Bürgergeld und Sozialhilfe: Beziehern ist die Kostentragung von Bestattungskosten unzumutbar

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Sozialhilfeempfängerin muss sich zuerst wegen der Bestattungskosten an die Erben wenden.

Auch die verwandtschaftliche Nähe ist ein Kriterium der Zumutbarkeit. Je enger das Verwandtschaftsverhältnis zum Verstorbenen, desto eher ist die Kostenübernahme zumutbar (BSG, Urteil vom 04.04.2018 – B 8 SO 10/18 R -). Auch das spricht gegen eine Zumutbarkeit der Inanspruchnahme der Erbinnen.

Was Anderes gilt aber, wenn eine Leistungsempfängerin der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nicht zumutbar ist, eine minderjährige Schülerin und eine junge Volljährige in Berufsausbildung, die beide nur Schulden geerbt haben, auf Bezahlung von 2.892,- Euro an Bestattungskosten in Anspruch zu nehmen.

Damit hat die Antragstellerin als landesrechtlich Bestattungspflichtige und Empfängerin von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung Anspruch auf Übernahme der Bestattungskosten in Höhe von 2.892,- Euro vom Sozialamt.

Bei Personen, die Leistung für den Lebensunterhalt nach SGB XII oder Bürgergeld ( ALG II )beziehen, ist regelmäßig von Unzumutbarkeit der Kostentragung der Bestattungskosten auszugehen ( BSG, Urt. v. 04.04.2019 – B 8 SO 10/18 R – ).

Begründung des Gerichts:

Die Leistungsbeziehende begehrt die Übernahme der Kosten für die Bestattung ihres Ehemanns im Rahmen der Sozialhilfe.

Erforderlichkeit der Bestattungskosten:

Nur die Kosten sind erforderlich, die unmittelbar mit der Bestattung zusammenhängen einschließlich der ersten Grabherrichtung. Maßstab sind ferner die Ortsüblichkeit und die Situation von Beziehern unterer bzw. mittlerer Einkommen (BSG, Urteil vom 25.08.2011 – B 8 SO 20/10 R -).

Die Kosten der Bestattung von 2.892,- Euro waren erforderlich.

Denn es handelte sich um die unmittelbaren Kosten einer einfachen Bestattung.

Die mittellose Leistungsbezieherin war zur Tragung der erforderlichen Kosten einer Bestattung im Sinne von § 74 SGB XII verpflichtet, obwohl zwei Enkelinnen des Verstorbenen Erbinnen wurden

Die Klägerin ist als Verwandte zur Bestattung nach § 15 Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 a) Bay BestV verpflichtet, dem ist sie nachgekommen und hat das Bestattungsunternehmen mit der Beisetzung beauftragt.

Nach § 1968 BGB haben die Erben die Kosten der Bestattung zu tragen.

Das Verhältnis der Bestattungspflicht nach dem Bestattungsgesetz zur Kostentragungspflicht der Erben nach § 1968 BGB ist eine Frage der Zumutbarkeit der Kostentragung, nicht eine Frage, ob eine Verpflichtung im Sinn von § 74 SGB XII besteht

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ergibt sich die Verpflichtung zur Kostentragung nicht aus § 74 SGB XII, sondern aus erbrechtlichen, unterhaltsrechtlichen und landerechtlichen Bestattungsvorschriften ( BSG, 29.09.2009 – B 8 SO 23/08 R – ).

Das BSG Urteil bestätigt damit, dass die Zahlungsansprüche, denen die Klägerin ausgesetzt war, für eine Verpflichtung nach § 74 SGB XII genügen können.

Nach BSG, Urt. v. 25.08.2011 – B 8 SO 20/10 R – genügt allein die Beauftragung eines Bestattungsunternehmens nicht für die Kostentragungspflicht nach § 74 SGB XII

Nach dem Bayerischen Bestattungsrecht ist der Ehegatte in jedem Fall verpflichtet, unabhängig von einem möglichen Erben.

Im Urteil vom 11.09.2020, B 8 SO 8/19 R, hat das BSG nochmals zur Verpflichtung zur Kostentragung nach § 74 SGB XII ausgeführt, dass es um eine Kostenlast geht, der der Betroffene von vornherein nicht ausweichen kann, weil sie ihn rechtlich notwendig trifft

Dort hat das BSG erneut erbrechtliche, unterhaltsrechtliche und landesrechtliche Bestattungspflichten als gleichwertig nebeneinandergestellt.

