Wer in Deutschland fast drei Jahrzehnte lang arbeitet und dabei durchschnittlich verdient, hat im Alter kaum mehr als jemand, der nie eingezahlt hat. Erst nach 29 Jahren und zwei Monaten zum Durchschnittslohn ist die gesetzliche Rente so hoch, dass sie knapp über dem Niveau der Grundsicherung im Alter liegt – das sind etwa 10.000 Euro im Jahr, rund 833 Euro monatlich.
Diese Zahl stammt aus einer aktuellen Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage des Bundestagsabgeordneten Sören Pellmann (Die Linke). Die Regierung bestätigte damit schwarz auf weiß, was viele längst befürchten: Ein normales Arbeitsleben schützt in Deutschland nicht mehr zuverlässig vor Altersarmut.
Arbeiten bis zur Armutsschwelle
Wer im Alter mehr als das bloße Existenzminimum zur Verfügung haben will, muss sehr lange durchhalten. Für eine Nettorente von 1.380 Euro sind 40 Jahre Erwerbsarbeit zum aktuellen Durchschnittslohn nötig. Für 1.500 Euro netto sogar 43 Jahre und sechs Monate.
Die dabei erforderlichen Einzahlungen in die gesetzliche Rentenkasse summieren sich enorm:
- 92.662 Euro für 29 Jahre,
- 114.489 Euro für 40 Jahre,
- 191.889 Euro für über 43 Jahre.
Diese Zahlen zeigen: Das deutsche Rentensystem belohnt lange Erwerbsbiografien – doch wer sie nicht vorweisen kann, steht am Ende oft mit viel zu wenig da. Besonders betroffen sind Frauen, Menschen mit Unterbrechungen durch Erziehung oder Pflege, Niedriglohnempfänger und Selbstständige ohne Pflichtversicherung.
Durchschnittslohn reicht nicht – die stille Rentenlücke
Der durchschnittliche Bruttolohn in Deutschland lag laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2023 bei etwa 3.700 Euro pro Monat. Damit sind Beschäftigte zwar keine Geringverdiener – aber auch keine Besserverdienenden. Trotzdem reicht selbst dieser Lohn bei einer Lebensarbeitszeit von fast drei Jahrzehnten nur für das absolute Minimum.
Und: Diese Rechnung gilt nur bei durchgehender Erwerbstätigkeit ohne Unterbrechungen. Laut Studien des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) hat fast jede zweite Erwerbsbiografie Lücken – durch Arbeitslosigkeit, Krankheit, Pflegezeiten oder andere Faktoren.
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes bezogen 2023 bereits über 660.000 Menschen in Deutschland Grundsicherung im Alter. Die Dunkelziffer dürfte höher liegen, denn viele Anspruchsberechtigte verzichten aus Scham oder Unwissenheit auf den Antrag. Die Tendenz ist seit Jahren steigend.
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Rente und Realität in Deutschland
Beispielrechnung | Dauer (Durchschnittsverdienst) | Monatliche Nettorente | Gesamteinzahlung |
Grundsicherungsniveau (ca. 833 €) | 29 Jahre, 2 Monate | ~10.000 € / Jahr | 92.662 € |
Armutsschwelle (ca. 1.250 €) | ca. 37,5 Jahre | ~15.000 € / Jahr | nicht beziffert |
Moderate Rente (ca. 1.380 € netto) | 40 Jahre | ~16.560 € / Jahr | 114.489 € |
Wunsch-Rente (1.500 € netto) | 43 Jahre, 6 Monate | ~18.000 € / Jahr | 191.889 € |
Quellen: Bundesregierung, Anfrage Die Linke, Rentenversicherung, Statistisches Bundesamt
Politische Kritik und Forderungen
Der Linken Abgeordnete Sören Pellmann kritisiert die Lage scharf. Er verweist darauf, dass man fast 38 Jahre zum Durchschnittslohn arbeiten muss, um überhaupt das Niveau der offiziellen Armutsgrenze zu erreichen – derzeit bei etwa 1.250 Euro monatlich.
„Es ist unzumutbar, dass ein normales Arbeitsleben nicht mehr reicht, um im Alter würdevoll zu leben“, so Pellmann.
Die Partei Die Linke fordert deshalb eine „solidarische Erwerbstätigenversicherung“, in die alle Erwerbstätigen einzahlen – also auch Beamte, Selbstständige, Freiberufler, Manager und Politiker. Ziel ist ein System, das breiter finanziert ist und mehr soziale Gerechtigkeit schafft.
Kernstück des Konzepts ist eine Solidarische Mindestrente von 1.200 Euro netto. Diese soll nicht beantragt, sondern automatisch gezahlt werden, wenn Anspruch besteht. Finanziert werden soll sie über Steuermittel, nicht allein aus der Rentenkasse. Auch Vermögensfreibeträge sollen gelten, um etwa selbst genutztes Wohneigentum zu schützen.
Österreich als Vorbild
Ein Blick ins Nachbarland zeigt, dass es auch anders geht: In Österreich liegt die durchschnittliche Altersrente laut OECD bei etwa 1.600 Euro – bei geringerer Altersarmut und höherer Zufriedenheit. Das System basiert dort ebenfalls auf einer Pflichtversicherung für alle Erwerbstätigen.
Während in Deutschland das System zwischen gesetzlicher, privater und betrieblicher Altersvorsorge aufgeteilt ist – mit wachsender Komplexität und zunehmender Unsicherheit – setzt Österreich auf eine starke gesetzliche Rentenversicherung als tragende Säule.