Bürgergeld: Kein Sonderbedarf für Pflegemittel vom Jobcenter bei Neurodermitis, aber!

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Die Übernahme von Kosten für solche gesundheitsbedingte Mehrbedarfe im Rahmen des § 21 Abs. 6 SGB II kommt von vornherein nur dann in Betracht, wenn vor Beginn und während der betreffenden Behandlungsmaßnahme beziehungsweise Anschaffung diverser Pflegeprodukte ein hinreichender Anlass zu der betreffenden Intervention bestanden hat.

Also eine Indikation vorgelegen hat, die anhand medizinischer Unterlagen nachvollziehbar festgestellt werden kann ( Orientierungssatz Detlef Brock )

1. Ein derartiger Bedarf atypischen Ursprungs kann sich auch aus gesundheitlichen Gründen ergeben.

So nennt der Gesetzgeber als Anwendungsfälle der Härtefallklausel des § 21 Absatz 6 SGB II unter anderem dauerhaft benötigte Hygienemittel bei bestimmten Erkrankungen wie z.B. Neurodermitis (Bundestagsdrucksache 17/1465).

2. Pflegeartikel zur Behandlung von Neurodermitis können als besonderer Bedarf in Betracht gezogen werden (so auch zu der parallelen Regelung in § 73 SGB XII SG Lüneburg, Urteil vom 23.4.2009 – S 30 AS 398/05).

3. Dies gilt aber nicht, wenn der Leistungsempfänger keine ärztliche Bestätigung vorgelegt hat. Des weiteren fehlen Angaben, ob er die Lotion einem ärztlichen Rat folgend verwendet.

4. Nicht jeder qualitative Mehrbedarf gegenüber einer einzelnen in den Regelbedarf eingeflossenen Position bzw. nicht jeder geringfügige quantitative Mehrbedarf stellt zugleich auch einen besonderen Bedarf im Sinne des § 21 Abs. 6 SGB II dar.

So das die angegebenen monatlichen Kosten für das Körperpflegemittel in Höhe von 13,80 EUR nur marginal über dem seinerzeitigen monatlichen Kostenansatz für Gesundheitspflege mit 13,64 EUR liegen und somit nicht zu übernehmen waren.

5. Ein unabweisbarer Mehrbedarf kann vielmehr nur angenommen werden, wenn der Bedarf den einschlägigen Ansatz für den Regelbedarf in der jeweiligen Abteilungen nennenswert überschreitet.

So entschieden vom LSG Hamburg L 4 AS 390/10

Anmerkung Sozialrechtsexperte Detlef Brock

Sogenannte Wunschmedizin übernimmt das Jobcenter nicht

Im Falle des LSG Hamburg ist der Antragsteller ganz falsch vorgegangen, muss man leider so sagen, denn bei Geltendmachung der Übernahme der Kosten für Pflegemittel muss ein medizinischer Nachweis vorliegen, dass diese Salben/Pflegeprodukte ärztlich verordnet wurden, wann, wie lange usw.

Des weiteren sollte nach gewiesen werden, welche monatlichen Kosten einem dabei entstehen, sie müssen über das normale Maß hinaus gehen, also sagen wir mal monatlich pauschal 50 Euro für Pflegemittel, das ist nur ein Beispiel, es kann auch weniger sein, doch dann hat das Jobcenter nur eine Möglichkeit, wenn der Bedarf unabweisbar ist, es muss diese Kosten als Härtefallmehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II übernehmen.

Wann muss das Jobcenter keinen Härtefallmehrbedarf im Sinne des § 21. Abs. 6 SGB II Übernehmen?

1. Für nichtverschreibungspflichtigen Mittel zur Behandlung von Muskel-, Glieder-, Knochen- und Rückenschmerzen, wenn es an einer medizinischen und ärztlichen Indikation und damit an der gebotenen Unabweisbarkeit des geltend gemachten Mehrbedarfs fehlt.

2. Für Aufwendungen für Schneiderarbeiten zur Kürzung von Hosenbeinen und Reparaturen der Bekleidung, denn die Kürzung von Hosen ist kein nur in Sondersituationen auftretender Bedarf.

3. Ein besonderer unabweisbarer Bedarf ist auch für die Übernahme von Beiträgen zur Rechtsschutz- und zur Hausratversicherung nicht gem. § 21 Abs. 6 SGB II anzuerkennen.

Bezogen auf die geltend gemachten Beiträge zur Hausratversicherung besteht schon deshalb kein unabweisbarer Bedarf im Sinne des § 21 Abs. 6 SGB II, weil dem Kläger bei Verlust seines Hausrates durch besondere Ereignisse wie Feuer, Leitungswasseraustritt, Sturm, Hagel, Einbruchdiebstahl, Raub und Vandalismus nach dem SGB II ein Anspruch auf eine neue Erstausstattung zusteht.

4. Monatsbeiträge für Vereine, die Gewerkschaft ver.di und eine politische Partei stellen keinen Sonderbedarf dar.

Hinweis Detlef Brock zu Punkt 3

Bei der Prozesskostenhilfe handelt es sich nach der gesetzlichen Konzeption um eine Form der Sozialhilfe im Bereich des gerichtlichen Rechtsschutzes, die insbesondere einen unabweisbaren Bedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II ausschließt ( so zutreffend LSG BW L 12 AS 1234/24 NZB)

Tipp:

Gute Chancen bestehen, wenn bei Vorliegen einer Neurodermitis die Pflegeprodukte medizinisch verordnet wurden und diese monatlich die Kosten, welche für Gesundheitspflege im RS sind, sprengen. Dann besteht auch ein Anspruch auf Übernahme der Kosten.

