Bürgergeld: Jobcenter fordert Totalentzug: Darum kippt das Gericht den Bescheid

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Eine Versagung nach § 66 SGB I setzt eine echte Mitwirkungspflichtverletzung nach § 60 Abs. 1 SGB I voraus. Die Einwilligung in eine Begutachtung eines Grundstücks gehört nicht dazu. Wer die Mitwirkungspflichten künstlich ausdehnt oder das Ermessen schematisch ausübt, handelt rechtswidrig.

Ausgangslage

Das Jobcenter begründete die Leistungsversagung damit, die Antragstellerin habe keine vollständige Rentenauskunft vorgelegt und nicht an der Einleitung einer Grundstücksbegutachtung mitgewirkt.

Der entscheidende Punkt: Gefordert war nicht die Angabe von Tatsachen, sondern eine Einwilligung in einen Eingriff. Genau hier verläuft die Grenze zwischen zulässiger Sachverhaltsaufklärung und unzulässiger Erweiterung der Mitwirkungspflichten.

Mitwirkungspflichten haben Grenzen

§ 60 Abs. 1 SGB I verpflichtet Leistungsberechtigte, Tatsachen anzugeben und deren Ermittlung zu ermöglichen. Das umfasst Auskünfte, Belege und zumutbare Mitwirkungen an der Aufklärung – jedoch keine Verpflichtung, Begutachtungen am Eigentum zu dulden.

Eine solche Duldungspflicht lässt sich den §§ 60–62, 65 SGB I gerade nicht entnehmen. Wer die Zustimmung zu einer Begutachtung verweigert, verletzt deshalb keine Mitwirkungspflicht im Sinne des § 66 Abs. 1 SGB I.

Keine „heimliche“ Erweiterung über die Generalklausel

Auch § 66 Abs. 1 Satz 2 SGB I hilft dem Jobcenter nicht weiter. Die Vorschrift greift, wenn der Antragsteller die Aufklärung absichtlich erheblich erschwert – sie erweitert die Mitwirkungspflichten aber nicht. Die Generalklausel ist kein Freifahrtschein, um neue Pflichten zu konstruieren. Fehlt eine gesetzliche Grundlage, scheitert die Versagung bereits am Tatbestand.

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Ermessensausübung: nicht nur ankreuzen, sondern abwägen

Selbst wenn man das Vorbringen der Behörde ernst nimmt, bleibt die Ermessensentscheidung defizitär. Ein bloßer Hinweis, es gebe „keine zu berücksichtigenden Gründe“, ersetzt keine echte Abwägung. Hier hatte die Betroffene sogar signalisiert, grundsätzlich mitzuwirken und eine Schweigepflichtentbindung zu erteilen, sofern ein Vor-Ort-Termin stattfinde.

Darauf musste die Behörde eingehen. Zudem verlangt § 66 SGB I ausdrücklich eine gestufte Reaktion: Es ist zu prüfen, ob eine teilweise Versagung genügt. Wer diesen milderen Schritt nicht einmal erwägt, verkennt das Ermessen – der Bescheid ist schon deshalb rechtswidrig.

Praktische Folgen für Betroffene

Für Leistungsberechtigte ist wichtig: Das Jobcenter darf nur solche Mitwirkungen verlangen, die das Gesetz auch kennt. Wird eine Einwilligung in eine Grundstücksbegutachtung verlangt, sollte schriftlich darauf hingewiesen werden, dass dies keine Mitwirkungspflicht nach § 60 SGB I ist.

Gleichzeitig empfiehlt sich, alternative Mitwirkung anzubieten, etwa ergänzende Auskünfte, Unterlagen oder eine Besichtigung im Rahmen eines konkret begründeten Vor-Ort-Termins. Kommt dennoch ein Versagungsbescheid, sind Widerspruch und – bei existenzieller Lage – ein Eilantrag beim Sozialgericht regelmäßig die richtigen Schritte.

Einordnung der „Totalentzug“-Rhetorik

Forderungen nach einem vollständigen Leistungsentzug bei wiederholtem Nichterscheinen klingen markig, sind aber gesetzlich nicht gedeckt. Weder § 66 SGB I noch § 32 SGB II tragen einen pauschalen Totalentzug. Meldeversäumnisse haben sanktionierende Folgen, aber keine automatische Leistungsvernichtung auf Null. Wer öffentlich maximale Härte fordert, muss sie auch rechtsstaatlich begründen – sonst bleibt es politisches Wunschdenken, das vor Gericht keinen Bestand hat.

Fazit

Ohne gesetzliche Mitwirkungspflicht keine Versagung. Die Einwilligung in eine Grundstücksbegutachtung ist keine Pflicht nach § 60 SGB I. Eine Versagung nach § 66 SGB I scheitert damit schon am Tatbestand – und zusätzlich an der Ermessensausübung, wenn die Behörde die Möglichkeit einer Teilversagung ignoriert und das konkrete Vorbringen der Betroffenen nicht würdigt. Rechte wahren, Alternativen anbieten, Bescheide prüfen lassen: So bleibt der Leistungsanspruch geschützt.