Bürgergeld: Jobcenter muss Wohnkosten anhand der Realität definieren

Lesedauer 2 Minuten

Das Jobcenter übernimmt beim Bürgergeld die Kosten für eine Wohnung, wenn diese als angemessen gilt. Das Landessozialgericht Brandenburg-Berlin urteilte, dass dies auch für Mieten gilt, die für Sozialwohnungen erhoben werden und nicht (allein) nach dem örtlichen Mietspiegel bemessen werden darf.

Worum ging es konkret?

Eine alleinlebende Frau in Berlin, die Grundsicherung bezieht, verlangte vom Jobcenter ihre Miete in 2015 und 2016 zu übernehmen, die monatlich 640 Euro warm betragen hatte. Das Jobcenter wollte jedoch nur 480 Euro zahlen.

Durchschnittlicher Mietspiegel darf nicht die (alleinige) Messlatte sein

Das Jobcenter bezog sich dabei auf den durchschnittlichen Mitspiegel. Das Gericht urteilte zugunsten der Klägerin. Laut dem Gericht habe ein Vergleich mit Sozialwohnungen zu erfolgen und nicht mit den durchschnittlichen Kosten eines Mietspiegels, da dieser nur den unteren, nicht den oberen Rand der Angemessenheit anzeige.

Wohnungen müssen auch verfügbar sein

Implizit berücksichtigte das Gericht die prekäre Wohnsituation in Berlin, die real ständig steigenden Mieten und die massiven Probleme, überhaupt eine bezahlbare Wohnung zu finden. So dürfte, laut Gericht, das Jobcenter nicht nur auf einfache (und günstigere) Wohnungen verweisen, diese müssten auch tatsächlich für Leistungsberechtigte zur Verfügung stehen.

76 000 Haushalte über dem Mietspiegel

In Berlin stünden solche Wohnungen jedoch nicht generell zur Verfügung. So hätte eine statistische Auswertung des Wohnraumbedarfs durch die Senatsverwaltung 2019 ergeben: 76.000 Haushalte in Berlin, die Leistungen der Grundsicherung erhielten, hatten Mietkosten, die über den von den Jobcentern gedachten Grenzwerten gelegen hätten. Davon wären 33.000 von einer Person bewohnt gewesen.

Angemessenheit und Wohnungsnot

In Berlin würden laut Gericht 345.000 Wohnungen für Einzelpersonen fehlen. In dieser Situation könne das Landessozialgericht keinen Grenzwert bestimmen. Die Wohnung der Klägerin sei indessen angemessen.

Wohnungsknappheit in Berlin

Laut ZDF hätten von 1,8 Millionen Haushalten in Berlin im Januar 2023 735.000 Anspruch auf eine Sozialwohnung. Es gäbe aber nur noch rund 96.000 Sozialwohnungen, die zur Verfügung stünden, und bis 2025 würden weitere 19.000 davon fehlen. Statt 20.000 neuen Wohnungen pro Jahr wurden lediglich 16.500 gebaut, statt 5.000 neuen Sozialwohnungen nur 1.935 bewilligt.

„Angemessenheit“, Wegzug oder Obdachlosigkeit

Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg klärte, dass innerhalb der prekären Situation in Berlin kein fester Grenzwert für Zahlungen gegeben werden könnte. Die finanzielle Förderung für „angemessenen Wohnraum“ durch die Jobcenter bedeutet ja auch, dass Wohnungen bis zu dieser Kostengrenze auch gefunden werden könnten.

Real müssen aber Bedürftige Berlin und andere Großstädte gerade deshalb verlassen, weil sie keine Wohnung im günstigen Kostensegment finden. Wer, wie die Klägerin in diesem Fall, noch in einer Sozialwohnung lebt, kann froh sein. Die Alternative ist allzuoft Wegzug oder Obdachlosigkeit.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig

Dieses Urteil (Az.: L 32 AS 1888/17) ist noch nicht rechtskräftig und wird zur Revision beim Bundessozialgericht geprüft