterhin auszahlen.