Höhere EM-Rente: Gericht fällt wegweisendes Urteil

Lesedauer 3 Minuten

Ein aktuelles Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) öffnet vielen Rentnerinnen und Rentnern die Tür zu einer höheren Rente wegen voller Erwerbsminderung (EM-Rente).

Konkret geht es um die Anerkennung von Kindererziehungszeiten, die im europäischen Ausland verbracht wurden. Damit bestätigt das höchste europäische Gericht, dass innerhalb der EU in bestimmten Fällen auch Erziehungszeiten im Ausland die deutsche Rentenhöhe steigern können.

Warum ist dieses Urteil so bedeutsam?

Mit seinem Urteil (Az: C-283/21) hat der EuGH klargestellt, dass Kindererziehungszeiten, die in einem anderen EU-Mitgliedstaat zurückgelegt wurden, unter bestimmten Voraussetzungen in Deutschland anerkannt werden müssen. Dies hat vor allem zwei bedeutende Auswirkungen:

  1. Höhere Entgeltpunkte: Die im Ausland zurückgelegten Erziehungszeiten erhöhen direkt die Beitragspunkte in der deutschen Rentenversicherung.
  2. Positive Auswirkung auf die Zurechnungszeit: Darüber hinaus werden beitragsfreie Zeiten (z. B. wegen Erwerbsminderung) höher bewertet, was sich ebenfalls positiv auf die Rentenhöhe auswirken kann.

Dieses Urteil ist vor allem deshalb wegweisend, weil es die Rechte von EU-Bürgerinnen und Bürgern weiter stärkt. Es folgt dem Prinzip der Freizügigkeit und soll verhindern, dass Menschen, die zeitweise im europäischen Ausland gelebt und Kinder erzogen haben, in ihrem Heimatstaat rentenrechtlich benachteiligt werden.

Welche Hintergründe liegen diesem Fall zugrunde?

In dem zugrundeliegenden Verfahren hatte eine deutsche Staatsbürgerin in den Niederlanden gelebt und dort Kinder geboren sowie erzogen. Eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in den Niederlanden hatte sie jedoch nicht ausgeübt, weshalb sie dort keinen eigenständigen Rentenanspruch erworben hatte.

Später kehrte sie nach Deutschland zurück und stellte einen Antrag auf Rente wegen voller Erwerbsminderung. Diese wurde ihr zwar gewährt, allerdings ohne Anerkennung der Kindererziehungszeiten, die im Ausland geleistet worden waren.

Die Klägerin sah sich dadurch benachteiligt und zog vor Gericht. Nach Stationen bei verschiedenen Instanzen landete der Fall vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, das die Entscheidung dem EuGH vorlegte. Dessen Urteil gibt der Klägerin nun recht: Die Auslandszeiten müssen – unter bestimmten Voraussetzungen – bei der Berechnung der deutschen EM-Rente anerkannt werden.

Was genau entschied der Europäische Gerichtshof?

Der EuGH stellte fest, dass die Nicht-Anerkennung dieser Erziehungszeiten gegen das Unionsrecht verstoßen kann, sofern die Betreffenden ansonsten in ihrer Freizügigkeit eingeschränkt würden.

Insbesondere wenn Rentenberechtigte keine parallelen Rentenansprüche in dem anderen EU-Staat erworben haben, darf Deutschland ihnen die Berücksichtigung der Erziehungszeiten nicht pauschal verweigern. Im konkreten Fall führt das dazu, dass die Klägerin rückwirkend höhere Entgeltpunkte erhält, wodurch ihre Erwerbsminderungsrente ansteigt.

Wer kann von diesem Urteil profitieren?

Betroffen sind vor allem diejenigen, die

  • in einem anderen EU-Mitgliedstaat gelebt oder gearbeitet haben,
  • dort Kinder geboren oder erzogen haben,
  • keinen oder nur unzureichenden Rentenanspruch im Ausland erworben haben,
  • und später in Deutschland einen Rentenanspruch geltend machen (z. B. wegen Erwerbsminderung oder Altersrente).

In solchen Fällen lohnt sich eine Prüfung durch Experten, ob das Urteil des EuGH anwendbar ist und zu einer Aufwertung der Rentenansprüche führen kann.

Wie profitieren Betroffene konkret?

Das Urteil führt zu einer doppelten Aufwertung der Rente:

  1. Berücksichtigung der Erziehungszeiten: Für die Kindererziehungszeiten im EU-Ausland werden zusätzliche Entgeltpunkte im deutschen Rentenversicherungssystem angerechnet.
  2. Höhere Zurechnungszeiten: Bei einer Erwerbsminderungsrente wird die sogenannte Zurechnungszeit (Zeitraum zwischen Rentenbeginn und regulärem Renteneintrittsalter) in einigen Fällen besser bewertet, wenn bereits zusätzliche Entgeltpunkte vorliegen.

Diese bessere Bewertung kann einen spürbar höheren monatlichen Rentenbetrag zur Folge haben.

Welche Schritte sollten Betroffene jetzt unternehmen?

Wer vermutet, dass er oder sie von dem Urteil profitieren könnte, sollte zunächst seine individuelle Rentenhistorie prüfen lassen. Dabei helfen:

  • Rentenberaterinnen und Rentenberater: Sie sind spezialisiert auf die Prüfung von Rentenbescheiden und können im Einzelfall klären, ob die Voraussetzungen für die Anerkennung der ausländischen Erziehungszeiten erfüllt sind.
  • Fachanwältinnen und Fachanwälte für Sozialrecht: Liegt bereits ein ablehnender Bescheid vor, kann es sinnvoll sein, rechtliche Schritte zu prüfen.

Wichtig ist es, vorhandene Nachweise über Kindererziehungszeiten im Ausland zu sammeln und sie bei der Rentenversicherung vorzulegen, da die Glaubhaftmachung dieser Zeiten oft eine Voraussetzung für die spätere Anrechnung ist.

Und die EU-Grundfreiheiten?

Der freie Personenverkehr ist eine der vier Grundfreiheiten in der Europäischen Union. Ziel ist es, EU-Bürgerinnen und EU-Bürgern zu ermöglichen, sich frei innerhalb des Binnenmarktes zu bewegen, zu arbeiten und ihren Lebensmittelpunkt zu wählen, ohne dadurch soziale oder wirtschaftliche Nachteile zu erleiden.

Genau hier setzt das Urteil an: Wer zur Zeit der Kindererziehung im EU-Ausland lebte, soll nicht rentenrechtlich schlechter gestellt werden als jemand, der sich ausschließlich in Deutschland aufgehalten hat.

Was bedeutet das Urteil für die Zukunft?

Das Urteil könnte über den Einzelfall hinaus weitreichende Auswirkungen haben. Rententräger und Gesetzgeber müssen nun sicherstellen, dass vergleichbare Fälle korrekt behandelt werden. Möglicherweise wird es weitere Verfahren geben, in denen die genaue Auslegung des Urteils konkretisiert wird. Dennoch steht bereits fest:

  • Recht auf grenzüberschreitende Anerkennung von Erziehungszeiten: Das Urteil stärkt das Vertrauen darauf, dass in anderen EU-Staaten verbrachte Zeiten nicht automatisch verloren gehen.
  • Bewusstsein für lückenlose Dokumentation: Für Betroffene gewinnt die sorgfältige Dokumentation von Auslandszeiten und Kindererziehungsphasen noch mehr an Bedeutung, um einen rechtssicheren Nachweis erbringen zu können.