Als das Jobcenter Jana (42) 2023 in einen „Power-Bewerbungskurs“ schickte, lautete das Ziel: möglichst schnell raus aus dem Bürgergeld. Zwölf Monate und zahllose Rollenspiele später steht sie immer noch ohne Arbeitsvertrag da – aber das Jobcenter hat für sie über 1.000 Euro pro Monat an den Träger überwiesen.
Mit diesem Einzelschicksal ist Jana keineswegs allein, wie eine aktuelle IAB-Studie im Auftrag des BA-Verwaltungsrats belegt. Die Auswertung zeigt: Das Fördersystem frisst erhebliche Mittel, während der Arbeitsmarkterfolg vieler Teilnehmenden bestenfalls mäßig ist – und sinnvolle Alternativen verkümmern.
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Harte Zahlen: Kosten rauf, Reichweite runter
Zwischen 2018 und 2024 sanken die Zugänge in die allgemeinen Maßnahmen bei einem Träger von 655.000 auf 436.000 Personen (33 %). Im gleichen Zeitraum stieg der Preis pro Teilnahmemonat von 706 € auf 1.014 € – ein Plus von knapp 44 %, deutlich über der Inflation. Die Jobcenter-Gesamtausgaben lagen 2024 trotzdem noch bei 875 Mio. €.
Ganz anders das Bild bei den Maßnahmen bei einem Arbeitgeber: Teilnahmekosten nur 39 € je Monat und doch ein Rückgang der Zugänge um 55 % (149.800 → 78.900). Die jährlichen Ausgaben schrumpften auf gerade einmal 1,1 Mio. € und damit auf Promille des Trägerbudgets.
Kurzum: Immer weniger Menschen kommen in die teuren Kurse, und doch verschlingen sie fast das ganze Aktivierungsbudget, während praxisnahe Betriebsphasen vernachlässigt werden.
Was bringen die beiden Instrumente wirklich?
Die IAB-Metastudie vergleicht Dutzende Wirkungsanalysen:
- Bei Träger-Maßnahmen liegt die Beschäftigungsquote der Geförderten bis zu sieben Jahre nach Kursende nur 1–4 Prozentpunkte über der passender Vergleichsgruppen – regional und nach Zielgruppen stark schwankend.
- Arbeitgebermaßnahmen steigern dagegen die Wahrscheinlichkeit ungeförderter Beschäftigung um bis zu 20 Prozentpunkte im ersten Jahr; selbst nach sieben Jahren hält ein Plus von rund 10 Punkten an.
Lock-in-Effekte – also die Phase, in der Teilnehmende während des Kurses weniger arbeiten können – sind laut Harrer et al. (2017) minimal: bei Trägerkursen ein halber Prozentpunkt für wenige Wochen; bei Arbeitgeberpraktika praktisch nicht messbar. Kurz gesagt: Das vermeintlich teure Praktikum zahlt sich schneller aus und hält länger vor.
Alltag einer „Aktivierten“
Für Bürgergeld Beziehende entscheidet die Zuweisung nicht nur über Chancen, sondern auch über Lebensqualität:
Zeitverlust: Wer monatelang Vollzeit im Trägerkurs sitzt, kann keinen Nebenjob annehmen und sammelt keine Rentenpunkte.
Sanktionsdruck: § 31 SGB II erlaubt Kürzungen, wenn eine Maßnahme abgelehnt wird – selbst wenn deren Wirksamkeit laut Statistik dürftig ist.
Psychische Belastung: Wiederholtes Bewerbungstraining ohne Erfolg wirkt entmutigend; viele Betroffene berichten von „Drehtür-Effekten“, weil nach Maßnahmeende erneut Arbeitslosigkeit droht.
Gleichzeitig bleiben echte Chancen ungenutzt: Nur 17 % der Aktivierungs- und Vermittlungsgutscheine werden eingelöst, obwohl sie Bürgergeld Beziehenden erlauben, sich selbst einen Betrieb zu suchen. Wer keinen Arbeitgeber findet, landet häufig wieder beim Kursanbieter – die Spirale dreht sich weiter.
