Ein rechtswidriger Rückforderungsbescheid der Elterngeldstelle für eine gleichzeitig beziehende Bürgergeld beziehende Mutter muss erlassen werden wegen Unterschreitung des Existenzminimums und sozialer Härte.
LSG Niedersachsen-Bremen stärkt die Rechte von Elterngeldbeziehen mit Bürgergeld- Bezug bei rechtswidrigen Rückforderungen wegen Unbilligkeit und Missachtung des Grundrechts auf Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums ( Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG)
Eine selbstständige Mutter mit niedrigem Einkommen war auf den Bezug von Bürgergeld- Leistungen angewiesen und sollte trotzdem ratenweise rund 2000,00 € zurück erstatten.
Die Rückforderung war unbillig und somit zu erlassen
Das Landessozialgericht Niedersachsen – Bremen gibt mit einem Hammer – Urteil (AZ: L 2 EG 3/23 -) bekannt, wenn die endgültige Festsetzung von zunächst vorläufig erbrachten Elterngeldzahlungen rechnerisch zu einem Erstattungsanspruch der Elterngeldstelle führt, dann ist dieser nach § 42 Abs. 3 SGB I i.V.m. § 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB IV zu erlassen.
Wenn die überhöhten vorläufigen Zahlungen im wirtschaftlichen Ergebnis nicht die betroffenen Eltern, sondern das zeitgleich ergänzende einkommensabhängige Leistungen zur Sicherung des notwendigen Lebensunterhalts erbringende Jobcenter begünstigt haben.
Die Mutter war aufgrund ihrer finanziellen Notlage in dem von der Rückforderung betroffenen Leistungszeitraum der ersten vierzehn Lebensmonate ihrer Tochter neben dem gewährten Elterngeld und ihren relativ geringen Einnahmen aus ihrer selbständigen Tätigkeit auf ergänzende Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II zur Sicherung des notwendigen Lebensunterhalts angewiesen.
Mit der Rückforderung im Zuge der endgültigen Festsetzung des Elterngeldanspruchs begehrt die Behörde gerade die Teilbeträge der zuvor vorläufig erbrachten Elterngeldleistungen zurück, welche den Mindestbetrag von monatlich 300 € überstiegen haben.
Die vorläufige Zahlung dieser Teilbeträge hat im Ergebnis bei der beschriebenen Ausgangslage im wirtschaftlichen Ergebnis aber gar nicht die Klägerin, sondern das Jobcenter wirtschaftlich begünstigt. Aufgrund der vorläufig in (gemessen an der endgültigen Festsetzung) überhöhtem Maße gewährten Elterngeldzahlungen haben sich in gleicher Höhe die (einkommensabhängigen) Leistungsansprüche der Klägerin gegenüber dem Jobcenter gemindert, dessen Leistungsaufwendungen haben sich entsprechend reduziert.
Hätte die Behörde von Vornherein auch bereits im Rahmen der vorläufigen Leistungen das Elterngeld nur in Höhe des der Klägerin im Ergebnis zustehenden Mindestbetrages erbracht, wäre dies für die Klägerin im Ergebnis mit keinem wirtschaftlichen Nachteil verbunden gewesen.
In diesem Fall hätte sich korrespondierend mit entsprechend geringeren Elterngeldleistungen der einkommensabhängige Grundsicherungsanspruch gegenüber dem Jobcenter entsprechend erhöht, so dass die Klägerin in der Summe beider Leistungen über denselben Gesamtbetrag verfügt hätte.
Verpflichtung der Behörde zur Rückforderung war rechtswidrig – Rückforderungsbetrag hätte von der Behörde erlassen werden müssen wegen besonderer Härte
Denn mit ihrem Vorgehen verkehrt die Behörde die gesetzgeberischen Intentionen letztlich in ihr Gegenteil. Gerade zur Vermeidung solcher sachwidrigen und den gesetzgeberischen Zielvorgaben widersprechenden Ergebnisse war sie von Rechts wegen verpflichtet, den sich rechnerisch ergebenden Rückforderungsbetrag zu erlassen.
Die Einziehung des rechnerisch überzahlten Elterngeldbetrages ist nach Lage des vorliegenden Falles als unbillig im Sinne von § 42 Abs. 3 SGB I i.V.m. § 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB IV zu werten, wobei das Ermessen der Beklagten im Sinne eines vollständigen Erlasses reduziert ist.
