Bürgergeld: Sozialwidriges Verhalten – Dann dürfen Jobcenter Leistungen zurückverlangen – und dann nicht

Bürgergeld erhalten Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet haben, die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben. Besonderheiten gelten in Einzelfällen, etwa bei Ausbildung, Aufenthaltsstatus oder innerhalb einer Bedarfsgemeinschaft.

§ 34 SGB II: Kostenersatz – kein automatischer „Anspruchsverlust“

Wichtig für die Einordnung: Wer seine Notlage selbst verursacht hat, verliert den Anspruch auf Bürgergeld nicht automatisch. § 34 SGB II regelt einen Kostenersatz. Das Jobcenter kann rechtmäßig gezahlte Leistungen zurückfordern, wenn jemand vorsätzlich oder grob fahrlässig und ohne wichtigen Grund die Hilfebedürftigkeit herbeigeführt, erhöht, aufrechterhalten oder nicht verringert hat. Das ist ein eng auszulegender Ausnahmetatbestand mit hohen Hürden: Es braucht insbesondere Kausalität zum Leistungsbezug und einen gesteigerten Verschuldensvorwurf.

Praxisfall: Drogenkonsum, Fahrerlaubnis weg – trotzdem kein Kostenersatz

Ein ehemaliger Taxifahrer verlor nach einer Polizeikontrolle wegen Kokain- und Opiatrückständen die Fahrerlaubnis und damit seinen Arbeitsplatz. Das Jobcenter forderte die bis dahin gezahlten Leistungen per § 34 zurück. Sozialgericht und Landessozialgericht Hamburg entschieden jedoch zugunsten des Betroffenen:

Er habe die Hilfebedürftigkeit nicht zielgerichtet herbeiführen wollen; nach seiner Darstellung sollte der (falsche) Substanzkonsum den belastenden Arbeitsalltag bewältigbar machen. Ergebnis: kein Kostenersatz.
Aktenzeichen: LSG Hamburg, Urteil L 4 AS 287/20.

Diese Linie entspricht der höchstrichterlichen Einordnung: § 34 ist deliktsähnlich und bleibt Ausnahme. Nicht jedes sanktionsfähige oder rechtswidrige Verhalten ist „sozialwidrig“ im Sinne des § 34. Maßgeblich ist, ob die Hilfebedürftigkeit zielgerichtet (Vorsatz) oder in Gleichgültigkeit grob fahrlässig herbeigeführt wurde.

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Sanktionen (§§ 31–31b) ≠ Kostenersatz (§ 34): Das sind zwei verschiedene Werkzeuge

Leistungsminderungen (z. B. 10 %/20 %/30 % bei Pflichtverletzungen) wirken zukünftig und zeitlich befristet auf den Regelbedarf. Der Kostenersatz nach § 34 hingegen verlangt bereits gezahlte Leistungen zurück – oft in erheblicher Höhe – und ist deshalb strenger zu prüfen. Beide Instrumente dürfen nicht vermischt werden.

Aufrechnung: Wie viel darf das Jobcenter vom laufenden Bürgergeld abziehen?

Selbst wenn ein Kostenersatz festgesetzt wird, gilt eine klare Grenze: Insgesamt dürfen maximal 30 % des maßgeblichen Regelbedarfs aufgerechnet werden, inklusive anderer Aufrechnungen und Sanktionen. Darlehen nach § 42a werden seit 1. 7. 2023 in der Regel mit 5 % getilgt; die 30-%-Obergrenze gilt im Zusammenspiel aller Abzüge fort.

Fristen: Drei Jahre – sonst erlischt der Anspruch

Der Ersatzanspruch nach § 34 erlischt nach drei Jahren, bezogen auf das Jahr der Leistungserbringung. Bis dahin muss das Jobcenter den Anspruch durch Bescheid geltend machen. Erfolgt dies nicht rechtzeitig, ist der Anspruch nicht mehr durchsetzbar.

„Wichtiger Grund“: Was Betroffene entlastet

Ein Kostenersatz scheidet häufig aus, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Beispiele sind gesundheitliche Gründe, unzumutbare Beschäftigungen oder Konstellationen, in denen die Handlung erkennbar nicht auf die Herbeiführung von Hilfebedürftigkeit gerichtet war. Entscheidend bleibt stets die Einzelfallprüfung: Anlass, Verlauf, Motivlage, Kausalität und Zumutbarkeit.

Praktisch vorgehen: Checkliste für Betroffene

  • Anhörung ernst nehmen: Fristgerecht und substantiiert antworten. Sachverhalt aus eigener Sicht darstellen, Lücken schließen, Chronologie liefern.
  • Belege sammeln: Ärztliche Atteste, Therapie-/Reha-Nachweise, arbeitsmedizinische Einschätzungen, Schriftverkehr mit Arbeitgeber, Kündigungsunterlagen.
  • Akteneinsicht beantragen: Einsicht in die Verwaltungsakte schafft Klarheit über die Begründung und Beweismittel.
  • Widerspruch fristwahrend einlegen: Innerhalb eines Monats ab Bekanntgabe.
  • Aufrechnung prüfen: 30-%-Deckel im Blick behalten; unzulässige Kumulationen rügen.
  • Fristen kontrollieren: Drei-Jahres-Erlöschen des § 34-Anspruchs prüfen.
    Beratung nutzen: Sozialberatung, Rechtsbeistand oder Fachanwalt einschalten – besonders bei komplexer Sachlage oder hohen Forderungen.

Ergänzend: ALG-I-Sperrzeit und SGB-II-Folgen

Wer eine Sperrzeit nach § 159 SGB III riskiert (z. B. wegen Arbeitsaufgabe oder Ablehnung), kann im SGB II eine Leistungsminderung auslösen. Das ist nicht automatisch Kostenersatz nach § 34. Bei Meldeversäumnissen der Agentur für Arbeit gilt im SGB II regelmäßig eine Minderung um 10 % für einen Monat. Auch hier kommt es auf den Einzelfall, die Begründung und die Nachweise an.