Das Sozialgericht Karlsruhe hat die Untätigkeitsklage eines 66-Jährigen abgewiesen, weil das Jobcenter seinen Widerspruch längst bearbeitet hatte. Der Kläger wollte trotz Regelaltersrente weiter bürgergeldähnliche Hilfe für offene Hausgeld-Nachforderungen erhalten.
Das Urteil zeigt: Wer nach Rentenbeginn Unterstützung für Wohnkosten braucht, muss nicht das Jobcenter, sondern primär die Wohngeldstelle ansteuern. (AZ: S 12 AS 1287/25)
Inhaltsverzeichnis
Auslaufmodell Bürgergeld nach Rentenbeginn
Seit 1. Oktober 2024 bezieht der Kläger eine Regelaltersrente. Damit endet die Zuständigkeit des Jobcenters (§ 7 Abs. 4 SGB II). Rentnerinnen und Rentner erhalten nur noch Hilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (Sozialhilfe) oder – wenn sie knapp oberhalb der Grundsicherungsgrenze liegen – Wohngeld. Wer trotzdem beim Jobcenter Leistungen verlangt, riskiert Ablehnungen und verlorene Prozesse.
Worum ging es konkret?
Der Mann hatte am 2. Mai 2025 per E-Mail beantragt, das Jobcenter solle knapp 600 Euro Nebenkostennachzahlung für 2023 übernehmen. Gleichzeitig schickte er eine Mahnung seiner Wohnungseigentümergemeinschaft. Das Jobcenter lehnte am selben Tag ab und verwies auf die Wohngeldstelle. Er legte am 9. Mai Widerspruch ein und reichte am 15. Mai eine Untätigkeitsklage ein. In der Klageschrift attackierte er Gericht und Behörde mit massiven Beschimpfungen, ohne jedoch einen klaren Leistungsantrag zu stellen.
Am 20. Mai 2025 erließ das Jobcenter den Widerspruchsbescheid und schickte die Unterlagen ans Gericht. Damit war es nicht mehr „untätig“. Das Gericht fragte den Kläger schriftlich, ob er die Klage in eine Leistungs- oder Verpflichtungsklage umwandeln wolle, um die Wohngeldstelle beizuladen. Antwort blieb aus.
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Warum hat das Gericht abgewiesen?
Eine Untätigkeitsklage setzt voraus, dass eine Behörde innerhalb von drei Monaten keinen Widerspruchsbescheid erlässt (§ 88 Abs. 2 SGG). Zwischen Widerspruch (9. Mai) und Bescheid (20. Mai) lagen aber nur elf Tage. Damit fehlte die Grundvoraussetzung. Zudem fehlte nach Erlass des Bescheids jedes „Rechtsschutzbedürfnis“.
Kurz: Die Klage war unnötig. Das Gericht durfte mangels Klageumstellung nicht prüfen, ob die Stadt Karlsruhe nach dem sogenannten sozialrechtlichen Herstellungsanspruch zahlen muss (§ 75 Abs. 5 SGG). Es blieb an die ursprüngliche Klage gebunden (§ 123 SGG).
Was bedeutet das für Betroffene?
Nach Rentenbeginn können Sie kein Bürgergeld mehr beziehen; um offene Nebenkosten auszugleichen, bleibt Ihnen nur, entweder Wohngeld nach § 22 Abs. 1 WoGG oder – falls Ihr Einkommen nicht reicht – Grundsicherung im Alter nach §§ 41 ff. SGB XII zu beantragen.
Reichen Sie den Antrag direkt bei der zuständigen Behörde ein oder veranlassen Sie, dass das Jobcenter Ihre Unterlagen gemäß § 16 Abs. 2 SGB I weiterleitet. Kommt es zu keiner Weiterleitung, lässt sich unter Umständen ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch durchsetzen, allerdings nur, wenn Sie zuvor das richtige Rechtsmittel gewählt haben.
Fehler, die Geld und Nerven kosten
Der Kläger unterlag, weil er das falsche Sozialgesetzbuch heranzog, die unpassende Klageart wählte, zentrale Fristen versäumte und die Hinweise des Gerichts ignorierte. Leserinnen und Leser sparen viel Zeit, wenn sie gleich die zuständige Behörde ansprechen; häufig reicht bereits ein formloser Zweizeiler an die Wohngeldstelle, um Zahlungsfristen zu stoppen.
Welche Fristen gelten?
Gegen ablehnende Bescheide können Sie einen Monat lang Widerspruch einlegen (§ 84 SGG). Bleibt die Behörde untätig, dürfen Sie frühestens nach drei Monaten Untätigkeitsklage erheben (§ 88 Abs. 2 SGG). Offene Betriebskostenforderungen an Ihren Vermieter können Sie bis zu drei Jahre nach Zugang der Abrechnung zurückverlangen (§ 195 BGB).
Um Mahnkosten zu vermeiden, sollten Sie die Behörde schriftlich um eine einstweilige Anordnung bitten (§ 86b SGG) und zugleich den Vermieter über das laufende Verfahren informieren.
Praxisbeispiel: So klappt es
Ein Rentner erhält 1 150 Euro Bruttorente und muss 300 Euro Kaltmiete zahlen. Nach Betriebskostenabrechnung werden 420 Euro nachgefordert. Er stellt am selben Tag einen Wohngeldantrag, fügt die Abrechnung bei und bittet um Vorschuss.
Die Stadt überweist sechs Wochen später 350 Euro Wohngeld plus 70 Euro Heizkostenzuschuss. Er vermeidet Schulden, weil er das richtige Verfahren nutzte.
Einordnung des Falls
Das Urteil bestätigt die ständige Rechtsprechung: Nach Rentenbeginn übernimmt das Jobcenter keine Unterkunftskosten mehr. Gleichzeitig erinnert es die Behörden an ihre Beratungspflicht: Lehnt das Jobcenter einen Antrag nur deshalb ab, weil eine andere Stelle zuständig ist, muss es die Unterlagen weiterleiten. Unterlässt es das, kann die nachrangige Behörde nach § 75 Abs. 5 SGG verurteilt werden. Doch dafür braucht es die richtige Klageart.
Die Entscheidung ist kein Skandal, sondern Routine. Dennoch zeigt sie, wie schnell Leistungsberechtigte in eine Verfahrensfalle geraten. Wer Belege spät einreicht oder emotionale Schreiben verfasst, riskiert formale Niederlagen. GegenHartz.de empfiehlt, jede Ablehnung juristisch prüfen zu lassen und gegebenenfalls fachkundige Hilfe – etwa bei Sozialverbänden – in Anspruch zu nehmen.