Das Jobcenter muss auch einer bulgarischen Familie Bürgergeld zahlen. Denn allein die Inanspruchnahme von Bürgergeld begründet keinen Missbrauch des Freizügigkeitsrechts, so ausdrücklich der 4. Senat des LSG Sachsen-Anhalts in einem aktuell veröffentlichten Beschluss ( Beschluss v. 27.08.2024 – L 4 AS 212/24 B ER – ).
Bulgarische Staatsangehörige haben Anspruch auf Bürgergeld, denn sie sind nicht vom Bezug von Bürgergeld ausgeschlossen, so aber die Vorinstanz das SG Dessau-Roßlau.
Inanspruchnahme aufstockender Sozialleistungen – Bedarfsgemeinschaft – vollständige Deckung des eigenen Bedarfs
Die Inanspruchnahme von Sozialleistungen, die aufstockend zu einer tatsächlichen und echten Arbeitnehmertätigkeit oder daneben zur (weiteren) Integration in den Arbeitsmarkt gewährt werden, kann, selbst wenn ein entsprechender Bedarf zum Zeitpunkt der Zuwanderung absehbar gewesen ist, nicht per se einen Missbrauch des Freizügigkeitsrechts begründen, so die Richter.
Für die Annahme, die Berufung auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit könne sich als missbräuchlich darstellen, bleibt in diesem Fall jedenfalls dann kein Raum, wenn der Betroffene durch seine Tätigkeit seinen eigenen Bedarf jedenfalls fast vollständig decken kann.
Unter diesen Umständen kann weder dem Arbeitnehmer selbst noch seinen Familienangehörigen die missbräuchliche Berufung auf den Arbeitnehmerstatus des beschäftigten Familienmitglieds und die daran anknüpfende Freizügigkeitsberechtigung auch der anderen Familienmitglieder entgegengehalten werden.
Der Missbrauchstatbestand im Zusammenhang mit der Gewährleistung der Arbeitnehmerfreizügigkeit ist grundsätzlich eng auszulegen
Das Gericht geht weiterhin davon aus, dass der Missbrauchstatbestand im Zusammenhang mit der Gewährleistung der Arbeitnehmerfreizügigkeit – als Ausnahme im Einzelfall – grundsätzlich eng auszulegen ist.
Und allein die Inanspruchnahme von Bürgergeld bzw. Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende, die aufstockend zu einer tatsächlichen und echten Arbeitnehmertätigkeit oder zur (weiteren) Integration in den Arbeitsmarkt gewährt werden, keinen Missbrauch des Freizügigkeitsrechts begründet.
Vollständige Deckung des eigenen Bedarfs
Der Senat bleibt zudem bei seiner Auffassung, wonach für die Annahme der rechtsmissbräuchlichen Berufung auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit dann kein Raum bleibt, wenn der Betroffene – wie hier – durch seine Tätigkeit seinen eigenen Bedarf vollständig decken kann (vgl. dazu Beschluss des Senats vom 4. Juli 2023, L 4 AS 122/23 B ER; LSG Hessen, Beschluss vom 11. Dezember 2019 – L 6 AS 528/19 B ER -).
Praxistipp:
Eine gleicher Auffassung BSG, Urteil vom 27. Januar 2021 – B 14 AS 25/20 R – : LSG Sachsen-Anhalt, 04.07.2023 – L 4 AS 122/23 B ER –