Zusammenfassend formuliert die Kammer das so:

Für eine Kostentragungspflicht nach § 74 SGB XII reicht es nicht aus, lediglich ein Bestattungsunternehmen beauftragt zu haben und deshalb vertraglichen Zahlungsansprüchen ausgesetzt zu sein.

Zumutbarkeit der Kostentragung:

Die Leistungsbeziehende nach dem SGB XII ist es – nicht – zumutbar die Kosten der Bestattung zu tragen. Sie kann auch nicht auf die Inanspruchnahme der beiden Erbinnen verwiesen werden.

Was bedeutet Bestattungskosten sind zumutbar

Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Bestattungskosten. Die Zumutbarkeit im Sinne von § 74 SGB XII ist eine Ausprägung des Nachranggrundsatzes in § 2 SGB XII (BSG, Urteil vom 04.04.2018 – B 8 SO 10/18 R – ).

Zumutbarkeit ist in diesem Urteil zusammenfassend als das beschrieben worden, was “typischerweise von einem Durchschnittsbürger” in einer vergleichbaren Situation erwartet werden kann.

Die Zumutbarkeit orientiert sich insbesondere an den wirtschaftlichen Verhältnissen des Verpflichteten.

Nach der Rechtsprechung des BSG ist bei Leistungsbeziehern nach dem SGB XII in der Regel von – Unzumutbarkeit der Kostentragung – auszugehen

So wie hier in diesem Fall.

Zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Bestattungskosten stand die Antragstellerin im laufendem Sozialhilfebezug.

Grundsätzlich gilt, dass es einem mittellosen Bestattungspflichtigen zumutbar ist, sich an den oder die Erben zu wenden

Das ist typischerweise von einem Durchschnittsbürger zu erwarten und entspricht dem gesetzlichen Rahmen.

Berücksichtigung des Einzelfalls bei der Zumutbarkeitsprüfung

Wenn die erbrechtliche Grundannahme, der Erbe soll die Kosten der Bestattung aus dem Nachlass bezahlen, nicht zutrifft, weil der Nachlass überschuldet ist, ist die Inanspruchnahme des Erben durch andere Verpflichtete regelmäßig nicht zumutbar.

Nachlass bestand nur aus Schulden

Der Verstorbene hat als Nachlass nur Schulden hinter lassen. Die informierten Erben haben die Erbschaft deswegen ausgeschlagen. An den beiden Enkelinnen des Verstorbenen ist die Erbschaft nur deswegen hängen geblieben, weil sie diese nicht rechtzeitig die Erbschaft ausgeschlagen haben.

Somit war es der Antragstellerin nicht zumutbar, von ihren beiden Enkelinnen die Übernahme der Bestattungskosten aus deren eigenem Vermögen zu fordern.

Die Erbinnen waren mittellos

Es spricht einiges dafür, dass die beiden Erbinnen, eine Schülerin und eine junge Volljährige in Berufsausbildung, die beide auf Unterhaltszahlungen ihres getrenntlebenden Vaters angewiesen sind, nicht über wesentliches Vermögen verfügen.

Für die hilfebedürftige Sozialhilfeempfängerin war es somit nicht zumutbar, ihre beiden Enkel wegen der Bestattungskosten in Anspruch zu nehmen.

Anmerkung Sozialrechtsexperte Detlef Brock

Zusammenfassend kann man hier sagen, dass

Das Verhältnis der Bestattungspflicht nach dem landesrechtlichen Bestattungsrecht zur Kostentragungspflicht der Erben nach § 1968 BGB eine Frage der Zumutbarkeit der Kostentragung ist und nicht eine Frage, ob eine Verpflichtung im Sinn von § 74 SGB XII besteht.

Rechtstipp zu § 74 SGB XII – Zumutbarkeit –

LSG NSB, Urt. v. 21.02.2023 – L 15/8 SO 182/21 –

Ein die Anspruchsberechtigung nsch § 74 SGB XII ausschließender Verweis auf vorrangig Verpflichtete kommt zumindest dann nicht in Betracht, wenn im Zeitpunkt, in dem der Bedarf eintritt, feststeht, dass die vorrangig Verpflichteten minderjährig und mittellos sind.

Lesetipp

Der Einsatz eines Nachlasses ist dem Bestattungspflichtigen – grundsätzlich zumutbar – ein Beitrag von Detlef Brock

Sozialhilfe: Sozialamt muss Bestattungskosten zahlen