EM-Rente: Auto ist Voraussetzung für die Erwerbsminderungrente?

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Nach § 43 Abs. 2 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf eine volle Erwerbsminderungsrente, wenn sie nicht mehr in der Lage sind, bestimmte grundlegende Mobilitätsanforderungen zu erfüllen.

Konkret bedeutet dies, dass der Versicherte viermal täglich nicht in der Lage ist, Strecken von mehr als 500 Metern innerhalb von 20 Minuten zurückzulegen und zudem zweimal täglich während der Hauptverkehrszeit keine öffentlichen Verkehrsmittel nutzen kann.

Welche Hintergründe hatte der vorliegenden Fall?

Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine 1964 geborene Klägerin, die eine Ausbildung zur staatlich geprüften Wirtschafterin abgeschlossen hat.

Zuletzt war sie seit 2006 als Großküchenkraft in einer Jugendherberge im Schichtdienst tätig und nutzte einen auf ihren Namen zugelassenen Opel Astra, um zur Arbeit zu gelangen.

Aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen, die ihre Gehfähigkeit stark beeinträchtigten, beantragte sie eine volle Erwerbsminderungsrente.

Der Antrag wurde jedoch vom Rentenversicherungsträger abgelehnt, woraufhin die Klägerin nach erfolglosem Widerspruchsverfahren Klage beim Sozialgericht einreichte.

Wie argumentierte die Klägerin im Verfahren?

Die Klägerin argumentierte, dass ihre gesundheitlichen Einschränkungen sie daran hinderten, die erforderlichen Wege zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückzulegen.

Während des Klageverfahrens meldete sie ihr Fahrzeug zum 11. September 2019 ab, da sie es aufgrund ihrer gesundheitlichen Situation nicht mehr sicher nutzen konnte.

Die Abmeldung sollte zeigen, dass ihre Mobilität stark eingeschränkt war und sie ohne den Pkw nicht in der Lage war, die notwendigen Wege zurückzulegen.

Welche Entscheidung traf das Sozialgericht?

Am 28. Oktober 2020 gab das Sozialgericht der Klage statt und erkannte den Anspruch der Klägerin auf eine volle Erwerbsminderungsrente an.

Diese Entscheidung wurde vom beklagten Rentenversicherungsträger angefochten, der daraufhin Berufung beim Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen einlegte.

Wie begründete das Landessozialgericht seine Entscheidung?

Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen bestätigte die Entscheidung des Sozialgerichts und wies die Berufung des Rentenversicherungsträgers zurück.

In seiner Begründung betonte das Gericht, dass das Vorhandensein eines Minimums an Mobilität Teil des versicherten Risikos sei.

Dieses Risiko habe sich in dem Moment verwirklicht, als die Klägerin aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen nicht mehr in der Lage war, die notwendige Mobilität durch den jederzeitigen Zugriff auf ihren Pkw sicherzustellen.

Das Gericht stellte klar, dass es unerheblich sei, ob die Abschaffung des Fahrzeugs auf subjektiv empfundene Fahrunsicherheit, technische Probleme oder wirtschaftliche Erwägungen zurückzuführen sei.

Es könne nicht gefordert werden, dass Versicherte ihren Pkw behalten müssten, um das versicherte Risiko nicht eintreten zu lassen. Eine solche Verpflichtung sei weder gesetzlich noch praktisch vertretbar.

Wurde die EM-Renten absichtlich herbeigeführt?

Ein wichtiger Punkt des Urteils war die Frage, ob die Klägerin den Versicherungsfall absichtlich herbeigeführt habe, was gemäß § 103 SGB VI einen Ausschluss des Rentenanspruchs zur Folge haben könnte.

Das Gericht stellte fest, dass die Klägerin ihre gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht vorsätzlich herbeigeführt habe.

Ihre weitgehend eingeschränkte Gehfähigkeit bestand unverschuldet und unabhängig von der Abschaffung des Pkw. Daher sei die Abschaffung des Fahrzeugs keine rentenschädliche Herbeiführung des Versicherungsfalles.

Was bedeutet das Urteil für die Praxis?

Das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen hat weitreichende Bedeutung für die Praxis der Rentenversicherung.

Es stellt nämlich klar, dass die Abschaffung eines eigenen Pkw keine Grundlage für den Ausschluss des Anspruchs auf eine volle Erwerbsminderungsrente darstellt.

EM-Rentner dürfen nicht gezwungen werden, ein Fahrzeug zu behalten, um ihre Mobilität sicherzustellen, wenn dies aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen nicht mehr zumutbar ist.

Wurde eine Revision zugelassen?

Das Landessozialgericht entschied, dass die Voraussetzungen nach § 160 Abs. 2 SGG für die Zulassung der Revision zum Bundessozialgericht nicht vorlagen.

Der beklagte Rentenversicherungsträger legte zunächst eine Nichtzulassungsbeschwerde ein, zog diese jedoch später zurück, wodurch das Urteil rechtskräftig wurde. (AZ:: L 4R1015/20)