Bei Verwendung vorhandenen Vermögens zum Erwerb einer angemessenen Eigentumswohnung liegt kein vorwerfbares sozialwidriges Verhalten eines Bürgergeld-Beziehers vor (§ 34 SGB II). So geurteilt vom LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 18.07.2024 – L 7 AS 2471/23 – Revision zugelassen.
Leitsatz Gericht
Die nach § 12 Abs. 1 SGB II zu treffende Prognoseentscheidung, ob ein Vermögensgegenstand (hier: Erbschaftsanteil) innerhalb des Bewilligungszeitraums verwertbar ist, bemisst sich nach den Umständen im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung.
Weiterhin gibt das LSG Baden – Württemberg bekannt – Orientierungssätze
Selbst bewohnte angemessene geerbte Eigentumswohnung in einem Dreifamilienhaus stellt privilegiertes Vermögen dar, weshalb die ALG II – Leistungen als Zuschuss zu erbringen waren.
1. Muss eine Immobilie verwertet werden, weil sie nicht vollständig selbst genutzt wird oder weil sie die angemessene Größe übersteigt, kann sich der Inhaber eine angemessene Wohneinheit zur Selbstnutzung vorbehalten – etwa durch Schaffung von Wohnungseigentum –, auf die dann der Privilegierungstatbestand des (§ 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II) anzuwenden ist.
2. Auch läge im Rahmen des § 34 SGB II bei Verwendung vorhandenen Vermögens zum Erwerb einer angemessenen Eigentumswohnung kein vor werfbares sozialwidriges Verhalten vor (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10. Juli 2007 – L 5 B 410/07 AS ER – ).
3. Zudem ist zu berücksichtigen, dass bei Erbringung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als Darlehen die Gewährung der Grundsicherungsleistungen in Form eines Darlehens ein Ende finden muss, wenn die Belastungen (durch das Darlehen) den Verkehrswert des Vermögensgegenstandes erreichen.
Denn anderenfalls stünde der Darlehensnehmer schlechter als derjenige, der sein Vermögen verwertet und im Anschluss daran Hilfe zum Lebensunterhalt erhält (BSG, Urteil vom 25. August 2011 – B 8 SO 19/10 R – ).
4. Da die Leistungsempfänger bereits in einer zum Nachlass gehörenden Wohnung lebten, durfte die Klägerin auch zum Schutz der Wohnung als Lebensmittelpunkt ihre Verwertungsbemühungen auf den Erhalt der Wohnung konzentrieren.
Hinsichtlich der Verwertung eines Erbteils, in dem eine zu einem Teil selbst bewohnte Immobilie enthalten ist, kann nichts anderes gelten als für eine – weil sie nicht vollständig selbst genutzt wird oder sie die angemessene Größe übersteigt – nicht dem Schutz des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II unterfallenden Immobilie:
Grundsätzlich hat eine Verwertung stattzufinden, jedoch kann sich der Inhaber eine angemessene Wohneinheit zur Selbstnutzung vorbehalten – etwa durch Schaffung von Wohnungseigentum –, auf die dann der Privilegierungstatbestand anzuwenden ist
Erweist sich jedenfalls bis zur letzten Behördenentscheidung das Vermögen als wertlos oder nicht verwertbar, kann nichts anderes gelten; dann stehen Leistungen von Anfang an als Zuschuss zu.
Im Übrigen geht auch die Bundesagentur für Arbeit in ihren fachlichen Weisungen zu § 42a SGB II (Seite 5, Stand: 4. August 2016) davon aus, dass ein Darlehen nachträglich in entsprechendem Umfang in einen Zuschuss umzuwandeln ist, soweit der zum Zeitpunkt der Darlehensgewährung angenommene Vermögenswert höher ist als der später durch die Verwertung tatsächlich erzielte Ertrag.
Demzufolge wäre auch danach bei einem bei Verwertung gänzlich fehlenden Ertrag das Darlehen insgesamt in einen Zuschuss umzuwandeln.
Schließlich wäre es auch mit dem Bedarfsdeckungsprinzip des SGB II nicht vereinbar, wenn vom Hilfebedürftigen die Begleichung der Darlehensschuld in voller Höhe verlangt würde.
Obgleich das einzusetzende Vermögen nicht ausgereicht hätte, um über den vollen Zeitraum des darlehensweisen Leistungsbezugs den Lebensunterhalt zu sichern.
Nichts anderes gilt im Fall der Klägerinnen, die nach der Erbauseinandersetzung keinerlei Mittel zur Verfügung hatten, mit denen sie den Lebensunterhalt in den streitgegenständlichen Zeiträumen hätten decken können und nunmehr zur Begleichung einer Darlehensschuld einsetzen könnten.
Hinweis Detlef Brock
Eine geerbte Immobilie gehört im Monat nach dem Erbfall zum anrechenbaren Vermögen des ALG-II-Empfängers. Dann wird sie nach § 12 Abs. 3 Nr. 4 SGB II nicht weiter berücksichtigt, wenn sie selbst genutzt wird und eine angemessene Größe hat.
Muss eine Immobilie verwertet werden, weil sie nicht vollständig selbst genutzt wird oder weil sie die angemessene Größe übersteigt, kann sich der Inhaber eine angemessene Wohneinheit zur Selbstnutzung vorbehalten – etwa durch Schaffung von Wohnungseigentu –, auf die dann der Privilegierungstatbestand anzuwenden ( (Schwabe in beckOGK SGB II § 12 Rdnr. 61) ist.
Wissenswertes zur Erbschaft einer Immobilie bei Bürgergeld – Bezug (ergangen zu Hartz IV, doch trifft auch auf das jetzige Bürgergeld zu) Hartz IV: Was passiert, wenn ich eine Immobilie erbe? Ein Beitrag von Günter Warkowski.
Praxistipp
Muss ein Bürgergeld-Empfänger dem Jobcenter eine Erbschaft, obwohl diese Vermögen ist, melden?
Ja, Bürgergeld-Empfänger haben die Pflicht das Jobcenter unverzüglich über alle relevanten Änderungen ihrer Lebenssituation aufzuklären bzw. mitzuteilen.. Dazu gehören insbesondere Einkünfte und damit auch die Erbschaft einer Immobilie.
Im Sozialgesetzbuch 2 ist ausdrücklich bestimmt, dass eine Erbschaft vom Bürgergeld-Bezieher umgehend beim Jobcenter gemeldet werden muss.
Was droht Bürgergeld-Empfängern, wenn sie eine Immobilien-Erbschaft nicht beim Jobcenter anzeigen bzw. melden?
Verschweigt ein Bürgergeld-Empfänger dem Jobcenter gegenüber eine Immobilien-Erbschaft, droht ihm ein Bußgeld von bis zu 5.000 Euro.
Sollte das Verschweigen der Erbschaft die Straftatbestandsmerkmale eines Betrugs erfüllen, kann dies im schlimmsten Fall mit einer Freiheitsstrafe geahndet werden.
Detlef Brock ist Redakteur bei Gegen-Hartz.de und beim Sozialverein Tacheles e.V. Bekannt ist er aus dem Sozialticker und später aus dem Forum von Tacheles unter dem Namen “Willi2”. Er erstellt einmal wöchentlich den Rechtsticker bei Tacheles. Sein Wissen zum Sozialrecht hat er sich autodidaktisch seit nunmehr 17 Jahren angeeignet.