Wann ist die Verfolgung eines Anspruchs – Unbillig
Sachlich unbillig ist die Verfolgung eines Anspruches, wenn sie zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Falle derart zuwiderläuft, dass die Beitreibung des Anspruchs als ungerecht erscheint.
Denn der Gesetzgeber wollte schon im Ausgangspunkt, mit den Vorgaben des § 42 Abs. 3 SGB I sicherstellen, dass etwaige Erstattungsverpflichtungen des Bürgers nicht zu wirtschaftlichen Härten führen (BT-Drs. 7/3786, S. 5).
Benachteiligung von Bürgergeld- Empfängern mit Elterngeldbezug
Denn diese müssen sich im Leistungszeitraum die vorläufig in im Ergebnis überhöhter Höhe zuerkannten Elterngeldzahlungen auf den ergänzenden Grundsicherungsanspruch in voller Höhe der tatsächlich zunächst erbrachten Zahlungen anrechnen lassen und können nach der rückwirkenden Kürzung der Elterngeldleistungen im Zuge von deren endgültiger Bemessung auch nicht mehr rückwirkend höhere Grundsicherungsleistungen in Anspruch nehmen.
Stattdessen sollen sie nach dem Verständnis der Elterngeldstelle – aus eigenen Mitteln ratenweise die Elterngeldüberzahlung ausgleichen, obwohl sie im Ergebnis nie mehr bekommen haben, als ihnen schon zur Sicherung des Existenzminimums zustand.
Das Ergebnis ist sachwidrig, weil das Existenzminimum unterlaufen wird – Missachtung des Grundrechts auf Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums ( Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG )
Das Ergebnis ist sachwidrig und widerspricht den gesetzgeberischen Wertungen, welche insbesondere in den Vorgaben über die verlässliche Absicherung des Existenzminimums durch Leistungen nach dem SGB II (bzw. SGB XII) zum Ausdruck gebracht werden.
Damit wird zugleich das verfassungsrechtlich gewährleistete Grundrecht der Klägerin auf Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG missachtet, welches ihr aufgrund ihrer Hilfebedürftigkeit im Leistungszeitraum einen Anspruch (dauerhafte) Gewährung der finanziellen Voraussetzungen zur Sicherung ihres Existenzminimums vermittelte.
Wirtschaftliche Härten sind laut Gesetzgeber zu vermeiden – BSG, Urteil vom 30. Juni 2016 – B 5 RE 1/15 R –
Es gelten entsprechend die Erwägungen, welche das BSG zu der Einschätzung bewogen haben, dass ein atypischer Fall im Sinne des § 48 Abs. 1 S 2 Nr. 2 bis 4 SGB X festzustellen ist, wenn der Betroffene infolge des Wegfalls jener Sozialleistungen, deren Bewilligung rückwirkend aufgehoben wurde, im Nachhinein unter den Sozialhilfesatz sinken oder vermehrt sozialhilfebedürftig würde.
Das BSG stellt dabei darauf ab, dass ein im Vergleich zum Normalfall entsprechender Rückforderungen hinzutretender zusätzlicher Schaden in solchen Konstellationen im Hinblick darauf festzustellen ist, dass der Betroffene (höhere) Sozialhilfeansprüche zur Sicherung seines aus Art 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art 20 Abs. 1 GG folgenden Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Lebens, welche ihm zugestanden hätten, wenn die zurückgeforderten Sozialleistungen nicht zugeflossen wären, rückwirkend nicht mehr geltend machen kann.
Er hätte dann im Ergebnis wegen der Pflicht zur Rückzahlung aus seinem gegenwärtigen Einkommen und Vermögen solche Leistungen zu ersetzen, auf die er in der Vergangenheit einen Anspruch gehabt hätte.
Fazit
Wenn die endgültige Festsetzung von zunächst vorläufig erbrachten Elterngeldzahlungen rechnerisch zu einem Erstattungsanspruch der Elterngeldstelle führt, dann ist dieser nach § 42 Abs. 3 SGB I i.V.m. § 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB IV zu erlassen, wenn die überhöhten vorläufigen Zahlungen im wirtschaftlichen Ergebnis nicht die betroffenen Eltern, sondern das zeitgleich ergänzende einkommensabhängige Leistungen zur Sicherung des notwendigen Lebensunterhalts erbringende Jobcenter begünstigt haben.