Gericht kippt Hartz IV Mietobergrenzen in Essen

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Landessozialgericht: Kein schlüssiges Konzept für Ermittlung der Mietobergrenzen in Essen

29.11.2013

Rechtsanwalt Jan Häußler: Ich möchte im folgenden kurz die Ergebnisse der Verhandlung in den Verfahren L 7 AS 1121/13 und 1122/13 vor dem Landessozialgericht NRW (LSG) vom 28. November 13 zusammen fassen. Da die schriftlichen Urteilsgründe noch nicht vorliegen, ist diese Darstellung notwendigerweise unvollständig und nur vorläufig:

a. Der Mietspiegel kann keine Grundlage für ein schlüssiges Konzept zur Ermittlung der Mietobergrenzen (MOG) in Essen sein.

b. Der von der Stadt Essen als angemessen betrachtete Quadratmeterpreis von 4,61 Euro ist für Zwei-Personen-Haushalte „an der Grenze zur Rechtswidrigkeit“.

c. Die kalten Betriebskosten müssen zur Netto-Kaltmiete addiert werden und bilden als Summe die Mietobergrenze. Mangels kommunalen Betriebskostenspiegels sind die durchschnittlichen Werte für NRW mit 1,94 Euro/qm zu verwenden.

a. Sachverständiger Zeuge der Verhandlung war der Vorsitzende des Gutachterausschusses in der Stadt Essen Dipl.-Ing. Hans-Wolfgang Schaar. Dieser ist maßgeblich für die Erstellung des Essener Mietspiegels verantwortlich und hat hierüber Auskunft gegeben: Der Mietspiegel für Essen wurde 2001 als qualifizierter Mietspiegel nach dem Regressionsmodell erstellt. Bei einem zu erfassenden Wohnungsbestand von 322 tausend wurden 4 tausend Fragebögen ausgewertet. 2003 erfolgte eine Fortschreibung dieses Mietspiegels anhand des Verbraucherpreisindexes. 2005 fand eine neue Erhebung von eintausend Fragebögen statt. 2007 gab es eine Fortschreibung. 2009 wurde eine Neuerhebung von 954 Fragebögen einschließlich Internetformularen durchgeführt. 2011 und 2013 kam es zu Fortschreibungen wobei der Arbeitskreis Mietspiegel geschätzt hat, dass es zu keiner Veränderung gekommen sei. Es wurden hier weder Daten erhoben noch wurde der Verbraucherpreisindex oder Mietpreisindex verwendet. Der Zeuge gab an, dass die Erhebungen 2005 und 2009 keine valide Grundlage zur Erstellung einer Regression seien. Das heißt es konnten nicht alle Kategorien des Mietspiegels überprüft werden. Lediglich zur Überprüfung der Größen Mietrichtwert und Lage habe das Datenaufkommen ausgereicht. Faktisch besteht also ein ca. zwölf Jahre alter Mietspiegel, der nur aufgrund von Stichproben und Schätzungen fortgeschrieben wurde.

Wie viele Wohnungen vom Mietspiegel erfasst sind, die einen qm-Preis von bis zu 4,61 Euro haben, konnte der Zeuge nicht sagen. Das Landessozialgericht hat klar zum Ausdruck gebracht, dass diese Datenlage nicht ausreichend ist, um die Grundlage für ein schlüssiges Konzept für die MOG zu sein. Das Jobcenter beruft sich aber auf diesen Mietspiegel zur Rechtfertigung seiner MOG. Dieses dürfte nun hinfällig sein.

