Wer Bürgergeld beantragt, muss die eigene Hilfebedürftigkeit belegen. Werden angeforderte Unterlagen nicht oder nur bruchstückhaft vorgelegt, darf das Jobcenter Leistungen vollständig versagen. Das hat das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg im Fall L 1 AS 1102/24 bestätigt.
Der Fall: Mehrfache Mitwirkungsaufforderungen – entscheidende Unterlagen fehlten
Der Kläger hatte nach einem Umzug einen neuen Antrag auf Bürgergeld gestellt. Das Jobcenter forderte ihn noch am Tag der Antragstellung zur Mitwirkung auf und erinnerte mehrfach innerhalb zweier Monate. Teilunterlagen kamen zwar, aber wesentliche Nachweise fehlten weiterhin, u. a. zur Beendigung bzw. Ausgestaltung seines Gewerbes, zu einer angegebenen Kommanditgesellschaft, lückenlose Kontoauszüge sämtlicher Konten, Mietvertrag, Kfz-Nachweise sowie Angaben zu Bareinzahlungen und Dritteinzahlungen.
Vom Antragsteller eingereichte Screenshots genügten nicht: Sie ermöglichen keine Vollständigkeitsprüfung. Das Jobcenter wies ausdrücklich darauf hin, dass Leistungen bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz versagt werden können. In der Folge versagte es die Leistungen vollständig.
Widerspruch und Klage blieben ohne Erfolg; auch die Berufung vor dem LSG scheiterte. Hinweis: In einem späteren Verfahren erhielt der Kläger ab August 2024 nach Neuantrag wieder Bürgergeld – ein Beispiel dafür, dass die Versagung endet, sobald die Mitwirkung nachgeholt ist.
Rechtliche Bewertung des LSG
Rechtsgrundlagen: Die Versagung stützt sich auf § 66 SGB I (fehlende Mitwirkung), die Mitwirkungspflichten folgen aus §§ 60 ff. SGB I. Ohne die angeforderten Nachweise lässt sich die Hilfebedürftigkeit (§ 9 SGB II) nicht feststellen.
Rechtsfolgenbelehrung: Das Gericht bejahte eine ordnungsgemäße Rechtsfolgenbelehrung. Der Warn- und Appellzweck war gewahrt; dem Kläger war klar, dass bei weiterer Nichtmitwirkung eine vollständige Versagung droht.
Grenzen der Mitwirkung: Eine Freistellung von der Mitwirkung nach § 65 SGB I lag nicht vor. Die verlangten Unterlagen waren erheblich, zumutbar und erforderlich.
Kein „atypischer Fall“ nötig: Es geht hier nicht um den Entzug laufender Leistungen (Sanktionslogik), sondern um die Nichtfeststellbarkeit der Anspruchsvoraussetzungen. Deshalb musste kein atypischer Härtefall dargelegt werden.
Was bedeutet das für Antragstellerinnen und Antragsteller?
- Nur Original- oder vollständige Kontoauszüge (lückenlos, alle Umsätze, alle Konten). Screenshots oder Teilauszüge reichen regelmäßig nicht.
- Gewerbe/Erwerb: Gewerbeanmeldung/-abmeldung, Gesellschaftsunterlagen, Belege zu Einnahmen/Ausgaben offenlegen. Bareinzahlungen und Dritteinzahlungen unbedingt erklären.
- Wohnung & Kfz: Mietvertrag, Kostenbelege, Versicherungsnachweise zu Fahrzeugen bereitstellen.
- Form & Frist: Reagiere innerhalb der gesetzten Frist. Wenn etwas (noch) nicht beschaffbar ist, schriftlich begründen und Alternativnachweise anbieten.
- Versagung ist beendbar: Die Entscheidung wirkt bis zur Nachholung der Mitwirkung. Werden die Unterlagen nachgereicht, kann das Jobcenter nachträglich bewilligen.
- Hilfe holen: Frühzeitig Beratung nutzen (z. B. Erwerbsloseninitiative, Sozialberatung, Anwalt/Anwältin). Das hilft, Unterlagen zu strukturieren und berechtigte Grenzen der Mitwirkung darzulegen.
Einordnung: Streitpunkt „unbefristete Versagung“
Das LSG Berlin-Brandenburg hält eine vollständige Versagung im geschilderten Fall für ermessensfehlerfrei, solange die Bedürftigkeit ohne Mitwirkung nicht aufklärbar ist und eine ordnungsgemäße Rechtsfolgenbelehrung erfolgte.
Andere Gerichte – insbesondere in Bayern – verlangen, dass im Bescheid ausdrücklich erkennbar wird, dass die Versagung nur bis zur Nachholung der Mitwirkung gilt. Für die Praxis empfiehlt es sich daher, Bescheide genau zu prüfen und notfalls Widerspruch einzulegen.
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