Leben pflegebedürftige behinderte Menschen in einer neuen Wohnform und werden dort im Rahmen der Eingliederungshilfe umfassend betreut, haben sie keinen Anspruch auf Pflegegeld für „häusliche Pflege“.
Die Pflegekasse könne sich an den pflegebedingten Aufwendungen in der Einrichtung nur mit einer unabhängig vom Pflegegrad gezahlten Pflegepauschale in Höhe von bis zu 266 Euro beteiligen, entschied das Bundessozialgericht (BSG) in einem am Freitag, 6. September 2024, bekanntgegebenen Urteil vom Vortag (Az.: B 3 P 9/22 R). Ein Anspruch auf Pflegegeld bestehe nur für Zeiten, in denen sich der Pflegebedürftige anderweitig – etwa bei Angehörigen – aufhalte und dort häusliche Pflege erhalte, so die Kasseler Richter.
Nach den gesetzlichen Bestimmungen haben Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5 Anspruch auf „häusliche Pflegehilfe“ als Sachleistung. Anstelle der Sachleistung kann für die häusliche Pflege auch Pflegegeld beantragt werden, dessen Höhe sich nach dem Pflegegrad richtet. „Häusliche Pflege“ setzt nicht voraus, dass die Pflege im eigenen Haushalt erfolgt.
Kein Pflegegeld gibt es allerdings bei stationärer Unterbringung in Pflegeeinrichtungen oder bei Pflege in „Räumlichkeiten“, in denen behinderte Menschen leben und umfassende Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten.
Antrag auf Pflegegeld mit Pflegegrad 3 gestellt
In dem entschiedenen Rechtsstreit ging es um einen 73-jährigen geistig behinderten Mann mit Pflegegrad 3, der seit 1998 bei einer Familie auf dem Münzinghof in Velden auf der Fränkischen Alb lebt. Die Einrichtung ist eine Lebensgemeinschaft, in der behinderte und nicht behinderte Menschen zusammen leben und arbeiten.
Der Beschwerdeführer bewohnt ein Einzelzimmer und erhält auf dem Münzinghof Leistungen der Eingliederungshilfe und Pflege. In einem Wohn- und Betreuungsvertrag sind umfassende Betreuungs- und Pflegeleistungen festgelegt, deren Kosten er als Selbstzahler trägt.
Zum 1. Januar 2020 beantragte der Beschwerdeführer bei seiner Pflegekasse Pflegegeld nach dem Pflegegrad 3 in Höhe von monatlich 545 Euro. Der Münzinghof stelle eine „besondere Wohnform“ dar, in der er „häusliche Pflege“ erhalte, begründete er seinen Antrag.
Pflegekasse lehnte einen Anspruch auf Pflegegeld ab
Die Pflegekasse lehnte einen Anspruch auf Pflegegeld ab. Der Münzinghof mit seinen umfassenden Leistungen der Eingliederungshilfe sei mit einer vollstationären Einrichtung vergleichbar.
In einem solchen Fall könne der Kläger nur die bereits bisher unabhängig von der Pflegestufe gewährte Pflegepauschale von bis zu 266 Euro monatlich beanspruchen, die beim Wohnen in einer Einrichtung der Eingliederungshilfe gewährt werden kann.
Der Beschwerdeführer wandte ein, dass er die Kosten seiner Pflege selbst trage. Er verfüge mit dem Einzelzimmer über eine eigene Häuslichkeit, so dass von einer häuslichen Pflege auszugehen sei.
BSG: Anspruch scheidet bei umfassender Betreuung aus
Das BSG wies den Kläger jedoch ab. Er habe keinen Anspruch auf Pflegegeld. Zwar könne Pflegegeld auch bei häuslicher Pflege gewährt werden, wenn diese nicht im eigenen Haushalt erbracht werde, im vorliegenden Fall biete der Träger der Eingliederungshilfe aber umfassende Pflege- und Betreuungsleistungen an, so dass diese mit einer vollstationären Einrichtung vergleichbar seien. Ein Anspruch auf Pflegegeld scheide daher aus.
Er könne lediglich den pflegegradunabhängigen Pauschalbetrag von bis zu 266 Euro monatlich für die auch in der Einrichtung der Eingliederungshilfe erbrachte Pflege beanspruchen.
Dass dieser Betrag gedeckelt sei, sei angesichts der besonders weiten Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Unerheblich sei, dass der geistig behinderte Mann die Kosten der Unterbringung und Pflege selbst trage.
Allerdings könne der Kläger grundsätzlich ein anteiliges Pflegegeld für die Tage beanspruchen, an denen er beispielsweise Angehörige besuche und in dieser Zeit dort häuslich gepflegt werde.
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