b. Das Gericht hat ein Gutachten der Bertelsmann Stiftung herangezogen, das von der Fa. Empirica AG erstellt wurde und im Gegensatz zum Mietspiegel, der die Bestandsmieten erfasst, die Angebotsmieten für Essen auswertet. Demnach könnte zu einem Preis von 304,00 Euro im unteren Mietsegment eine bestimmte Anzahl von Wohnungen in Essen angemietet werden, die für Zwei-Personen-Haushalte geeignet seien. Da der Wert der Stadt Essen mit 299,65 Euro nur geringfügig darunter liegt, wurde dieser Wert akzeptiert; wobei das Gericht davon sprach, dass der Wert an der Grenze zur Rechtswidrigkeit liegt. Bei Wohnungen für Ein-Personen-Haushalte sieht die Situation anders aus, hier herrscht ein starker Nachfragedruck, der sich auch mit dem demografischen Wandel und der Tendenz zu Ein-Personen-Haushalten erklären lässt. Für diese Wohnungsgröße musste das LSG keine Entscheidung treffen. Es ist jedoch zu erwarten, dass dieser Wert für die Grundmiete der Stadt Essen keinen Bestand haben würde.

c. Die MOG ist in Essen falsch bemessen, da die kalten Betriebskosten notwendigerweise mit der Grundmiete zusammen gezählt werden müssen und somit der Leistungsberechtigte eine größere Freiheit hat, eine höhere Grundmiete mit niedrigen Nebenkosten zu kompensieren (oder umgekehrt). Die Bedenken der Stadt, dass die Nebenkostenvorauszahlungen nicht identisch seien mit der Jahresabrechnung und sich möglicherweise erst nachträglich herausstellen würde, dass unangemessene Kosten vorlägen, ließ das LSG nicht gelten. Beide zuständigen Senat des Bundessozialgerichts haben mittlerweile eindeutig geurteilt, dass die sogenannte Brutto-Kaltmiete der einzig zulässige Bezugsmaßstab für die MOG ist (zuletzt die Entscheidung zu München). Auch die Vorstellung der Stadt hier Abschläge vom Betriebskostenspiegel für das Land NRW machen zu wollen, war zu verwerfen. Das Jobcenter führt hier an, dass etwa Kosten für ein privates Schwimmbad auch in diesen Durchschnitt einfließen würden und das nicht mehr eine Wohnung des unteren Standards abbilden würde. Ebenso seien Kosten für Gärtner und Aufzug sowie Hauswart nur im Einzelfall anzuerkennen.

Das LSG hat dem entgegen gehalten, dass es um eine abstrakte Berechnung ginge, nicht um die konkrete Angemessenheit. Wenn die Stadt keine eigenen Erhebungen durchführt, ist daher der Landesdurchschnitt zu nehmen. Die hastigen Ankündigungen des Sozialdezernenten, jetzt einen eigenen Betriebskostenspiegel zu erstellen, da die Betriebskosten in Essen mit Sicherheit unter dem Landesdurchschnitt lägen, lässt sich nur als Verzögerungsstrategie interpretieren. Während die Stadt vormittags beim Gericht noch keine Erkenntnisse über die lokalen Betriebskosten hat, weiß der Sozialdezernent nachmittags bereits, dass man jedenfalls erheblich unter dem Landesdurchschnitt liegt. Es steht zu befürchten, dass vom Jobcenter erneut versucht werden wird mit Verweis auf noch anzustellende Ermittlungen eine Anpassung der MOG zu blockieren. Bereits die Erhöhung zum 01.01.10 aufgrund gestiegener Wohnflächen wurde vom Jobcenter mit zweieinhalbjähriger Verspätung umgesetzt und dann auch nicht vollständig.

Mit dieser aus Sicht der Behörde „erfolgreichen“ Taktik wird nun das Jobcenter voraussichtlich versuchen, laufende Gerichtsverfahren hinauszuzögern und bei Leistungsberechtigten, die umziehen wollen, weiterhin die überholten MOG anzuwenden. Das Urteil des LSG ist jedoch rechtskräftig, die Revision wurde nicht zugelassen. Das Urteil ist also sofort umzusetzen. Alle Betroffenen sollten bis zum Jahresende die Frist nutzen, um noch für das Jahr 2012 und 2013 Leistungen für die Miete vom Jobcenter nachzufordern. (Rechtsanwalt Jan Häußler, Fachanwalt für Sozialrecht in Essen)

Bild: GG-Berlin / pixelio.de

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