EU-Bürgern stehen Hartz IV-Überbrückungsleistungen zu

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LSG Potsdam stellt sich gegen Gesetzesänderung der Großen Koalition

In Deutschland geduldete EU-Bürger können nicht von sämtlichen Sozialleistungen ausgeschlossen werden. Zumindest sogenannte Überbrückungsleistungen stehen ihnen bis zu einer wirksamen Ausweisung zu, wie das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg in Potsdam in einem am Montag, 30. September 2019, bekanntgegebenen Urteil entschied (Az.: L 15 SO 181/18). Mit einer „verfassungskonformen Auslegung” wandte es sich damit gegen eine Gesetzesänderung vom Dezember 2016, mit der die Große Koalition Sozialleistungen für EU-Bürger auf höchstens einen Monat beschränken wollte. Der Fall ist bereits beim Bundessozialgericht (BSG) in Kassel anhängig.

Die Klägerin ist in Prag geboren, lebte aber zuletzt lange in Syrien. Ihr Mann, ein Syrer, war 2005 gestorben. 2015 kam sie mit ihrer Tochter und einem Enkel wegen des Krieges in Syrien nach Deutschland. Alle drei haben neben der syrischen auch noch die tschechische und damit eine EU-Staatsangehörigkeit.

EU-Bürger dürfen für drei Monate in jedes andere EU-Land reisen, um dort Arbeit zu suchen. Auch wenn sie keine Arbeit finden, bleibt ihr Aufenthalt rechtmäßig, bis sie eine ausdrückliche Ausweisungsverfügung erhalten. Bis diese rechtswirksam ist, sind sie nicht zur Ausreise verpflichtet.

Ein formelles Aufenthaltsrecht besteht aber nicht mehr. Das Sozialgesetzbuch schließt in der Neufassung von 2016 Sozialhilfeleistungen für Ausländer grundsätzlich aus, „wenn sie kein Aufenthaltsrecht haben oder sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt”. Ausnahmen aus Härtegründen sind aber möglich.

Das LSG Potsdam entschied nun, dass EU-Bürger solange Anspruch auf sogenannte Überbrückungsleistungen haben, „wie die Ausländerbehörde gegen sie keine bestandskräftige und weiterhin wirksame Ausweisungsverfügung erlassen hat, die mit einem Einreise- und Aufenthaltsverbot verknüpft ist”.

Hierzu betonte nun das LSG Potsdame, dass die EU-Aufenthaltsregelungen eine Privilegierung bedeuten. „Bei verfassungskonformer Auslegung” dürfe sich diese nicht durch einen Ausschluss von allen Sozialleistungen in ihr Gegenteil verkehren. Vielmehr greife die gesetzliche Härteklausel. Bis zu einer wirksamen Ausreiseverfügung stünden der Klägerin samt Tochter und Enkel daher Überbrückungsleistungen zu. Überbrückungsleistungen sind Leistungen für den Lebensunterhalt, die aber geringer sind als die reguläre Sozialhilfe. Die Voraussetzungen für reguläre Sozialhilfe seien hier aber nicht erfüllt, entschied das LSG.

In seinen Urteilsgründen stützt sich das LSG auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des BSG (für Nachweise hierzu und zum nachfolgenden Hintergrund: BSG-Urteil und JurAgentur-Meldung vom 30. August 2017, Az.: B 14 AS 31/16 R).

Hintergrund ist der eindeutige und daher unbestrittene gesetzliche Ausschluss neu zugereister EU-Bürger von Hartz-IV-Leistungen. 2019 hatte allerdings das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass Asylbewerbern unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus existenzsichernde Leistungen zustehen. 2015 hatte daraus das BSG gefolgert, dass arbeitslose aber von Hartz-IV-Leistungen ausgeschlossene EU-Bürger Anspruch auf Sozialhilfeleistungen haben müssen, sofern sie nicht ausgewiesen wurden.

Dieses und entsprechende weitere BSG-Urteile waren auf heftige Kritik auch in der Politik gestoßen. So wurde eine starke Zuwanderung aus armen osteuropäischen EU-Ländern befürchtet, insbesondere Rumänien und Bulgarien. Die Gesetzesänderung vom Dezember 2016 sollte dem entgegenwirken. Schon in einem noch zum alten Recht ergangenen BSG-Urteil aus 2017 deutete sich jedoch an, dass aus verfassungsrechtlichen Gründen möglicherweise regelhaft die Härteklausel für Überbrückungsleistungen anzuwenden sein könnte.

Gegen das nun vom LSG Potsdam auch schriftlich veröffentlichte Urteil vom 11. Juli 2019 ist bereits Revision eingelegt worden. Das BSG wird daher Gelegenheit haben, nun auch ausdrücklich zu der Gesetzesänderung Position zu beziehen (Az. beim BSG: B 8 SO 7/19 R). mwo

Ist das Bürgergeld besser als Hartz IV?

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