Bürgergeld: Zuwendungen Dritter sind kein Einkommen – Urteil

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Zuwendungen Dritter, die eine rechtswidrig vom Grundsicherungsträger abgelehnte Bürgergeld-Leistung bis zur Herstellung des rechtmäßigen Zustands substituieren und anschließend zurückgezahlt werden sollen, stellen kein Einkommen dar.

1. Wenn nachweislich die Zuwendung des Geldbetrages der Mutter an den Sohn zur Überwindung einer Notlage darlehensweise erfolgte, diese mit einer Rückzahlungsverpflichtung verbunden war, handelt es sich um kein anrechenbares Einkommen im SGB II.

2. Denn die Zuwendung führt nicht zu einem endgültigen Verbleib und hat damit keinen wertmäßigen Zuwachs des Vermögens beim Hilfeempfänger zur Folge. Eine Anrechnung als Einkommen, so wie es das Jobcenter tat, ist damit rechtswidrig (Rechtsprechung BSG – B 14 AS 66/11 R – Leitsatz Sozialrechtsexperte Detlef Brock). So entschieden vom SG Neuruppin, Urt. v. 06.03.2023 – S 26 AS 1266/18 –

Begründung

Nur beim – wertmäßige Zuwachs handelt es sich um Einkommen im Sinne des § 11 Abs 1 S 1 SGB II. Als Einkommen sind nur solche Einnahmen in Geld oder Geldeswert anzusehen, die eine Veränderung des Vermögensstandes dessen bewirken, der solche Einkünfte hat.

Zuwachs ( hier Geldbetrag der Mutter ) muss dem Leistungsberechtigten zur endgültigen Verwendung verbleiben, um Einkommen zu sein

Dieser Zuwachs muss dem Leistungsberechtigten zur endgültigen Verwendung verbleiben, denn nur dann lässt er seine Hilfebedürftigkeit in Höhe der Zuwendungen dauerhaft entfallen.

Es ist zu unterscheiden zwischen (1.) Geldzahlungen oder Sachleistungen, die einem SGB II-Leistungsberechtigten zum endgültigen Verbleib zugewendet werden, und (2.) einem Darlehen, das mit einer Rückzahlungsverpflichtung im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches gegenüber dem Darlehensgeber belastet ist (vgl dazu, BSG, Urteil vom 06. Oktober 2011 – B 14 AS 66/11 R – ).

Zuwendungen Dritter mit Rückzahlungsverpflichtung

Diesem Ansatz folgend stellen (3.) auch Zuwendungen Dritter, die eine rechtswidrig vom Jobcenter abgelehnte Leistung wegen der Ablehnung bis zur Herstellung des rechtmäßigen Zustandes ersetzen und nur für den Fall des Obsiegens zurückgezahlt werden sollen, kein Einkommen im Sinne des § 11 Abs 1 S 1 SGB II dar.

Sie entbinden das Jobcenter nicht von seiner Leistungsverpflichtung

Wegen der Unaufschiebbarkeit des Bedarfs muss vom Leistungsempfänger bis zur endgültigen Klärung der Leistungspflicht des Jobcenters übergangsweise eine andere Regelung gefunden werden. Soweit eine Stundung nicht möglich ist, muss sich der Hilfebedürftige zu marktüblichen Konditionen ein verzinsliches Darlehen aufzunehmen.

Gegebenfalls muss das Jobcenter auch die Zinsen des Darlehensvertrages bezahlen ( dazu BSG Urteil vom 17.6.2010 – B 14 AS 58/09 R – und BSG, Urt. v. 06.10.2011 – B 14 AS 66/11 R – ).

Soweit dadurch Mehrkosten entstehen, sind auch sie gegebenenfalls von dem Träger der Grundsicherung zu erstatten. Vor diesem Hintergrund ist nicht zu beanstanden, wenn Hilfebedürftige vorrangig auf freiwillige und kostengünstigere Angebote Dritter zurückzugreifen, die auf freundschaftlicher oder familiärer Verbundenheit beruhen (vgl dazu besonders BSG, Urteil vom 06. Oktober 2011 – B 14 AS 66/11 R).

Nachweislich muss die Zuwendung zurück erstattet werden

Einen ursprünglich bestehenden Anspruch lassen solche Bemühungen dann nicht entfallen, wenn feststeht, dass dem Dritten im Falle des Obsiegens die zugewandten Leistungen zurückerstattet werden.

Der Hilfebedürftige Sohn hat die ihm von seiner Mutter zur Verfügung gestellten Beträge sofort nach Erhalt des Gesamtnachzahlungsbetrag an seine Mutter zurückgezahlt hat ( Nachweis Kontoauszüge )

Somit war für das Gericht eindeutig bewiesen, dass nicht der Auffassung des Jobcenters zu folgen war, dass es sich bei der Zuwendung des Geldbetrages von der Mutter um – anrechenbares Einkommen handelt.

