Bürgergeld: Jobcenter-Rückforderungen – Warum nachträgliches Nein nicht gilt

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Die bayerischen Landessozialrichter haben klargestellt: Ein einmal geschlossener Vergleich lässt sich nicht nachträglich kippen, nur weil eine Partei die Folgen unterschätzt hat.

Das Urteil (Az. L 7 AS 400/22) trifft alle, die sich im Streit mit dem Jobcenter vorschnell auf einen Kompromiss einlassen.

Der Fall in Kürze

Das Landessozialgericht (LSG) Bayern bestätigte einen Vergleich über rund 5.600 Euro Rückforderung. Der Kläger wollte den Deal anfechten, weil er die Restschuld später für unberechtigt hielt. Das Gericht lehnte ab: Eine vermeintliche Fehleinschätzung ist kein „Irrtum“ im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs.

Weder § 119 BGB analog noch eine Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) greift. Damit blieb der Vergleich wirksam und der Prozess beendet.

Warum das Urteil wichtig ist

Rückforderungsbescheide gehören zum Alltag von Bürgergeld-Beziehenden. Oft rät das Gericht im Termin zu einer gütlichen Einigung, um langwierige Beweisaufnahmen zu vermeiden. Wer dann unterschreibt, bindet sich endgültig. Der Beschluss macht deutlich:

  • Kein Zurück nach „Meinungswandel“
  • Die Richter untersagen die Anfechtung, wenn Betroffene sich nur anders entscheiden wollen.
  • Hohe Hürden für Rücktritt
  • Zulässig wäre ein Widerruf nur bei nachweisbarer Drohung, arglistiger Täuschung oder einem offensichtlichen Protokollfehler.
  • Ein Vergleich kann viele Tausend Euro kosten oder sparen. Ob er lohnt, lässt sich nur vor Ort mit Fachleuten abklären.

Hintergrund: Wie es zum Streit kam

Der Kläger hatte dem Jobcenter eine Unfallrente seines Ehepartners nicht gemeldet. Das Amt forderte daraufhin Leistungen in Höhe von 975,88 Euro zurück; für die Bedarfsgemeinschaft addierten sich weitere 9.437,14 Euro. Das Sozialgericht München kippte die Bescheide zunächst, weil die Jahresfrist des § 45 SGB X verstrichen war.

Das Jobcenter ging in Berufung. Im Termin vor dem LSG am 13. Dezember 2024 einigten sich beide Seiten auf eine deutlich reduzierte Rückzahlung. Wenige Stunden später erklärte der Kläger schriftlich, er akzeptiere den Vergleich doch nicht – er meine nun, das Jobcenter schulde ihm sogar Nachzahlungen aus früheren Jahren.

Der 7. Senat verwies auf das Protokoll: Die Einigung wurde vorgespielt, genehmigt und unterzeichnet. Damit endete das Verfahren rechtskräftig – Anfechtungsgründe lagen nicht vor.

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Was spricht gegen die „Irrtums“Anfechtung?

Die Rechtsprechung erlaubt eine Anfechtung nach §§ 119 ff. BGB analog nur, wenn die unterschreibende Person sich über Inhalt oder Erklärungshandlung konkret geirrt hat. Ein nachträglicher Sinneswandel zählt nicht. Das Gericht führt aus:

Der Kläger wusste, dass er eine Restschuld von rund 5.600 Euro anerkennt.
Er wurde von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt vertreten, der den Vergleich ausdrücklich annahm.
Weder Täuschung noch Drohung waren erkennbar.

Selbst die Möglichkeit einer Aufrechnung mit angeblichen Forderungen aus 2008 – 2011 ändert daran nichts. Diese Gegenansprüche hätten vor oder während des Termins eingebracht werden müssen.

Bedeutung für die Praxis

  1. Vorbereitung ist alles
    Wer zum gerichtlichen Termin geladen wird, sollte Unterlagen sichten, Zahlungsbelege prüfen und einen klaren Zielkorridor festlegen. Anwältinnen und Berater können den voraussichtlichen „BestCase“ und „WorstCase“ beziffern. So lässt sich einschätzen, ob ein Vergleich vorteilhaft ist.
  2. Nicht auf Zeitdruck reagieren
    Gerichte und Jobcenter werben oft mit „letzten Chancen“ für eine schnelle Lösung. Lassen Sie sich nicht drängen. Ein abgelehnter Vergleich blockiert nicht zwangsläufig eine spätere Einigung, sofern das Verfahren weiterläuft.
  3. Unterschrift hat Endgültigkeitswirkung
    Nach § 101 SGG beendet ein protokollierter Vergleich den Prozess mit sofortiger Wirkung. Ein Widerruf ist nur unter extremen Bedingungen möglich. Wer unsicher ist, kann um Bedenkzeit bitten oder den Rechtsstreit fortsetzen.
  4. Dokumentation schützt
    Notieren Sie im Termin, welche Argumente ausgetauscht wurden, und lassen Sie sich Zeit, das Protokoll zu lesen. Fehler lassen sich noch im Raum korrigieren, spätere Protokollberichtigungen sind selten erfolgreich.

Blick nach vorn: Bürgergeld und Vergleiche

Wer Einkommen oder Vermögen zu spät meldet, riskiert Rückforderungen – oft inklusive Zinsen (§ 44 SGB II).

Vergleiche bleiben deshalb ein gängiges Mittel, um langwierige Verfahren abzukürzen. Das nun bestätigte Urteil dürfte die Jobcenter bestärken, auf Verbindlichkeit zu pochen.