Warum steuern Jobcenter das Geld in die falsche Richtung?
Die Studie nennt mehrere Konstruktionsfehler:
- Einkauf statt Lösungssuche: Jobcenter beschaffen Trägerangebote über große Rahmenverträge. Das belohnt Anbieter, die viele Plätze, aber nicht unbedingt gute Ergebnisse liefern.
- Fehlende Ergebniskennzahlen: Abgerechnet wird pro Besetzungs- oder Kursmonat, nicht pro erfolgreichem Job. Selbst reine Erfolgsprämien sind selten und häufig gedeckelt.
- Politischer Aktionismus: Hohe Teilnehmerzahlen lassen sich in Pressemitteilungen leichter verkaufen als stille Betriebspraktika, bei denen die Statistik erst mit Verzögerung besser aussieht.
- Datenlücken beim Gesamtnutzen: Fiskalische Berechnungen zeigen für Arbeitgeberpraktika ein deutlich positives Verhältnis von Kosten und Nutzen; bei Trägerkursen bleibt das Bild uneinheitlich, weil gesicherte Daten zur Gesamteffektivität fehlen.
Für eine wirksamere Praxis lassen sich zwei zentrale Handlungsfelder benennen.
Erstens sollten Bürgergeld-Beziehende bereits im Vorfeld erkennen können, ob eine zugewiesene Maßnahme voraussichtlich wenig bringt. Warnsignale sind dabei ein vage formuliertes Ziel – etwa die pauschale „Stärkung der Beschäftigungsfähigkeit“ statt die konkrete Vorbereitung auf einen klar umrissenen Beruf –, ein hoher Präsenzanteil ohne jede betriebliche Praxis sowie das Fehlen eines individuellen Abschlussberichts oder gar eines Jobangebots nach Kursende.
Zweitens braucht es politische Reformen, die diese Schwachstellen gezielt abstellen. Ein Viertel des gesamten Aktivierungsbudgets sollte verpflichtend in Arbeitgeberpraktika umgeschichtet werden, weil dort nachweislich die höchsten Jobchancen entstehen. Zudem ist Transparenz gefragt: Jeder Kurs muss online offenlegen, wie viele Teilnehmende zwölf oder 24 Monate nach Abschluss in regulärer Beschäftigung sind.
Wird kein passendes Angebot gefunden, sollte automatisch ein Vermittlungsgutschein ausgestellt werden – ohne dass die Jobcenter mit Sanktionen drohen. Schließlich müssen die Honorare der Träger stärker an nachhaltige Vermittlungserfolge gekoppelt werden; reine „Kurs-Parkplätze“, die nur Statistikplätze füllen, dürfen künftig keine Vergütung mehr erhalten.
Rechte, die heute schon gelten
Bürgergeld Beziehende dürfen eine Maßnahme ablehnen, wenn das Jobcenter Ziel, Inhalt und Nutzen nicht schlüssig begründet (§ 45 Abs. 4 SGB III). Ein Widerspruch muss binnen eines Monats eingehen; Beratungshilfe kann kostenfrei in Anspruch genommen werden. Wer einen Vermittlungsgutschein erhält, sollte aktiv Betriebe ansprechen – und darauf drängen, dass das Jobcenter Fahrt- und Arbeitskleidungskosten übernimmt (§ 16 SGB II, §§ 44–46 SGB III).
Fördern braucht Fairness
Die neue IAB-Bilanz liefert den statistischen Beleg für das, was Tausende Bürgergeld Beziehende täglich erleben: Trägerkurse sind teuer und oft wirkungsschwach, betriebliche Praxis ist billig und wirksam, wird aber vernachlässigt. Solange Kennzahlen zur Erfolgsquote nicht offengelegt und Budgets nicht umgeschichtet werden, bleibt das Leitbild „Fordern und Fördern“ ein leeres Versprechen. Es ist Zeit, das System vom Kopf auf die Füße zu stellen – damit Aktivierung endlich bei den Menschen ankommt, statt nur die Statistik zu füttern.