Wer einen Grad der Behinderung von mindestens 30 vorweist, kann bei einer Kündigung deutlich höhere Abfindungen erzielen. Grund ist der besondere Kündigungsschutz: Ohne Zustimmung des Integrationsamts bleibt jede Entlassung unwirksam. Unternehmen kaufen dieses Risiko häufig mit großzügigen Abfindungen aus – gerade während der aktuellen Insolvenzwelle.
Insolvenzwelle 2025: Mehr Entlassungen, höherer Druck auf Betroffene
Von Januar bis März 2025 meldeten Betriebe im Südwesten 662 Insolvenzen, ein Plus von 6,1 Prozent gegenüber 2024. Hohe Energiepreise, Zinsen und geopolitische Konflikte belasten die Wirtschaft bundesweit. Für Menschen mit Behinderung verschärft sich die Lage zusätzlich, weil ihre Rückkehr in die Arbeit länger dauert. Wer den rechtlichen Hebel kennt, verwandelt diese Ausgangslage trotzdem in eine starke Verhandlungsposition.
Gesetzlicher Joker: Integrationsamt muss vor jeder Kündigung zustimmen
Nach sechs Monaten Betriebszugehörigkeit greift § 173 SGB IX. Arbeitgeber, selbst Kleinbetriebe, müssen vor einer Kündigung das Integrationsamt einschalten. Ohne diese Zustimmung ist das Schreiben nichtig. Während des Verfahrens bleibt das Arbeitsverhältnis bestehen; Lohnzahlungen laufen weiter. Betroffene dürfen parallel vor dem Verwaltungs- und dem Arbeitsgericht klagen. Dieser Doppelstrang erhöht für die Firma das Prozess- und Kostenrisiko spürbar.
Abfindung in der Praxis: Formel, Faktor und Schwerbehinderten-Bonus
Sozialpläne nutzen meist die Gleichung Bruttomonatslohn × Betriebsjahre × Faktor. Üblich ist ein Faktor von 0,5; Werte zwischen 0,8 und 1,0 gelten jedoch als realistisch, wenn Alter oder Unterhaltspflichten hinzukommen. Menschen mit Schwerbehinderung bekommen zusätzlich einen Sockelbetrag.
Das Bundesarbeitsgericht (1 AZR 129/21, 11.10.2022) legte 1 500 € bzw. 2 000 € bei GdB > 50 fest und untersagte, diesen Bonus in Höchstgrenzen einzurechnen. Dadurch wächst die Mindestabfindung deutlich.
Warum Arbeitgeber lieber freiwillig drauflegen
Zwei parallele Gerichtswege, lange Prüfzeiten in den Ämtern und ein möglicher Reputationsschaden lassen viele Unternehmen höhere Beträge anbieten, als der Sozialplan vorsieht. Der Faktor klettert häufig über 0,8, wenn die Geschäftsführung das Thema rasch abschließen will. In Krisenbranchen liegen Ein-Jahres-Gehälter als Multiplikator inzwischen im Bereich des Möglichen.
Fahrplan nach Zugang der Kündigung
Die Drei-Wochen-Frist für eine Kündigungsschutzklage läuft ab Zustellung des Schreibens (§ 4 KSchG). Wer einen GdB zwischen 30 und 49 besitzt, sollte noch am selben Tag den Gleichstellungsantrag bei der Agentur für Arbeit stellen; der Schutz wirkt rückwirkend ab Antragseingang. Ein Fachanwalt klärt, ob zusätzlich eine Klage gegen die Entscheidung des Integrationsamts sinnvoll ist.
Wird verhandelt, lohnt es sich, schon früh konkrete Zahlen aufzurufen: Monatsgehalt, Betriebsjahre, Faktor, Bonus. So erkennt die Gegenseite sofort, welchen Preis sie für einen schnellen Abschluss zahlen muss.
Steuerfrage 2025: Fünftelregelung erst im Folgejahr wirksam
Abfindungen unterliegen der Lohnsteuer. Seit 2025 greift die begünstigte Fünftelregelung nur noch in der Einkommensteuer-Veranlagung. Betroffene zahlen zunächst den vollen Tarif, erhalten den Ausgleich jedoch mit dem Steuerbescheid zurück. Sozialabgaben entstehen nicht, weil es sich um eine Entschädigungszahlung handelt.