Gestern am späten Nachmittag wurde erstmals der Referentenentwurf der von Friedrich Merz (CDU) vollmundig angekündigten Reform des Bürgergeldes öffentlich bekannt.
Da es sich noch nicht um die endgültige Fassung handelt, kann es noch inhaltliche Änderungen geben, insbesondere bei offensichtlichen Fehlern.
Und das steht drin:
Inhaltsverzeichnis
Aus Bürgergeld wird Grundsicherungsgeld
Die kreativen Köpfe des von der SPD geführten Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) haben alles gegeben bei der Lösung der Frage, wie die Geldleistung der „Grundsicherung für Arbeitsuchende“, wie das Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) seit 2005 heißt, künftig genannt werden soll.
Die seit 2005 als „Arbeitslosengeld II“ bezeichnete und erst 2023 von SPD und Grünen in „Bürgergeld“ umgetaufte Geldleistung soll künftig „Grundsicherungsgeld“ heißen.
Damit nähert sich diese den Bezeichnungen der Geldleistungen des SGB XII an.
Die ganze Arbeitskraft soll es sein
Künftig haftet jedes Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft mit all seiner Arbeitskraft für die vollständige Überwindung der Hilfebedürftigkeit aller Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft.
Auch wenn es im Referentenentwurf nicht so kommuniziert wird, hat man den Eindruck, dass CDU/CSU und SPD hier einen erneuten Vorstoß in Richtung Sippenhaft wagen, dem das Bundessozialgericht bereits 2006 eine Abfuhr erteilt hat (Urteil vom 07.11.2006, B 7b AS 8/06 R).
Arbeiten sollst du, sonst nichts
Der Vorrang eines Bildungs- oder Berufsabschlusses und einer Weiterbildung bei fehlender Qualifikation wird gestrichen.
Stattdessen hat die Vermittlung in bedarfsdeckende Arbeit absoluten Vorrang und zwar nicht nur hinsichtlich fehlender Bildungsabschlüsse, sondern auch hinsichtlich des Anspruchs auf Grundsicherungsgeld, was die Möglichkeit von Totalsanktionen eröffnet.
Verbot nicht bedarfsdeckender selbstständiger Erwerbstätigkeit
Selbstständig erwerbstätigen Aufstockern ist es künftig zumutbar, ihre Selbstständigkeit aufzugeben und eine andere, mehr bedarfsdeckende Tätigkeit auszuüben, wenn die selbstständige Tätigkeit binnen eines Jahres nicht dazu führt, dass die Hilfebedürftigkeit beendet wird.
Im Grunde handelt es sich hier um die Gesetzwerdung gängiger Rechtsprechung.
Das Schonvermögen wird massiv gekürzt, die Karenzzeit abgeschafft
Die erst 2023 eingeführte zwölfmonatige Karenzzeit beim Vermögen wird abgeschafft. Lediglich selbst genutztes Wohneigentum bleibt für die Dauer der – weiterhin für die Miete geltenden – Karenzzeit unberücksichtigt.
Es werden wieder nach Alter gestaffelte Vermögensfreibeträge eingeführt.
Bis zur Vollendung des 20. Lebensjahres sind 5.000 Euro, ab dem 21. Lebensjahr 10.000 Euro, ab dem 41. Lebensjahr 12.500 Euro und ab dem 51. Lebensjahr 15.000 Euro Vermögen geschützt.
Damit nähert sich das SGB II dem Vermögensfreibetrag des SGB XII an, der pauschal 10.000 Euro beträgt.
Mietkostenbegrenzung sowie Auskunfts- und Mitwirkungspflichten für Vermieter
Während der 12‑monatigen Karenzzeit nach Erstantrag werden die Kosten für Unterkunft und Heizung auf das 1½-fache der maximal angemessenen Kosten begrenzt.
Im Weiteren werden die gängige Rechtsprechung zu Informationspflichten bei unangemessenen Kosten sowie der Anspruch auf die maximalen angemessenen Kosten beim Umzug in den Zuständigkeitsbereich eines anderen Jobcenters in das SGB II aufgenommen.
Vermieter haben künftig eine eigenständige Auskunfts-, Mitwirkungs- und Nachweispflicht gegenüber dem Jobcenter, wenn sie an Bezieher von Grundsicherungsgeld vermieten. Das wird die Wohnungssuche von Leistungsbeziehern weiter erschweren.
