Erwerbsminderungsrente um 185 Euro geringer wenn man zu spät Rente bezieht

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Wenn Sie seit dem 01. Januar 2019 in Erwerbsminderungsrente gegangen sind, dann haben Sie Glück. Hätte Ihre Rente nämlich vorher begonnen, dann wäre sie deutlich niedriger ausgefallen. Das hat nichts mit der Art Ihrer Erwerbsminderung zu tun, sondern ausschließlich mit dem Stichtag.

Ungleichbehandlung beschäftigt das Bundessozialgericht

Betroffene empfinden es als ungerecht, dass Sie weniger Geld erhalten als andere, die vergleichbare Lebensläufe haben. Ein Mann, der seit 2004 Erwerbsminderungsrente bezieht, ließ sich diese Ungleichbehandlung nicht bieten und ging der Rechtsweg bis vor das Bundessozialgericht. Doch dort blieb er erfolglos. (B 5 R 29/21 R).

Rund 185,00 weniger Erwerbsminderungsrente

Der Kläger bekam eine volle Erwerbsminderungsrente. Jeden Monat bezog er rund 185,00 Euro weniger, als wenn er die Rente erst seit 2019 erhalten hätte. Er verlangte vor Gericht eine Gleichstellung.

Auch für seine Bestandsrente sollten die gleichen Regeln gelten wie bei einer 2019 eingegangenen Erwerbsminderungsrente. Sozialgericht und Landessozialgericht hatten seine Klage abgewiesen, und jetzt musste das Bundessozialgericht das abschließende Urteil fällen. Auch die dortigen lehnten seinen Anspruch ab.

Wie begründen die Richter die Ablehnung?

Erst einmal betonten die Richter, dass der Gesetzgeber beim Rentenrecht einen großen Gestaltungsspielraum hätte. Sie bezweifelten nicht, dass eine Ungleichbehandlung vorliegt. Eine solche Ungleichbehandlung sei gerechtfertigt, wenn dafür sachliche Gründe vorlägen.

Die Zukunftsbezogenheit von Leistungsverbesserungen sei ein solcher Grund. Rentenexperte Peter Knöppel erläutert: „Laut dem 5. Senat des BSG hätte ein rückwirkender Eingriff  hohe Milliardenkosten verursacht und die Rentenversicherung vor enorme verwaltungstechnische Herausforderungen gestellt.“

Es sei, laut dem Bundessozialgericht, zulässig, Bestandsrentner von Verbesserungen auszuschließen. Dies dürfe allerdings nicht willkürlich erfolgen.

Die sogenannte Zurechnungszeit ist ein fiktiver Zeitraum, der Erwerbsgeminderten bei der Rentenberechnung wie zusätzliche Arbeitsjahre angerechnet wird – mit dem Ziel, die Rentenhöhe an das Arbeitsleben ohne Erwerbsminderung anzugleichen.

Neue Gesetze gelten für neue Fälle

Knöppel schließt: „Wer früher krank wurde, hat Pech gehabt, so kann man das Urteil interpretieren. Mit dem Rentenpaket 2019 wurde diese Zurechnungszeit deutlich verlängert – aber nur für neue Rentenfälle. Menschen mit Erwerbsminderungsrenten vor dem 1. Januar 2019 bleiben ausgeschlossen. Die Entscheidung beruht auf dem Prinzip: Neue Gesetze gelten für neue Fälle.“

Ein pauschaler Renten-Zuschlag

Die Ungleichbehandlung älterer und neuerer Erwerbsminderungsrentner führte zu harten Protesten von Sozialverbänden. Auf diesen Druck hin führte die Ampelregierung seit dem 01. Juli 2024 einen pauschalen Renten-Zuschlag für Erwerbsgeminderte ein, deren Renten zwischen 2001 und 2018 begonnen haben.

Wer zwischen 2001 und 2014 in die Erwerbsminderung rutschte, bekommt 7,5 Prozent Zuschuss, und wer zwischen 2015 und 2018 das erste Mal seine Rente bezog, erhält 4,5 Prozent.

Auch der Mann, der vor dem Bundessozialgericht klagte, bekommt also ab Juli 2024 mehr Rente pro Monat als zuvor. Das ist aber weit entfernt von den 185,00 Euro, die er bei einer echten Gleichstellung zusätzlich beziehen würde.

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Bitterer Beigeschmack

Knöppel bewertet das Urteil kritisch: „Die Ungleichbehandlung ist verfassungsrechtlich korrekt – sozialpolitisch ist dies ein Signal mit bitterem Beigeschmack.

Das Bundessozialgericht hat klargestellt: Der Gesetzgeber darf bei Rentenreformen Stichtage setzen, auch wenn daraus spürbare soziale Ungleichheiten entstehen.

Die Entscheidung ist juristisch haltbar, doch viele Betroffene empfinden sie als moralisch ungerecht.“ Recht, so ließe sich schließen, bedeutet für den Einzelnen nicht notwendig Gerechtigkeit.

Gleichstellung bei der Mütterrente

Anders als bei der Erwerbsminderungsrente geht die neue Regierungskoalition bei der Mütterente vor.

Hier gab es bisher ebenfalls eine Ungleichbehandlung. So bekamen Mütter, deren Kinder vor 1992 zur Welt kamen, deutlich weniger Geld als solche, deren Kinder danach geboren wurden. Jetzt werden alle Mütter gleichgestellt.

Doch auch dies blieb nicht ohne Kritik. Die Kritiker argumentieren, dass diese Gleichstellung viele Milliarden Euro kostet, die die jüngere Generation zusätzlich tragen müsste.

Das Rentensystem sei nicht darauf angelegt, Ungleichbehandlungen der Vergangenheit mit neuen Gesetzen finanziell zu stopfen, sondern müsste sich auf die Zukunft konzentrieren.

Außerdem hätten ältere Mütter noch Vorteile genossen wie die Rente mit 60 ohne Abschlag, von denen jüngere Mütter nicht mehr profitieren würden. Rentenentscheidungen sind also komplex und müssen viele Faktoren bedenken.

Millionen werden benachteiligt

Rentenexeperte Knöppel ist nicht glücklich über das Urteil des Bundessozialgerichts. Er kommt zu dem Ergebnis: „Was bleibt: Ein Rentensystem, das auf dem Grundsatz „Neuregelungen nur für Neufälle“ basiert – und damit 3 Millionen Menschen benachteiligt, die zufällig vor dem Stichtag erwerbsgemindert wurden.“