Kann von dem Einkommen eines Selbstständigen eine Nachzahlung auf die Einkommensteuer für einen zurückliegenden Zeitraum von dem im aktuellen Bewilligungszeitraum erzielten Einkommen als Betriebsausgabe abgesetzt werden? Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen urteilte am 06.04.2023, dass keine Absetzbarkeit einer Einkommensteuernachzahlung im SGB II möglich sei.
Übernahme der Forderungskosten des Finanzamtes beantragt
Die Klägerin, die aufstockende Bürgergeld-Leistungen bezieht, beantragte unter Vorlage des entsprechenden Bescheides bei ihrem Jobcenter die Übernahme der Forderungskosten des Finanzamtes.
Das Jobcenter lehnte den Antrag mit der Begründung ab, dass eine Übernahme als Härtefallmehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II nicht in Betracht komme.
Sozialgericht Düsseldorf hebt ALG II-Bescheide auf, denn sie waren rechtswidrig
Die von der Klägerin zu leistende Einkommensteuernachzahlung wurde nicht gemäß § 11b Abs. 1 Nr. 1 SGB II als von dem Einkommen entrichtete Steuern von deren Einnahmen abgesetzt.
Die Vorschrift des § 11b Abs. 1 Nr. 1 SGB II ziele im Ergebnis darauf ab, Leistungsberechtigte nach dem SGB Il grundsätzlich von der Zahlung von Steuern zu befreien, denn das Einkommen von Leistungsberechtigten nach dem SGB Il liege grundsätzlich unterhalb des steuerlichen Existenzminimums.
Die verzögerte Festsetzung durch das Finanzamt sei nicht der Klägerin zur Last zu legen, somit müsse sie entsprechende im Nachhinein festgesetzte Steuernachforderungen von ihrem Einkommen absetzen können.
Diese Auslegung des § 11b Abs. 1 Nr. 1 SGB II sei auch im Hinblick darauf zwingend, dass im Umkehrfall Steuererstattungen für vergangene Zeiträume nach § 11 Abs. 1 SGB II als Einnahmen bewertet würden.
Landessozialgericht NRW folgt nicht der Rechtsauffassung des SG Düsseldorf: Keine Absetzbarkeit einer Einkommensteuernachzahlung
Nach Auffassung des LSG NRW, Urt. v. 06.04.2023 – L 6 AS 947/22 – anhängig BSG – B 7 AS 9/23 R ist nach § 11b Abs 1 S 1 Nr 1 SGB II abzugsfähig nur die auf das im Bewilligungszeitraum erzielte Einkommen eines Selbstständigen entrichtete Einkommensteuer, nicht eine Steuernachzahlung.
1. Nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II können nur solche zu entrichtenden Steuern vom Einkommen im Bewilligungszeitraum abgesetzt werden können, die sich auch auf das im Bewilligungszeitraum erzielte Einkommen beziehen.
2. Nicht unter die Vorschrift fallen Steuernachforderungen für zurückliegende Zeiträume, denn diese werden nicht auf das aktuelle Einkommen entrichtet (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 06.12.2018, L 31 AS 402/18 NZB; LSG Sachsen, Urteil vom 10.11.2020, L 8 AS 701/16). Solche Nachzahlungen stehen Schulden gleich, deren Tilgung nicht die Hilfebedürftigkeit zu begründen vermag (Söhngen in juris-PK-SGB II, Stand 07.03.2023, § 11b Rn. 19 m.w.N.).
3. Die Anwendung des § 11b Abs. 1 Satz Nr. 5 SGB II scheidet insoweit ebenfalls aus.
Rechtstipp von Detlef Brock
ebenso Sächsisches LSG, Urt. v. 06.04.2023 – L 7 AS 629/20 – Revision zugelassen; Sächsisches LSG, Urteil vom 10.11.2020 – L 8 AS 701/16; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20.10.2020 – L 9 AS 785/20; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 06.12.2018 – L 31 AS 402/18 NZB, LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 20.06.2017 – L 18 AS 1812/16 , a. Auffassung: SG Chemnitz, Urteil vom 25.05.2016, S 35 AS 3984/14; SG Kiel, Vergleich vom 14.11.2016, S 40 AS 100/15
Lesetipp: Einkommensteuernachzahlung ist Betriebsausgabe, Beitrag von RA Helge Hildebrandt, Kiel
Detlef Brock ist Redakteur bei Gegen-Hartz.de und beim Sozialverein Tacheles e.V. Bekannt ist er aus dem Sozialticker und später aus dem Forum von Tacheles unter dem Namen “Willi2”. Er erstellt einmal wöchentlich den Rechtsticker bei Tacheles. Sein Wissen zum Sozialrecht hat er sich autodidaktisch seit nunmehr 17 Jahren angeeignet.