Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen entschied, dass eine Eingliederungsvereinbarung per Verwaltungsakt rechtswidrig ist. Es ist nämlich nicht erkennbar, dass die Behörde die inhaltlichen Regelungen unter Ausübung pflichtgemäßen Ermessens erlassen hat. Dies werde aber im Rahmen eines Eingliederungsverwaltungsaktes verlangt. Weder in der Begründung des Eingliederungsverwaltungsaktes selbst noch im Widerspruchsbescheid sei eine Ermessensbetätigung erkennbar. (Az: L 21 AS 456/21)
Worum ging es?
Der Kläger bezieht Leistungen nach dem SGB II (damaliges Hartz IV, heutiges Bürgergeld). Er schloss mit der zuständigen Behörde (dem Beklagten) am 15.10.2019 eine Eingliederungsvereinbarung, die „bis auf weiteres“ gültig war.
In dieser verpflichtete er sich, zu klären, ob die Gesundheit seiner Lebensgefährtin es zulasse, dass er dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehe oder das gemeinsame Kind übernehmen müsse. Im gegebenen Fall würde er bis zum 5.11.2019 eine ärztliche Bescheinigung vorlegen.
Festgelegt war, dass die Vereinbarung spätestens nach sechs Monaten überprüft und bei Bedarf fortgeschrieben werden sollte. Bei einer wesentlichen Änderung durften beide Parteien den Vertrag, wenn der Inhalt sich nicht anpassen ließe oder dies nicht zumutbar sei. Ein Beratungsgespräch gab es am 5.10.2020.
Selbstständig oder angestellt?
Der Kläger sagte darin, dass er keinen Nachweis einreichen werde, dass seine Lebensgefährtin die Betreuung gesundheitlich nicht leisten könne.
Er wolle sich hingegen als Online-Händler bei Amazon selbstständig machen und chinesische Produkte verkaufen. Dies sei nachts möglich und tagsüber könne er deshalb bei der Betreuung helfen.
Er sollte eine Checkliste für Geschäftsgründer ausfüllen und diese am 2.11.2020 vorlegen, für ein Analyse und eine Beratung zum weiteren Verlauf. Erweise sich diese nicht als tragfähig oder liege sie nicht vor, stünde weiterhin eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit im Fokus. Dann bekäme er Vermittlungsvorschläge und müsse Eigenbemühungen nachweisen.
Keine Unterschrift ohne Förderung
Eine neue Eingliederungsvereinbarung wurde mit diesem Inhalt verfasst. Der Betroffenen weigerte sich jedoch, zu unterschreiben, denn er verlangte konkrete und diverse Fördermöglichkeiten für seine Geschäftsidee – und zwar direkt nach Einreichen der Checkliste.
Der Beklagte informierte den Kläger, dass die Eingliederungsvereinbarung als Verwaltungsakt mit gleichem Inhalt erlassen würde.
Der Beklagte kündigte zum 5.10.2020 die alte Eingliederungsvereinbarung vom 15.10.2019, und dann auch „die am 5.10.2020 (…) geschlossene Eingliederungsvereinbarung mit Wirkung zum 5.10.2020“ mit dem Zusatz: „Sie möchten die Eingliederungsvereinbarung heute nicht unterschreiben. Es wird ein Verwaltungsakt erlassen.“
Ein weiteres Schreiben erließ einen Ersatz für die Eingliederungsvereinbarung: „Aus folgendem Grund wird ein Verwaltungsakt erlassen: Der Erlass eines ersetzenden Verwaltungsaktes ist erforderlich, da eine Verständigung gescheitert ist, die Inhalte des Verwaltungsaktes aber für die Integration der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person notwendig sind.“
Verwaltungsakt ohne individuelle Förderung ist rechtswidrig
Der Fall ging bis zum Landessozialgericht. Dieses erklärte den Erlass eines ersetzenden Verwaltungsaktes in diesem Fall für rechtswidrig. Die Begründung lautete, dass eine Ermessensbestätigung nicht erkennbar sei, diese sei bei der Eingliederung jedoch wesentlich.
Für eine Eingliederungsvereinbarung sei die Eigenverantwortung der Leistungsberechtigten zentral, und dazu gehöre es herausgehoben, wechselseitig Pflichten und Obliegenheiten zu konkretisieren, um die Betroffenen in die Arbeit einzugliedern.
Das Fallmanagement habe hier ein individuelles Angebot mit einer maßgeschneiderten Ausrichtung zu planen und zu steuern. Der Sozialleistungsträger habe zudem Angebote zu unterbreiten, die den individuellen Bedürfnissen des erwerbsfähigen Leistungsberechtigten entsprächen.
Es würde auch vereinbart, welche Anstrengungen von diesem im Gegenzug selbst erwartet würden. Auch eine Ersatzentscheidung müsse diesen Kriterien genügen. Ein Eingliederungsverwaltungsakt müsse also den individuellen Bedürfnissen des Betroffenen gerecht werdende konkrete Leistungen zur Eingliederung liefern.
Dies sei im vorliegenden Fall nicht geschehen. Es habe weder eine Begründung der Entscheidung gegeben noch seien konkrete Angebote als „Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens“ gemacht worden.
Anmerkung: Die Eingliederungsvereinbarung wurde im Zuge der Einführung des Bürgergeldes durch den Kooperationsplan abgelöst. Was sich dadurch verändert hat, lest ihr hier: Bürgergeld: Das steht im neuen Kooperationsplan ab 1. Juli 2023
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Dr. Utz Anhalt ist Buchautor, Publizist, Sozialrechtsexperte und Historiker. 2000 schloss er ein Magister Artium (M.A.) in Geschichte und Politik an der Universität Hannover ab. Seine Schwerpunkte liegen im Sozialrecht und Sozialpolitik. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Dokumentationen für ZDF , History Channel, Pro7, NTV, MTV, Sat1.