Müssen Bezieher von Bürgergeld im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht Kontoauszüge von Dritten, wie zum Beispiel Mitbewohner oder Verwandte, vorlegen? Detlef Brock, Sozialrechtsexperte von “gegen-hartz”, ist der Auffassung, dass diese Rechtsfrage als offen anzusehen ist, denn eine höchst richterliche Entscheidung fehlt bis heute dazu.
Das Jobcenter darf einem Hilfebedürftigem nicht die Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB 2/ Bürgergeld versagen wegen mangelnder Mitwirkung wenn Kontoauszüge Dritter betroffen sind (SG Neuruppin Az. S 18 AS 429/10 ER ). Denn diese stehen regelmäßig nicht im Eigentum des Hilfeempfängers, so dass dieser auch nicht darüber verfügen kann.
Inhaltsverzeichnis
Sachverhalt und Kurzbegründung Gericht: Erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Versagungsbescheids des Jobcenters
Rechtsgrundlage der Versagung war § 66 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 60 Abs. 1 Satz 1 SGB I. Danach können Leistungsträger Leistungen verweigern, wenn ein Leistungsempfänger trotz Aufforderung Angaben unterlässt, die für die Gewährung der Leistung erheblich sind. Dabei muss durch die fehlende Mitwirkung die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert sein.
Im Eilverfahren war nicht ersichtlich, dass die vom Jobcenter geforderten Unterlagen insbesondere zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Eltern des Antragsstellers entscheidungserheblich sind. Dazu wäre das Bestehen einer Haushaltsgemeinschaft im Sinne des § 9 Abs. 5 SGB II zwischen dem Antragssteller und seinen Eltern erforderlich, für welche es derzeit keine ausreichenden Anhaltspunkte gibt.
Jobcenter verlangt Vorlage von Unterlagen von Dritten
Hinzu kommt, dass das Jobcenter vorliegend Unterlagen von Dritten verlangt. Dies ist gerade im Hinblick auf die möglichen Folgen der unterlassenen Mitwirkung problematisch.
Die Versagung von Leistungen nach § 66 Abs. 1 und 3 SGB I rechtfertigt sich gerade dadurch, dass der Leistungssuchende eine ihm auferlegte Mitwirkungshandlung unterlässt, obwohl er zuvor über die Folgen schriftlich belehrt wurde. Ein Unterlassen einer Mitwirkungshandlung kann jedoch nur dann vorliegen, wenn dem Mitwirkungsverpflichteten die Mitwirkungshandlung möglich ist.
Vorlage von Unterlagen von dritten Personen ist zweifelhaft
Nachweise über Einkommen und Vermögen (in Form von Verträgen, Kontoauszügen, etc.) stehen regelmäßig im Eigentum des jeweiligen Inhabers. Nur dieser kann über diese verfügen. Der Mitwirkungsverpflichtete könnte daher nur dann der verlangten Mitwirkung nachkommen, wenn der Dritte dies gestattet. Dies gilt im Grundsatz auch bei Verwandten und Verschwägerten.
Vorliegend ist aus dem bisher Vorgebrachten nicht ersichtlich, ob eine solche Zustimmung durch die Eltern des Antragsstellers erteilt wurde. Bezüglich der geforderten Unterlagen zu den Kosten der Unterkunft des Antragsstellers kommt hinzu, dass eine darauf gestützte Totalversagung von Leistungen nicht zulässig sein dürfte.
Keine Unterhaltsvermutung bei Wohngemeinschaft zwischen Verwandten
Die Voraussetzungen des Vorliegens einer Wirtschaftsgemeinschaft von mehreren in einer Wohnung zusammen lebenden Verwandten oder Verschwägerten müssen vom jeweiligen Jobcenter positiv festgestellt werden. Der Antragssteller bildet mit seinen Eltern nicht bereits deshalb eine Haushaltsgemeinschaft, weil er nicht in einer eigenständigen Wohneinheit wohnt. Eine solche ist gerade nicht erforderlich.
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Bescheid prüfenFazit:
Das für § 9 Abs. 5 SGB II erforderliche gemeinsame Haushalten und Wirtschaften aus einem Topf war vorliegend nicht feststellbar. Insbesondere reichen die bisher vom Jobcenter durchgeführten Ermittlungen dafür nicht aus.
Somit durfte das Jobcenter dem Antragsteller nicht die Leistungen versagen wegen Nicht Vorlage von Kontoauszügen von Dritten, wenn sich diese nicht in seinem Besitz befinden.
Anmerkung vom Sozialrechtsexperten Detlef Brock
Wenn das Jobcenter Ihnen keine Leistungen gewährt, weil Sie die Unterlagen von Personen nicht vorlegen können, weil es sich um Unterlagen handelt, über die Sie nicht selbst verfügen können – zum Beispiel Kontoauszüge von Mitbewohnern oder Verwandten, die sich nicht im Leistungsbezug befinden – sollten Sie sich wehren und nach meiner Meinung anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen.
Pflicht zur Vorlage von Kontoauszügen von Dritten ist höchstrichterlich noch nicht geklärt – dagegen spricht
Die Frage, ob die Pflicht zur Vorlage von Kontoauszügen der letzten 3 Monate ausnahmsweise auch den Dritten bzw. Partner i. S. d. § 60 Abs. 4 treffen kann, ist höchstrichterlich noch nicht geklärt und ist als völlig offen zu bezeichnen, meint der Sozialrechtsexperte Detlef Brock.
Allerdings deutet eine Aussage des BSG in seinem Urteil vom 24. Februar 2011 – B 14 AS 87/09 R, Rn. 19 darauf hin, dass dies nicht der Fall sein könnte
Dort heißt es: „Aus den Absätzen 2 und 4 des § 60 SGB II ergeben sich zudem unterschiedliche Auswirkungen auf den konkreten Umfang der von dem Träger benötigten und vom Auskunftspflichtigen zu leistenden Auskünfte. So kann der Leistungsträger im Rahmen unterhaltsrechtlicher Beziehungen die Vorlage von Belegen über die Höhe der Einkünfte fordern (§ 60 Abs. 2 Satz 3 SGB II iVm § 1605 Abs. 1 Satz 2 BGB).
Gegenüber einem Partner, der selbst keine Leistungen beantragt, kann dagegen nach dem insoweit klaren Wortlaut des § 60 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB II nur die Erteilung von Auskünften verlangt werden (…).“
Für eine Vorlagepflicht auch des Dritten spricht
Dass das Zusammenspiel der Mitwirkungspflichten (Auskunfts- und Nachweispflichten) nach § 60 SGB I und der Auskunftspflicht als nicht antragstellendem Dritten nach § 60 Abs. 4 SGB II nicht dazu führen kann, dass das Jobcenter außer Stande gesetzt wird, die gemachten Angaben auf ihre Richtigkeit zu kontrollieren, und im Fall einer gemischten Bedarfsgemeinschaft blind den Angaben des Ehegatten zu seinem Einkommen vertrauen muss. (Das ist ein Beispiel für die Vergrößerung der Bedarfsgemeinschaft durch Heirat ).



