Für den Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente (EM-Rente) ist nicht die Ursache entscheidend, sondern die täglich mögliche Arbeitszeit – weniger als drei Stunden täglich bei voller, und weniger als sechs Stunden täglich bei teilweiser Erwerbsminderung. Zugleich führen bestimmte Ursachen zu dieser verringerten Arbeitsleistung, und dazu zählen orthopädische Erkrankungen. Wann rechtfertigen diese eine Erwerbsminderungsrente?
Inhaltsverzeichnis
Die Einschränkung muss mindestens sechs Monate anhalten
Orthopädische Erkrankungen wie Bandscheibenvorfälle, Arthrosen oder Rückenschmerzen führen dann zur Erwerbsminderung, wenn die Arbeitsfähigkeit dadurch dauerhaft eingeschränkt ist und dieser Zustand mindestens sechs Monate anhält.
Welche orthopädischen Krankheiten können zur Erwerbsminderung führen?
Die häufigsten orthopädischen Erkrankungen, in deren verlauf eine Erwerbsminderunsgrente gewährt wird, sind: Bandscheibenvorfall, Hüftdysplasie, Skoliose, Arthrose, Rheuma, Sklerodermie und Wirbelsäulenversteifung.
Wie läuft die Prüfung?
Wenn Sie Ihren Antrag auf Erwerbsminderungsrente gestellt haben, prüft die Rentenversicherung, ob Sie noch mindestens drei oder sechs Stunden arbeiten können. Zu dieser Prüfung gehören umfassende medizinische Dokumentation, ärztliche Befunde und Entlassungsberichte aus Kliniken, die die Auswirkungen der Erkrankung auf Ihre Leistungsfähigkeit zeigen.
Die Zahl der Erwerbsminderungsrenten wegen orthopädischen Leiden geht zurück
Ihre Vorsorge führt aus: „Wenn es um die Zuweisung einer Erwerbsminderungsrente (-Rente) geht, spielen Erkrankungen im Bereich des Skeletts eine immer geringere Rolle. Dieser überraschende Befund geht aus Daten der Deutschen Rentenversicherung () hervor, die ihre-vorsorge.de vorliegen. Demnach sank die Zahl der -Renten, die wegen einer chronischen orthopädischen Erkrankung bewilligt wurden, zwischen 1993 und 2022 von rund 81.000 auf etwas mehr als 18.000 – weniger als ein Viertel.“ 2024 gab es nur noch 9,92 Prozent der Erwerbsminderungsrenten aus orthopädischen Gründen.
Es geht um die tägliche Leistungsfähigkeit bei irgendeiner Arbeit
Wir wissen aus Zuschriften unserer Leser, dass bei den Kriterien einer Erwerbsminderung häufig qualitative Einschränkungen und quantitative Einschränkungen verwechselt werden. Kriterium für eine Erwerbsminderung ist die täglich mögliche Leistungsfähigkeit bei irgendeiner Erwerbsbeschäftigung.
Wenn Sie bestimmte Tätigkeiten wegen Ihrer Arthrose oder Ihres Bandscheibenvorfalls nicht mehr ausüben können, wie zum Beispiel schweres Heben oder Arbeit im Stehen, dann rechtfertigt das noch keine Erwerbsminderungsrente.
Warum ist es schwer, allein wegen orthopädischen Leiden Rente zu beziehen?
Viele Betroffene, die (auch) wegen ihrer orthopädischen Erkrankungen eine Erwerbsminderungsrente beziehen, haben zugleich weiter Krankheiten wie zum Beispiel psychische Leiden oder Herz-Kreislauf-Beschwerden. Wegen eines orthopädischen Leidens allein eine Erwerbsminderungsrente zu erhalten, kommt seltener vor, und das hat Gründe.
Die meisten orthopädischen Erkrankungen wie Arthrosen oder Bandscheibenvorfälle schränken lediglich bei schweren und mittelschweren körperlichen Arbeiten das tägliche Leistungsvermögen auf unter sechs Stunden ein. Kurz gesagt: Selbst wenn Sie mit einer schweren Arthose im Knie sich nur mit Krücken bewegen können, ist Ihre Leistung nicht eingeschränkt, wenn Sie auf einem orthopädischen Stuhl an einem orthopädischen Schreibtisch am Laptop arbeiten.
