Bürgergeld: Jobcenter muss Monatsfahrkarte zur Therapie zahlen

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Das Jobcenter muss Kosten für eine Monatsfahrkarte (ca 100 Euro) zur Methadonbehandlung übernehmen. Denn:

1. Fahrkosten zur Methadonbehandlung sind vom Jobcenter als Sonderbedarf zu übernehmen.

2. Es handelt sich nicht um eine Leistung der Krankenkasse bzw. der Bedarf muss nicht durch Einsparungen aus dem Regelbedarf gedeckt werden.

3. Die Kosten für eine Monatsfahrkarte ( ca 100 Euro ) waren hier durch das Jobcenter zu übernehmen.

So entschieden vom LSG Baden- Württemberg, Urt. v. 18.03.2020 – L 3 AS 3212/18 –

Begründung:

Bürgergeld – Mehrbedarf – unabweisbarer laufender besonderer Bedarf – täglich entstehende Fahrkosten zu einer Methadonbehandlung

Die Leistungsempfängerin hat wegen der täglichen Fahrten zur Methadon-Substitutionsbehandlung einen unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen besonderen Bedarf im Sinne des § 21 Abs. 6 Satz 1 SGB II ( vgl. LSG NRW, Urteil vom 19.03.2015 – L 6 AS 1926/14 – ).

Die Fahrtkosten stellen auch einen besonderen Bedarf dar

Denn es muss ein Mehrbedarf im Verhältnis zum normalen Regelbedarf gegeben sein (vgl. BSG, Urteil vom 18.11.2014 – B 4 AS 4/14 R – ).

Der Mehrbedarf wegen der Methadon-Substitutionsbehandlung ist auch unabweisbar

Denn der Mehrbedarf war nicht durch Zuwendungen Dritter, speziell durch Leistungen der gesetzlichen Krankenkasse der Klägerin, gedeckt.

Fahrkosten zu ambulanten Behandlungen werden gemäß § 60 Abs. 1 Satz 3 SGB V von der gesetzlichen Krankenkasse nur im besonders begründeten Ausnahmefall übernommen, der hier aber nicht vorliegt.

Allgemeine Fahrkosten, die im Zusammenhang mit der Wahrnehmung einer ambulanten medizinischen Behandlung entstehen, die nicht als eine Krankenbehandlung nach § 27 SGB V aufzufassen ist, übernimmt die gesetzliche Krankenversicherung nicht.

Auch unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten war der Fahrtkostenbedarf nicht gedeckt

Weil der Einsatz der im Regelbedarf berücksichtigten Ansparbeträge zur Finanzierung der Fahrtkosten zur Methadon-Substitutionsbehandlung würde zu einer Aufzehrung dieser Ansparbeträge und demnach zu einer ständigen Unterdeckung dieser Bedarfspositionen führen.

Umschichtung von in der Regelleistung für die einzelnen Bedarfspositionen berücksichtigten Beträgen

Diese kommt nur in Betracht, wenn wenn auch der Bedarf, der durch die Umschichtung finanziert werden soll, grundsätzlich vom Regelbedarf umfasst ist (vgl. BSG, Urteil vom 18.11.2014 – B 4 AS 4/14 R –).

Tägliche Fahrtkosten zu einer ärztlichen Behandlung sind jedoch – nicht Bestandteil der Regelleistung.

Der Unabweisbarkeit des Bedarfs der Hilfebedürftigen wegen der Fahrtkosten zur Methadon-Substitutionsbehandlung steht auch nicht die Trennung der Leistungssysteme der Grundsicherung für Arbeitsuchende und der gesetzlichen Krankenversicherung entgegen

Weil die Trennung der Leistungssysteme der Grundsicherung für das SGB 2 und der gesetzlichen Krankenversicherung steht einem Anspruch nach § 21 Abs 6 S 1 SGB II nicht grundsätzlich entgegen (Anschluss an BSG vom 12.12.2013 – B 4 AS 6/13 R – )

Grundsätzlich kann ein auf § 21 Abs. 6 Satz 1 SGB II gestützter Anspruch auf Übernahme notwendiger Fahrkosten lediglich in dem Umfang geltend gemacht werden, der für eine Monatsfahrkarte des öffentlichen Personennahverkehrs aufzubringen ist .

Anmerkung Sozialrechtsexperte Detlef Brock

Unabweisbar kann ein durch eine medizinische Behandlungsmaßnahme ausgelöster Mehrbedarf gegenüber dem Regelbedarf nur dann sein, wenn die medizinisch notwendige Versorgung durch das Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung beschränkt wird ( BSG Rechtsprechung )

Betroffene sollten bei Ablehnung solcher Kosten durch die Krankenkasse immer zeitgleich einen Antrag auf Übernahme beim Jobcenter stellen.

Rechtstipp:

So auch LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 19.3.2015 – L 6 AS 1926/14 – zu Fahrtkosten zu einer täglichen ambulanten Substitutionstherapie mit Methadon; SG Koblenz,Beschluss vom 17.03.2015 – S 6 AS 214/15 ER; ebenso SG Detmold, Urteil vom 11.09.2014 – S 23 AS 1971/12 u. SG Wiesbaden, Beschluss vom 11.10.2010 – S 23 AS 766/10 ER –

Die grundsicherungsrechtlich angemessene Höhe einer Mehrbedarfshärteleistung für die Aufwendungen durch die Fahrtkosten zur Ausübung des Umgangsrechts bestimmt sich nach der kostengünstigsten und gleichwohl im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Schutz des Umgangsrechts verhältnismäßigen sowie zumutbaren Art der Bedarfsdeckung im Einzelfall ( BSG, Urt. v. 18.11.2014 – B 4 AS 4/14 R – ).

Darum waren hier auch nur Kosten für eine Monatsfahrkarte zu bewilligen (rund 100 Euro) statt der tatsächlichen Kosten – 300 Euro.