Bürgergeld: Jobcenter muss Nebenkostennachzahlung übernehmen

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SGB 2: Nachforderung von Nebenkosten für die ehemals bewohnte Wohnung sind zu übernehmen

Wenn der Vermieter nach erfolgter Nebenkostenabrechnung eine Nachzahlung fordert, gehört dies grundsätzlich zu den vom Jobcenter zu übernehmenden Bedarfen für Unterkunft und Heizung.

Einen solchen Bedarf muss das Jobcenter auch dann anerkennen, wenn die Nebenkostenabrechnung eine Wohnung betrifft, die von der hilfebedürftigen Person zum Zeitpunkt der Abrechnung nicht mehr bewohnt wird. So entschieden vom SG Karlsruhe, Urt. v. 08.12.2022 – S 3 AS 1456/22 – Berufung zugelassen

Die Nebenkostenabrechnung betrifft eine Wohnung, welche Hilfebedürftige nicht mehr tatsächlich nutzt, weil sie später n eine andere Wohnung gezogen ist, für welche ihr vom Jobcenter bei der Leistungsbewilligung die Leistungen für Unterkunft und Heizung anerkannt wurden.

Zitat:

1. “In so einem Fall erhöht sich der aktuelle Bedarf ausnahmsweise, wenn der Leistungsberechtigte sowohl im Zeitpunkt der tatsächlichen Entstehung der Kosten als auch im Zeitpunkt der Fälligkeit der Nachforderung der Kosten als auch im Zeitpunkt der Fälligkeit der Nachforderung im Leistungsbezug nach dem SGB II stand und die Aufgabe der bisherigen Wohnung in Erfüllung einer Kostensenkungsobliegenheit gegenüber dem Leistungsträger erfolgt und keine andere Bedarfsdeckung eingetreten ist” (BSG, Urteil vom 30.03.2017, Az.: B 14 AS 13/16).

Oder:

2. Wenn der Leistungsberechtigte durchgehend seit dem Zeitraum, für den die Nebenkostennachforderung erhoben wird, bis zu deren Geltendmachung und Fälligkeit im Leistungsbezug nach dem SGB II und eine Zusicherung hinsichtlich des Umzugs während des Bezugs von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vorlag (BSG, Urteil vom 30.03.2017, Az.: B 14 AS 13/16 R ).”

Dieser Auffassung ist das SG Karlsruhe nicht gefolgt und hat geurteilt

Nicht nur bei der Aufforderung zur 1. Kostensenkung der Miete oder wenn eine schriftliche 2. Zusicherung zum Umzug vom Jobcenter vorlag – ist die Betriebskostennachzahlung vom JC für eine nicht mehr bewohnte Wohnung zu übernehmen,

Denn: Die oben genannten 2. Fallgruppen des BSG sind nicht als abschließend an zu sehen (so auch vgl. LSG NRW, Urteil vom 23.05.2019 – L 7 AS 1440/18 -).

Die Rechtsprechung des BSG sei aber auf den Sachverhalt übertragbar, weil:

Ununterbrochene Hilfebedürftigkeit als Voraussetzung zur Übernahme der Nachforderung

1. Die Entstehung der Nachforderungen und ihre Fälligkeit muss in einen Zeitraum ununterbrochener Hilfebedürftigkeit fallen.

Die Nicht – Übernahme gleicht einer Umzugssperre – Leistungsbezieher würden mit Schulden belastet!

Ein Wegfall der Erstattung einer Nebenkostenforderung allein durch Umzug käme einem faktischen, erheblichen Umzugshindernis gleich ( LSG BB – L 19 AS 2352/19 -).

2. Selbst ohne die Erfüllung einer Kostensenkungsobliegenheit bzw. nach Umzugssicherung bewirkt die Nichtübernahme der Nebenkostennachforderung eine faktische Umzugssperre, da sich ein Leistungsbezieher dann dem Risiko ausgesetzte sähe, nur wegen nicht in ausreichender Höhe festgesetzter Nebenkostenvorauszahlungen mit Schulden belastet zu werden.

Anmerkung Redakteur Detlef Brock

Das SG Karlsruhe reiht sich ein in einigen Urteilen, welche alle den gleichen Tenor hatten:

Die genannten 2. Fallgruppen des BSG (BSG, Urteil vom 30.03.2017 – B 14 AS 13/16 ) sind nicht als abschließend an zu sehen.

Die Frage einer Übernahmeverpflichtung von Nachforderungen von Betriebskosten für eine nicht mehr bewohnte Wohnung in Fällen ohne Vorliegen einer Kostensenkungsaufforderung bzw. Zusicherung wird in der Rechtsprechung der Landessozialgerichte unterschiedlich beurteilt, weshalb Berufung und auch Revision zum BSG zugelassen wurde!

Beispielhafte positive Entscheidungen hier:

1. SG Detmold, Urt. v. 30.11.2017 – S 23 AS 1759/16 –
Nachforderung von Betriebskosten für die ehemals bewohnte Wohnung sind zu übernehmen

2. SG Altenburg, Urt. v. 05.10.2022 – S 30 AS 1503/21 –

Eine Pflicht des SGB II-Leistungsträgers zur Übernahme von Nebenkostennachforderungen für eine vom Leistungsberechtigten nicht mehr bewohnte Wohnung gemäß § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II kann auch in Fällen ohne Vorliegen einer Kostensenkungsaufforderung oder Zusicherung bestehen.

3. ebenso LSG NRW, Urt. v. 23.05.2019 – L 7 AS 1440/18; LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 30.04.2020 – L 19 AS 2352/19; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 26.01.2017 – L 8 AS 272/12 – Revision zugelassen

Fazit

Eine Betriebskostennachforderung für eine nicht mehr bewohnte Wohnung ist als aktueller Bedarf im Fälligkeitsmonat bei den Kosten der Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs 1 S 1 SGB II zu berücksichtigen, wenn der Leistungsberechtigte im Zeitraum der tatsächlichen Entstehung der Kosten im Leistungsbezug stand und auch im Zeitpunkt der Fälligkeit der Nachforderung noch steht.

Wann wäre ausnahmsweise eine Übernahme der Nebenkostennachzahlung nicht gerecht fertigt?

Ausnahmsweise anders sind Nebenkostennachforderungen für eine Wohnung zu behandeln, deren tatsächliche Entstehung nicht auf Zeiten der Hilfebedürftigkeit zurückgeht und die erst fällig geworden sind, nachdem diese Wohnung nicht mehr bewohnt wird.

Diese sind nach höchstrichterlicher Rechtsprechung kein anzuerkennender Bedarf (BSG, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 40/14 R – ).

Was müssen Bürgergeld-Leistungsempfänger beachten?

Bürgergeldempfänger sollten darauf achten, dass wenn der Vermieter seine Nebenkostenabrechnung vorlegt, dies ein Bedarf der Kosten der Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 SGB II ist, selbst wenn aktuell diese Wohnung nicht mehr bewohnt wird, aber durchweg ALG II bezogen wurde und immer noch wird!

Einzige Voraussetzung für eine Übernahme ist:

Während der Entstehung der Nebenkostennachforderung und auch zum Fälligkeitstermin muss durch weg ALG II bezogen worden sein und zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Rechnung muss Bürgergeld bezogen werden!

Grundsätzlich verursacht auch eine Nachzahlungsforderung für eine im Zeitpunkt der Fälligkeit der Forderung nicht mehr bewohnte Unterkunft eine aktuelle Bedarfslage im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II ( LSG Sachsen L 3 AS 188/08 ).