Auch leichte Tätigkeiten im Sitzen zählen
So lehnte das Landessozialgericht Hamburg den Anspruch einer Frau auf Erwerbsminderungsrente ab, obwohl diese mehrere Bandscheibenoperationen hinter sich hatte und unter chronischen Schmerzen litt. Sie hielten die Betroffene nämlich weiterhin für fähig, leichte Tätigkeiten im Sitzen weiterhin mehr als sechs Stunden pro Tag auszuführen. (L 3 R 60/20).
Auch starke Einschränkungen müssen keine Erwerbsminderung begründen
In einem anderen Fall sah das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt keinen Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente bei einer Betroffenen, die an vielfältigen orthopädischen Beschwerden litt, darunter starken Einschränkungen in der Hals- und Lendenwirbelsäule sowie an chronischen Schmerzen. (L 1 R 16/10)
Die Richter begründeten ihre Entscheidung folgendermaßen: „Die Klägerin kann noch sechs Stunden täglich leichte körperliche Arbeiten unter qualitativen Einschränkungen im Hinblick auf den Bewegungs- und Haltungsapparat (kein häufiges Über-Kopf-Arbeiten, kein häufiges Bücken, kein häufiges Tragen und Heben von Lasten aus der Vorbeuge, keine ständigen Rumpfzwangshaltungen, keine Rüttelung und Stauchung der Wirbelsäule, keine besonderen Anforderungen an die maximale Kraft und Belastbarkeit der Handgelenke, keine anhaltenden feinmotorischen Arbeiten, keine besonderen Anforderungen an die Stressbelastung, keine Fließband- oder Akkordarbeit, keine Arbeit mit erhöhter oder herausragender Verantwortung für Menschen und Maschinen bzw. Arbeiten mit erhöhter Unfallgefahr) verrichten.“
Das Landessozialgericht Bayern entschied gegen einen ehemaligen Maurer, nachdem die erste Instanz diesem eine Erwerbsminderungsrente zugestanden hatte. Zwar könne er nicht mehr als Maurer arbeiten, sei aber noch in der Lage, überwiegend sitzende Tätigkeiten miut Wechsel zum Stehen und Gehen auszuüben. Trotz Einschränkungen sei auch seine Wegefähigkeit gegeben. (L 19 R 696/06)
Warum gab es früher mehr Renten wegen orthopädischer Erkrankungen
Die Vorsorge gibt selbst kein Urteil ab, warum heute wesentlich weniger Erwerbsminderungsrenten wegen orthopädischer Erkrankungen anerkannt werden als noch in den frühen 1990ern. Die Vermutung liegt allerdings nahe, dass dies mit einer Änderung im Rentenrecht zusammenhängt.
Wer bis 1960 zur Welt kam, hatte als Versicherter die Möglichkeit, eine Rente wegen Berufsunfähigkeit zu bekommen. Diese wurde wie eine teilweise Erwerbsminderungsrente behandelt. Die Älteren erhalten also eine teilweise Erwerbsminderungsrente, wenn sie nicht mehr in ihrem erlernten oder zuletzt ausgeübten Beruf arbeiten können, die Jüngeren nur, wenn Sie allgemein weniger als sechs Stunden pro Tag leisten können. Wer 1960 zur Welt kam, ist heute 64 oder 65 Jahre alt, und das bedeutet: Die allermeisten, für die eine Berufsunfähigkeitsrente in Frage gekommen wäre, sind heute in Altersrente.
Wegfall der Berufsunfähigkeitsrente wichtig bei orthopädischen Leiden
Diese Regelung hat besondere Auswirkungen auf diejenigen, die wegen orthopädischer Erkrankungen berufsunfähig werden. Wermit Geburtsjahr 1960 oder früher wegen einer Arthrose oder Rheuma nicht mehr als Dachdecker, Zimmermann oder Betonmischer arbeiten konnte, hat Anspruch auf eine Berufsunfähigkeitsrente, sprich teilweise Erwerbsminderungsrente. Der jüngere Schlosser oder Gerüstbauer, der seinen Beruf nicht mehr ausüben kann, hat diesen Rentenanspruch hingegen nicht, falls er noch zum Beispiel eine Bürotätigkeit ausüben könnte.