Verliert ein Taxifahrer wegen Cannabiskonsums seinen Führerschein und Job, darf das Jobcenter später nicht pauschal ihm bereits gezahlte Hartz-IV-Leistungen wegen „sozialwidrigem Verhaltens” zurückfordern. Nur wenn der Taxifahrer es mit dem Drogenkonsum gezielt darauf angelegt hat, in den Hilfebezug zu rutschen oder dies bewusst in Kauf genommen hat, kann die Behörde einen Erstattungsanspruch geltend machen, entschied das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel in einem am Freitag, 6. November 2020, veröffentlichten Urteil (Az.: B 14 AS 43/19 R). Im Streitfall muss dies das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen in Celle noch einmal prüfen.
Der Kläger verdiente ursprünglich seinen Lebensunterhalt mit Taxifahren. Als 2014 jedoch ein Fahrgast bemerkte, dass der Mann offensichtlich unter Drogeneinfluss Auto fuhr, verständigte dieser die Polizei. Die stellte dann bei dem Taxifahrer 2,3 Nanogramm des Cannabis-Wirkstoffs THC je Milliliter Blut fest. Das Bundesverwaltungsgericht hatte am 11. April 2019 geurteilt, dass ab einer THC-Konzentration von 1,0 Nanogramm von einer Beeinträchtigung der Fahrsicherheit auszugehen ist (Az.: 3 C 13.17; JurAgentur-Meldung vom Urteilstag).
Der Taxifahrer verlor daher nicht nur seinen Führerschein, sondern auch seinen Job. Nach einer Sperrzeit bekam er zwar reguläres Arbeitslosengeld I, dieses reichte jedoch nicht aus, so dass er noch aufstockende Hartz-IV-Leistungen erhielt. Das Jobcenter minderte wegen des Jobverlustes und der damit verbundenen Sperrzeit die Hartz-IV-Leistungen für drei Monate um 30 Prozent.
Jobcenter forderte sämtliche ausgezahlten Hartz-IV-Leistungen
Später legte die Behörde nach und forderte sämtliche ausgezahlten Hartz-IV-Leistungen sowie die aufgebrachten Sozialversicherungsbeiträge wegen „sozialwidrigen Verhaltens” des Klägers zurück, insgesamt 3.148 Euro. Mit dem Cannabiskonsum habe der Taxifahrer mutwillig den Verlust seines Führerscheins und damit seiner Arbeitsstelle in Kauf genommen und seine Hilfebedürftigkeit „grob fahrlässig” herbeigeführt.
Das LSG in Celle urteilte am 26. Februar 2019, dass der Kläger sich zwar sozialwidrig verhalten habe. Es habe hier mit der Pflichtverletzung im Beschäftigungsverhältnis aber nur ein durchschnittlicher Sanktionsfall vorgelegen. Eine Rückforderung der Hartz-IV-Leistungen sei jedoch nur in eng begrenzten Ausnahmen erlaubt.
Das BSG verwies das Verfahren mit Urteil vom 3. September 2020 an das LSG zurück und entschied, dass es nicht auf die Pflichtverletzung im Beschäftigungsverhältnis ankomme. Entscheidend sei vielmehr, ob die Hilfebedürftigkeit zielgerichtet und grob fahrlässig verursacht wurde. Vorsätzlich oder grob fahrlässig verhalte sich aber nur, wer sich der Sozialwidrigkeit bewusst war. Dies sei hier nicht ausreichend geprüft worden.
So sei unklar, ob dem Kläger bewusst war, dass er wegen des Cannabiskonsums seinen Job verlieren kann und er dann auf Hartz IV angewiesen ist. Zuungunsten falle für ihn der festgestellte sehr hohe THC-Wert aus. Andererseits habe er die Droge bereits einen Tag zuvor in seiner Freizeit eingenommen. Dies spreche dafür, dass er nicht darauf abzielte, seinen Führerschein und seinen Job zu verlieren, um dann Hartz IV erhalten zu können.
BSG: Cannabiskonsum muss nicht großes sozialwidriges Verhalten sein
Nicht als „sozialwidrig” gilt es nach einem Urteil des BSG vom 29. August 2019, wenn Arbeitslose wegen persönlicher Probleme eine Ausbildung abbrechen und deshalb auf Hartz IV angewiesen sind (Az.: B 14 AS 49/18 R). Gleiches gilt für Deutsche, die eine Beschäftigung im Ausland aufgeben, um ihren Wohnsitz in Deutschland zu nehmen (Az.: B 14 AS 50/18 R, beide JurAgentur-Meldungen vom Urteilstag).
Das LSG Celle entschied zudem am 12. Dezember 2020, dass die Aufgabe einer Stelle wegen der Pflege der Mutter grundsätzlich nicht als sozialwidrig gilt und das Jobcenter daher auch keine Leistungen zurückfordern kann (Az.: L 13 AS 162/17; JurAgentur-Meldung vom 18. Januar 2019). Verliert dagegen ein Taxifahrer seinen Job, weil er mit dem Fahrzeug eine Bierbank klaut (Az.: L 13 AS 137/17) oder weil jemand sein rund 200.000 Euro schweres Erbe verprasst und danach in den Hilfebezug rutscht (Az.: L 13 AS 111/17, Urteile vom 12. Dezember 2018; JurAgentur-Meldungen vom 14. Januar 2019) stellt dies ein sozialwidriges Verhalten dar, so dass das Jobcenter einen Erstattungsanspruch für das Arbeitslosengeld II und die aufgewendeten Sozialversicherungsbeiträge geltend machen kann. fle/mwo/fle
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