Bürgergeld: Mietübernahme als Sozialhilfe während einer Mutter-Kind-Kur

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Die Kosten für die Familienwohnung für eine Bürgergeld-Empfängerin während des Aufenthalts in einer Einrichtung für Mütter/Väter und deren Kinder (§ 19 SGB VIII) muss der Sozialhilfeträger nach §§ 67, 68 Abs. 1 SGB XII zahlen.

Hintergrund:

Eine unter Betreuung stehende Bezieherin von Bürgergeld streitet hier mit dem Jobcenter und dem Sozialamt über die Gewährung ihrer Mietkosten während des Aufenthalts in einer Mutter-Vater-Kind-Einrichtung.

Das Jobcenter meint: Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden nur für eine tatsächlich bewohnte Wohnung gewährt. Für eine nicht genutzte Wohnung erfolge keine Kostenübernahme.

Der Sozialhilfeträger nach dem SGB XII meint: Leistungen nach dem SGB VIII gemäß § 10 Abs. 4 Satz eins SGB VIII sind vorrangig.

Gerichtsbegründung

Ein Richter mit Herz urteilte zu Gunsten der Mutter und vor allem aber – zum Kindeswohl.

Hilfebedürftige dürfen nicht zwischen 2 Stühlen sitzen, wenn 2 Behörden sich um die Geltendmachung der Kostenübernahme streiten.

Personen mit besonderen Lebensverhältnissen und und mit sozialen Schwierigkeiten

Nach § 67 ff SGB XII sind Personen, bei denen besondere Lebensverhältnisse mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind, Leistungen zur Überwindung dieser Schwierigkeiten zu erbringen, wenn sie aus eigener Kraft hierzu nicht fähig sind.

Der Gesetzgeber hat dabei die Arten und Weisen der Hilfen sowie der Problemlagen bewusst offen gelassen, um den Sozialhilfebehörden die Möglichkeit zu geben, auf gesetzlicher Grundlage Hilfeleistungen im Einzelfall zu gewähren, wenn dies notwendig ist und den Einsatz von Steuermitteln rechtfertigt. Auch präventive Maßnahmen gehören insoweit zu den möglichen Hilfen, § 68 Abs. 1 SGB XII.

Hintergrund ist, dass der Gesetzgeber die Schwierigkeit gesehen hat, dass sich sowohl in verschiedenen gesellschaftlichen Teilbereichen wie Erziehungswesen, Wohnungsversorgung, Krankenversorgung auf der einen Seite als auch im gegliederten Sozialleistungsystem auf der anderen Seite Verzahnungsproblematiken ergeben können. Diese können nur durch die Zurverfügungstellung von Hilfen sachgerecht aufgefangen werden, die die fehlende Koordinierung des gegliederten Sozialleistungssystems ausgleichen.

Die vorliegende Situation ist zur des Gerichts eine solche, in der aus der Gliederung des Sozialleistungssystems ein Koordinationsdefizit entsteht, dass nicht zu Lasten der Hilfebedürftigen aufgelöst werden darf

Denn ein Anspruch der Mutter auf Übernahme Kosten der Unterkunft während des Aufenthaltes in der Mutter-Vater-Kind-Einrichtung besteht nach §§ 67, 68 Abs. 1 SGB XII.

Die Mutter befand sich in einer besonderen Lebenssituation – das 1. Kind wurde schon abgegeben in eine Pflegefamilie

Die Klägerin befand sich in einer besonderen Lebenssituation, die sich dadurch auszeichnete, dass ihr erstgeborenes Kind bereits bei einer Pflegefamilie aufwuchs und sie kurz vor der Geburt des zweiten Kindes um Hilfe zur Erlangung von Fähigkeiten in der Sorge und Erziehung eines Kindes bat bzw. angeboten bekam, um nicht auch das zweite Kind in eine Pflegefamilie abgeben zu müssen.

Den Vorschlag, für zunächst geplante sechs Monate in eine Vater-Mutter-Kind-Einrichtung zu ziehen, nahm sie daher an.

Die Mutter betonte, nur bei Übernahme der Mietkosten würde sie an der Maßnahme teilnehmen

Dies war auch zur Sicherung des Kindeswohls notwendig. Die Verlängerung der Maßnahme wurde erst nach Ablauf der Zeit beschlossen.

Hieraus resultierte die Schwierigkeit, die Familienwohnung weiter zu finanzieren. In der mündlichen Verhandlung hat die Mutter betont, sie hätte an der Maßnahme nicht teilgenommen, wenn niemand die Miete ihrer Wohnung übernommen hätte.

Das Gericht war hier überzeugt

Dass die Mutter an der Erziehungshilfe nicht teilgenommen hätte, wenn sich daraus eine Erschwernis im Hinblick auf die Sicherung der Familienunterkunft ergeben hätte.

Die Maßnahme war für das Kindeswohl aber notwendig – Dilemma bei unseren Sozialleistungssystemen

Besonders in einem solchen Fall zeigt sich das Dilemma, dass aus der Aufsplitterung der Sozialleistungssysteme entsteht. Gesellschaftlich gewollt und gefördert werden Hilfen zur Erziehung mit dem Ziel, Erziehungsfertigkeiten zu erlangen und ein Leben selbstständig und ohne bzw. mit weniger Hilfe führen zu können.

Auch das Jugendamt hält es für notwendig, dass die Mietkosten übernommen werden. Eine entsprechende Anträge wurden von dort unterstützt.

Die Unterkunftskosten waren daher nach Auffassung der Kammer zu übernehmen.

Denn andernfalls wäre die Erziehungshilfe abgelehnt worden und die Ausgrenzung der Klägerin aus der Gesellschaft fortgeschritten. Dies zu verhindern ist aber Aufgabe und Ziel der §§ 67 ff SGB XII.

Das Gericht hat sich bei seiner Auffassung von der Rechtsprechung zur Mietkostenübernahme bei Haft im Hinblick auf eine bevorstehende Haftentlassung leiten lassen ( LSG NSB, Urteil vom 24. Juni 2021 – L 8 SO 50/18 –; BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013 – B 8 SO 24/12 R – ).

Auch dabei besteht die besondere Situation, dass eine Unterkunft bezahlt wird, die vorübergehend nicht oder noch nicht bewohnt wird

Die Gerichte sehen es in einer solchen Situation als erforderliche vorbeugende Maßnahme nach §§ 67, 68 Abs. 1 SGB XII an, dass im Hinblick auf die bei Haftentlassung entstehende besondere Lebenssituation und die damit verbundenen Schwierigkeiten in tatsächlicher und finanzieller Hinsicht, eine Unterkunft im nahtlosen Übergang zu erlangen, Mietkosten für die Dauer kurzer Haft bzw. im Hinblick auf eine bevorstehende Haftentlassung übernommen werden.

Die Rechtsprechung geht dabei von einem Zeitraum von bis zu einem Jahr aus.

Persönliche Anmerkung

Dieses Urteil ist aus meiner Sicht zu begrüßen.

Wenn sich Mütter mit Bürgergeld – Bezug für mehr als 6 Monate in einer Mutter-Vater-Kind-Einrichtung aufhalten, sind vom Sozialhilfeträger die Mietkosten für die Familienwohnung als Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten zu übernehmen.

Eine andere Möglichkeit wäre rechtlich gar nicht möglich.