Gerichte mรผssen Betroffenen die vollstรคndigen Informationen รผber medizinische Gutachten im Betreuungsverfahren zur Verfรผgung stellen. Denn nur mit dieser Kenntnis kรถnnten sie sich gegen eine Betreuung wehren, sich vorbereiten und Stellung beziehen. Dies entschied der Bundesgerichtshof (ZB 118/19).
Inhaltsverzeichnis
Was sind die Voraussetzungen fรผr die Betreuung?
Das Betreuungsgericht bestellt einen Betreuer unter der Voraussetzung, dass der oder die Betroffene eigene Angelegenheiten nicht besorgen kann – wegen einer psychischen oder kรถrperlichen Erkrankung, beziehungsweise einer kรถrperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung.
Wie kommt es zum Verfahren?
Ein Verfahren, um die Bedรผrftigkeit zur Betreuung zu erkennen und um einen Betreuer zu bestellen, beginnt mit einem Antrag, entweder von den Betroffenen selbst, von Dritten oder von amtlicher Seite. Es kann also jeder und jede dem Betreuungsgericht den Hinweis geben, dass ein bestimmter Mensch einen Betreuer benรถtigt.
Betreuung gegen den Willen der Betroffenen?
Eine Betreuung gegen den ausdrรผcklichen Willen eines Volljรคhrigen gibt es jedoch nur noch nach der Feststellung, dass dem Betroffenen die Fรคhigkeit fehlt, einen freien Willen zu bilden und damit zu erkennen, welche Bedeutung die Betreuung fรผr seine Lebensgestaltung hat. (ยง 1896 1a BGB; BGH, 14. Januar 2015, XII ZB 352/14).
Dies gilt ausdrรผcklich auch dann, wenn die Betreuung objektiv, aus medizinischer oder psychologischer Sicht fรผr den Betroffenen nur Vorteile hรคtte.
Betreuungsbehรถrde und Gericht
Tatsรคchlich regt zum Groรteil die Betreuungsbeรถrde Betreuungsverfahren an. Denn diese darf Hinweise an das Gericht weiterleiten. Die Betroffenen mรผssen รผber den Beginn des Verfahrens unterrichtet werden.
Frau kรผndigt Betreuung
Im konkreten Fall klagte eine Frau aus Deggendorf in Bayern. Sie hatte ihre Betreuung mit einem Brief an das Amtsgericht gekรผndigt, und das Gericht hatte dieses Begehren abgelehnt. Daraufhin klagte sie vor dem Landgericht. Dieses holte ein medizinisches Gutachten ein, um die medizinischen Voraussetzungen fรผr eine angeordnete Betreuung noch einmal zu prรผfen.
Alle bekommen Einsicht, nur die Betroffene nicht
Dieses Gutachten erhielten der Betreuer, der Verfahrenspfleger und die Eltern der Betroffenen. Sie selbst bekam es nicht zu sehen. Ohne sie zu informieren wies das Landgericht ihre Beschwerde ab.
Ohne Kenntnis keine Verteidigung
Der Bundesgerichtshof hob diese Entscheidung des Landgerichts auf und sparte dabei nicht mit Kritik. Das Landgericht hรคtte sichern mรผssen, so der Bundesgerichtshof, dass die Frau den vollstรคndigen Text des Gutachtens vor der Anhรถrung persรถnlich zur Verfรผgung gehabt hรคtte.
Ohne Kenntnis des Gutachtens kรถnnten sich Betroffene nicht ausreichend auf die gerichtliche Anhรถhrung vorbereiten.
Der Frau sei diese Mรถglichkeit genommen worden und so hรคtte sie keine Einwรคnde und Vorbehalte einbringen kรถnnen, um eine andere Einschรคtzung des Gerichts zu erreichen.
Nur in Ausnahmen kann die Information ausbleiben
Nur in Ausnahmen kรถnne auf diese persรถnliche Unterrichtung verzichtet werden, nรคmlich dann, wenn die Einsicht in das Gutachten der Gesundheit der Betroffenen schade oder diese ernsthaft gefรคhrde.
Das Urteil stรคrkt den Schutz der Betroffenen
Dieses Urteil stรคrkt das Recht und den Schutz der Betroffenen. Denn schlieรlich ist eine verordnete Betreuung gegen den ausdrรผcklichen Willen der Betroffenen eine teilweise Entmรผndigung. Gerade diese Menschen mรผssen also wissen, warum ein medizinisches Gutachten zu dem Schluss kommt, dass es gerchtfertigt ist, ihre Grundrechte einzuschrรคnken oder warum sie nicht in der Lage sein sollten, eine freie Willensentscheidung zu fรคllen.
Tatsรคchlich hat das Gericht ja das letztliche Urteil, dass die Betroffene nรคmlich nicht diesen freien Willen hรคtte, bereits damit vorweg genommen, indem sie ihr Einsicht in das Gutachten vorenthielt. Eine solche Praxis ist mit einem Rechtsstaat nicht vereinbar.
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Dr. Utz Anhalt ist Buchautor, Publizist, Sozialrechtsexperte und Historiker. 2000 schloss er ein Magister Artium (M.A.) in Geschichte und Politik an der Universitรคt Hannover ab. Seine Schwerpunkte liegen im Sozialrecht und Sozialpolitik. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Dokumentationen fรผr ZDF , History Channel, Pro7, NTV, MTV, Sat1.