Schwerbehinderung: Nachträgliche Antragstellung auf behindertengerechte Auto-Zusatzausstattung möglich

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Rentenversicherung: Eine nachträgliche Antragstellung auf eine behinderungsbedingte Zusatzausstattung für ein Auto im Einzelfall möglich

Mit wegweisendem Urteil gibt die 12.Kammer des Sozialgerichts Koblenz bekannt ( Urteil vom 27.05.2025 – S 12 R 455/24 – ), dass ein Antrag nach § 10 S 1 KfzHV vor dem Abschluss eines Kaufvertrags einer behindertengerechten Zusatzausstattung gestellt werden soll, um dem Rentenversicherungsträger vor Bedarfsdeckung eine Ermessensentscheidung zu ermöglichen.

Eine nachträgliche Antragstellung ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts – nur in atypischen Fällen bei Vorliegen eines objektiv unaufschiebbaren Bedarfs – zulässig, so dass dem Versicherten eine rechtzeitige Antragstellung weder möglich noch zumutbar ist.

Coronabedingte Lieferprobleme eines Kfz-Herstellers, die zur Ungewissheit hinsichtlich eines Liefertermins führen, sind nicht geeignet, einen atypischen Fall zu begründen, so die 12. Kammer des Gerichts Koblenz.

Kurzbegründung des Gerichts

Das Gericht folgt aus eigener Überzeugung der Rechtsprechung des BSG, da sie ausgehend vom Wortlaut des § 10 KfzHV dem Sinn und Zweck einer rechtzeitigen Befassung des Rentenversicherungsträgers im Hinblick auf die Prüfung der Erforderlichkeit der Anschaffung einer behindertengerechten Zusatzausstattung Rechnung trägt.

Der Rentenversicherungsträger soll regelmäßig vor der Anschaffung einer behinderungsbedingten Zusatzausstattung den Sachverhalt ermitteln und eine Ermessensentscheidung im Hinblick auf die Erforderlichkeit der Zusatzausstattung treffen können.

§ 10 KfzHV konkretisiert für den Bereich der Kraftfahrzeughilfe den allgemeinen Grundsatz, dass der Rehabilitationsträger vor Beginn der zu treffenden Maßnahmen und vor Deckung eines bestehenden Bedarfs einzuschalten ist.

Nicht-Vorliegen eines atypischen Falles

Nach Auffassung der Kammer kann nicht vom Vorliegen eines atypischen Falles ausgegangen werden.

Es ist nicht erkennbar, dass vom Vorliegen eines unaufschiebbaren berufs- oder funktionsbedingten Bedarfs im Hinblick auf die behinderungsbedingte Zusatzausstattung auszugehen ist. Die Klägerin hätte vielmehr vor Abschluss des verbindlichen Kaufvertrages über den Pkw bzw. über die behinderungsbedingte Zusatzausstattung einen entsprechenden Antrag auf Kraftfahrzeughilfe bei der Behörde stellen müssen.

Coronabedingte Lieferprobleme eines Kfz-Herstellers, die zur Ungewissheit hinsichtlich eines Liefertermins führen, sind nicht geeignet, einen atypischen Fall zu begründen

Zu keiner anderen rechtlichen Bewertung vermag das klägerische Vorbringen zu führen, dass wegen coronabedingter Lieferprobleme seitens der Firma Opel bzw. aufgrund von Umstrukturierungen ein verbindlicher Liefertermin bei Kaufvertragsabschluss nicht festgestanden habe. Eine derartige Situation begründet keinen atypischen Sachverhalt, der die Stellung eines Antrags im Nachhinein rechtfertigen kann.

Hinweis des Gerichts

Die Klägerin war nicht aus unaufschiebbaren Gründen gehalten, einen rechtsverbindlichen Kaufvertrag über ein neues Fahrzeug vor Einschaltung der Behörde abzuschließen, zumal ihr noch ein bereits von der Behörde bezuschusstes, behindertengerecht ausgestattetes Kraftfahrzeug zur Verfügung stand.

Sie hätte zudem die lieferbedingte Unsicherheit im Hinblick auf ein neues Kraftfahrzeug dazu nutzen können, nachvollziehbare und schlüssige medizinische Befunde für die begehrte neue behinderungsbedingte Zusatzausstattung zu beschaffen und diese mit dem Antrag vor Abschluss eines rechtsverbindlichen Kaufvertrags der Behörde zur Prüfung vorzulegen.

Die Klägerin hatte auch Kenntnis davon, dass ein Antrag vor Abschluss eines rechtsverbindlichen Verpflichtungsgeschäftes bei der Behörde zu stellen ist

Der Klägerin musste im Übrigen aufgrund der im Jahr 2021 von ihr beantragten Kraftfahrzeughilfe bekannt sein, dass ein Antrag vor Abschluss des Kaufvertrages über das Kraftfahrzeug bzw. hier über die behinderungsgerechte Zusatzausstattung, nicht jedoch nach Abschluss eines rechtsverbindlichen Verpflichtungsgeschäft zu stellen ist.