Übersteigen die monatlich geltend gemachten Kosten nicht verschreibungspflichtiger Medikamente den vom Regelsatz für Gesundheitspflege umfassten Betrag deutlich, kommt die Kostenübernahme nach § 21 Abs. 6 SGB II nur bei einer nachgewiesenen medizinischen Indikation in Betracht (LSG Baden -Württemberg, Urteil vom 18.07. 2023 – L 9 AS 2972/20 -; LSG NSB,Urteil vom 10.01.2019 – L 15 AS 262/16 – Anschluss an Bayerisches LSG, Beschluss vom 9. März 2017 – L 7 AS 167/17 B).

Fazit:

Lasst Euch nicht entmutigen, denn beim Vorliegen einer solchen Krankheit, welche medizinisch nach gewiesen ist und die Kosten über das normale Maß hinaus gehen, können einen solchen Bedarf begründen.

Kosten für Körperpflege-, Reinigungs- und Desinfektionsartikel bei fortgeschrittener HIV-Erkrankung, und bei gleichzeitigem hohem Wäscheverschleiß; sowie Pflegeprodukte bei Hauterkrankung, wie medizinisch notwendige Verbandsstoffe, Salben, z.B. bei Neurodermitis (BSG 19.8.2010 – B 14 AS 13/10 R).

Das LSG Hamburg hat „keine Zweifel, dass bei einem regelmäßigen monatlichen Aufwand von mindestens 20 € ein erhebliches Abweichen von dem durchschnittlichen Bedarf besteht“ (LSG Hamburg 5.8.2021 – L 4 AS 25/20, Rn. 58).

In einem anderen Fall hat das BSG entscheiden, dass die Unabweisbarkeit bei 20,45 € pro Monat erreicht sei (BSG 19.8.2010 – B 14 AS 13/10 R – Quelle Harald Thome- Folien zu § 21 abs. 6 SGB II ).

Das sollte man unbedingt wissen – gilt auch für Behörden und Jobcenter

Es ist anerkannt, dass der Erwerb von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, Hautpflegeprodukten bei Neurodermitis oder Hygieneartikeln bei ausgebrochener HIV-Infektion besondere Bedarfe im Sinne des § 21 Abs. 6 SGB II auslösen können (Adolph in: Adolph, SGB II, SGB XII, AsylbLG, 62. UPD November 2019, § 21 SGB II Rn. 66; Behrend in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Auflage 2015, § 21 Rn. 130; Krauß in: Hauck/Noftz, SGB, 05/11, § 21 SGB II Rn. 91; Bundestags-Drucksache 17/1465, S. 9; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23.02.2011 – L 13 AS 90/08 -).

Aber um nicht das Tor zu einer beliebigen, mit Steuermitteln finanzierten „Wunschmedizin“ zu öffnen, kommt die Übernahme von Kosten für solche gesundheitsbedingte Mehrbedarfe im Rahmen des § 21 Abs. 6 SGB II von vornherein nur dann in Betracht, wenn vor Beginn und während der betreffenden Behandlungsmaßnahme beziehungsweise Anschaffung diverser Pflegeprodukte ein hinreichender Anlass zu der betreffenden Intervention bestanden hat.

Also eine Indikation vorgelegen hat, die anhand medizinischer Unterlagen nachvollziehbar festgestellt werden kann ( LSG Baden – Württemberg, Urteil vom 18.07. 2023 – L 9 AS 2972/20 -; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 10.01.2019 – L 15 AS 262/16; Bayerisches LSG; Beschluss vom 09.03.2017 – L 7 AS 167/17 B ER -).

Um eine Klage auf gesundheitsbedingte Mehrbedarfe zu führen, muss man gut vorbereitet sein!

Es sollten vorliegen:

1. Medizinisches Attest bzw. Gutachten, welche die Krankheit bescheinigt und es muss daraus hervor gehen, dass die benötigten Pflegemittel dringend notwendig sind, um gesundheitliche Beeinträchtigungen zu vermeiden.

2. Es muss genau dokumentiert sein, was man gekauft hat ( Quittungen, usw. ).

3. Antrag bei der Krankenkasse sollte gestellt werden, Ablehnung kommt prompt. Brauch man aber für das Gericht.

4. Bei Unverträglichkeit mancher Pflegeprodukte ( kommt oft vor) sollte das medizinisch untermauert sein.

5. Kostenaufstellung für Nachweis der Hilfebedürftigkeit ist sinnvoll ( Anteil für Gesundheitspflege im RS gegenüber stellen ( aktuell ca. 21,50 € ) den Kosten für nicht verschreibungspflichtige Medikamente – Eine absolute Bagatellgrenze kennt § 21 Abs. 6 SGB II nicht. Es bestehen bei medizinischer Notwendigkeit gute Aussichten auf Erfolg!

6. Für einen Härtefallmehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II ist auf den Einzelfall abzustellen und auf den Bedarf, der in dieser Lebenssituation objektiv unabweisbar ist.

Weil mit der Dauer des zusätzlichen Bedarfs die Belastung zunimmt, ist außerdem zu berücksichtigen, ob dieser Bedarf voraussichtlich kurzfristig, mittelfristig oder dauerhaft anfällt.