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Bescheid prüfenDu sollst dich medizinisch behandeln lassen
Bei der Eingliederung sollen Bezieher von Grundsicherungsgeld nun auch zur Inanspruchnahme von Präventions- und Gesundheitsleistungen anderer Träger sowie medizinischer Reha-Maßnahmen verpflichtet werden.
Kooperieren sollst du, sonst …
Mit dem Fördern und Fordern „auf Augenhöhe“ ist Schluss.
Die Regelungen zum Kooperationsplan werden von Kann- zu Soll-Regelungen, die nun auch Verpflichtungen zu medizinischen Behandlungen umfassen dürfen.
Die Pflicht zum Fortschreiben des Kooperationsplanes wird abgeschafft.
Mit Letzterem begeben sich CDU/CSU und SPD auf sehr dünnes Eis, denn das Bundessozialgericht hat in seiner Rechtsprechung unmissverständlich klargestellt, dass solche Pläne regelmäßig überprüft und angepasst werden müssen.
… sonst hagelt es Sanktionen
Die 2023 eingeführte Staffelung der Sanktionshöhe und -dauer wird wieder abgeschafft. Künftig beträgt die Höhe der Sanktion wieder 30 % des Regelbedarfs und der Minderungszeitraum ist einheitlich drei Monate.
Der Anfang 2024 von SPD und Grünen eingeführte vollständige Entzug des Regelbedarfs kann nun schon bei der ersten willentlichen Verweigerung einer tatsächlichen und unmittelbar möglichen Arbeitsaufnahme erfolgen. In dem Fall werden die Kosten für Unterkunft und Heizung direkt an den Vermieter gezahlt.
Die Dauer wird von zwei Monaten auf einen Monat verkürzt, außer die Möglichkeit der unmittelbar möglichen Arbeitsaufnahme besteht weiter.
Sollte eine Sanktion zum vollständigen Wegfall des Leistungsanspruches führen, wird Leistung i.H.v. 1 Euro bewilligt, um den Krankenversicherungsschutz aufrechtzuerhalten.
Auch Meldeversäumnisse werden i.H.v. 30 % des Regelbedarfs sanktioniert, es bleibt bei der Sanktionsdauer von einem Monat.
Bei der Neufassung von § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II hat sich offenbar ein gravierender Fehler eingeschlichen, denn das Pflichtversäumnis „Agentur für Arbeit geforderten Eigenbemühungen nicht nachweisen“ kann im SGB II nicht sanktioniert werden. Hier dürfte es also noch eine Berichtigung geben.
Vollständiger Leistungsentzug nach 3 Meldeversäumnissen
Nach drei aufeinander folgenden Meldeversäumnissen wird die Regelleistung vollständig entzogen. In dem Fall werden die Kosten für Unterkunft und Heizung direkt an den Vermieter gezahlt.
Sollte der Bezieher von Grundsicherungsgeld sich danach vor Ablauf des Monats persönlich beim Jobcenter melden, setzt die Leistungszahlung nahtlos wieder ein. Andernfalls wird gesetzlich vermutet, dass der Betroffene nicht erreichbar ist, was unmittelbar zur Leistungsaufhebung führt.
Ausschluss von Nachweisen und Auskünften bei vorläufigen Entscheidungen
Nachweise und Auskünfte sollen bei der abschließenden Entscheidung über vorläufig bewilligte Leistungen nicht mehr berücksichtigt werden, wenn diese nach Erlass der abschließenden Entscheidung beim Jobcenter eingehen.
Auch hier begeben sich CDU/CSU und SPD auf sehr dünnes Eis, denn diese Regelung verstößt sowohl gegen § 67 SGB I als auch gegen § 44 SGB X.
Aufrechnung ohne Anhörung
Rückforderungsansprüche von weniger als 70 Euro darf das Jobcenter ohne vorherige Anhörung aufrechnen.
Nur ernst gemeinte Jobangebote bekommen einen Lohnkostenzuschuss
Um den Missbrauch von Lohnkostenzuschüssen für Arbeitgeber zu beenden, wird die Mindestbeschäftigungsdauer von 2 auf 3 Jahre verlängert, wobei es aber im 3. Beschäftigungsjahr keinen Lohnkostenzuschuss mehr gibt.
Im Gegenzug wird die Leistung nicht mehr an die Dauer der Arbeitslosigkeit, sondern an die Dauer des Bezuges von Grundsicherungsgeld gekoppelt.
Haftung für Arbeitgeber bei Schwarzarbeit
Künftig haften Arbeitgeber auch für die im Falle von Schwarzarbeit vom Jobcenter an Arbeitnehmer zu Unrecht gezahlten Leistungen.