Unerheblich für das Gericht war, welche Vereinbarungen zwischen Sohn und Mutter getroffen wurden bei Nicht – Anspruch auf Bürgergeld

Denn dass ein Anspruch gegenüber dem Jobcenter im Ergebnis eines Widerspruchs- und Klageverfahrens nicht besteht (vgl zu diesem Aspekt BSG, Urteil vom 06. Oktober 2011 – B 14 AS 66/11 R, RdNr 19), sollte aber die Zuwendung jedenfalls gerade nicht zum endgültigen Verbleib bei dem Sohn und einem wertmäßigen Zuwachs seines Vermögens führen, sondern ihn vielmehr – wie die Mutter es ausdrückte – in gewisser Weise vor Obdachlosigkeit bewahren.

Anmerkung Sozialrechtsexperte Detlef Brock

Sehr gutes Urteil, denn hier ging es um die Zuwendungen als Einkommen von Dritten, speziell unter Verwandten. Für ein Jobcenter ein rotes Tuch.

Hier wurden dem Sohn die Leistungen versagt, er geriet in einer Notlage, die Mutter half ihm finanziell seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, ihre Worte: um ihn vor Obdachlosigkeit zu schützen, aber mit der Vereinbarung zwischen Mutter und Sohn:

Bei Obsiegen gegen das Jobcenters und Nachzahlung des ALG II erfolgt sofort eine Rückzahlung des Geldbetrages.

Was kann man Leistungsempfängern raten in so einer Situation?

Werden die Leistungen des Jobcenters versagt, muss man in der Regel klagen, so was dauert. Bis zum Erfolg sind sie aber verhungert.

Erhalten sie einen Geldbetrag von Verwandten – sollte dieser immer auch für den Fall, dass sie gar keinen Anspruch auf ALG 2 haben – mit einer Rückzahlungsvereinbarung versehen sein, auch kleine Zinsen sind nicht unüblich, denn im Falle ihres Anspruchs erfolgt die Nachzahlung, welche auch die Zinsen für die Zuwendung enthalten muss – Gegenfalls muss das Jobcenter auch die Zinsen des Darlehensvertrages bezahlen ( dazu BSG Urteil vom 17.6.2010 – B 14 AS 58/09 R – ).

Mein Rat, weil ich so was viel zu oft erlebt habe und weiß, wie Behördenmitarbeiter ticken
Geratet ihr in solch eine Notlage, macht einen kurzen Darlehensvertrag mit dem Verwandten, welcher beinhaltet, dass auch im Falle des Nicht – Anspruchs der Betrag zurück zu zahlen ist. Namen erwähnen, beide unterschreiben, Datumsangabe, Angabe, ob Zinsen gefordert werden.

Rechtstipp bei Zuwendungen von Dritten als Sachleistungen

SG Magdeburg, Beschluss vom 04.07.2023 – S 24 AS 404/23 ER –

Leitsatz Rechtsanwalt Michael Loewy

Freiwillige Zuwendungen in Form von Sachleistungen eines nicht zum Unterhalt verpflichteten Dritten können nicht als Zuwendungen zur Bedarfsdeckung berücksichtigt werden.

Eine freiwillige Leistung eines Dritten, der aus freundschaftlicher Verbundenheit oder aus altruistischen Gründen jemand in einer Notlage hilft, kann die Leistungsverpflichtung des Leistungsträgers nicht ersetzen und dem Leistungsempfänger im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes nicht entgegengehalten werden.

Das sollte man Wissen – speziell vielleicht für Behördenmitarbeiter gedacht

Der wohl bekannteste Fall, für den das BSG einen „wertmäßigen Zuwachs“ ablehnt, ist der eines (wirksamen) Darlehens. Ein Darlehen sei mit einer Rückzahlungsverpflichtung belastet und bedeutete deshalb keinen „wertmäßigen Zuwachs“ (BSG, Urt. v. 17.06.2010 – B 14 AS 46/09 R Rn. 15 ff. Verwandtendarlehen; BSG, Urt. v. 16.02.2012 – B 4 AS 94/11 R Rn. 18 ).

Dabei soll auch nicht danach zu differenzieren sein, ob die durch den Darlehensvertrag vereinbarte Verpflichtung zur vollständigen Rückerstattung in denjenigen Bewilligungsabschnitt fällt, in dem die Darlehenssumme den Leistungsberechtigten zugeflossen ist (BSG, Urt. v. 17.06.2010 – B 14 AS 46/09 R Rn. 18).

Fazit

Zuwendungen Dritter, die eine rechtswidrig vom Grundsicherungsträger abgelehnte Leistung bis zur Herstellung des rechtmäßigen Zustands substituieren und anschließend zurückgezahlt werden sollen, stellen kein Einkommen dar ( ständige BSG Rechtsprechung, welche auch bei der Sozialhilfe gilt – LSG NSB – L 8 SO 344/16 B ER – ).

Wie im Anwendungsbereich des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch und des Bundessozialhilfegesetzes kann dem Hilfesuchenden eine zwischenzeitliche Selbstbeschaffung der begehrten Leistung unter dem Gesichtspunkt einer Zweckverfehlung der ursprünglich beantragten Leistung nicht entgegengehalten werden.