Bürgergeld: Jobcenter dürfen Guthaben nicht anrechnen – Urteil

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Jobcenter dürfen bei sogenannten Aufstockern ein Betriebskostenguthaben nicht auf das Bürgergeld anrechnen, wenn dieses Guthaben vollständig aus Eigenmitteln entstanden ist (§ 22 Abs. 3 SGB II).

Wegweisendes Urteil des SG Nürnberg (29.01.2021 – S 22 AS 1385/19)

Das Sozialgericht Nürnberg hat entschieden, dass die Regelung zur Nichtanrechnung von Guthaben für zuvor nicht anerkannte Kosten der Unterkunft und Heizung auch dann gilt, wenn ein Betriebskostenguthaben bei Aufstockern vollständig aus eigenen Mitteln aufgebaut wurde.

Das weicht von der früheren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urt. v. 22.03.2012 – B 4 AS 139/11 R) ab.

Mitteilungspflicht: Kontoauszüge allein genügen nicht

Zwar verletzten die Klägerinnen ihre Mitteilungspflicht, weil sie die Auszahlung des Betriebskostenguthabens nicht unverzüglich meldeten und die Abrechnung erst sieben Monate später vorlegten. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB I müssen Leistungsbeziehende erhebliche Änderungen unverzüglich aktiv mitteilen.

Ein bloßer Verweis auf Kontoauszüge reicht nicht; erforderlich ist eine klare, aktive Information an das Jobcenter. Die Pflicht zur Mitteilung besteht unabhängig davon, ob sich das Guthaben tatsächlich auf die Leistungs­höhe auswirkt – die Prüfung liegt beim Jobcenter.

Trotzdem keine Aufhebung nach § 48 SGB X

Trotz der Verletzung der Mitteilungspflicht war das Jobcenter nach Auffassung des Gerichts nicht berechtigt, die Leistungen teilweise aufzuheben (§ 48 SGB X).

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Der Zufluss der Betriebskosten­erstattung mindert hier nicht die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, weil die Klägerinnen als Aufstockerinnen das Guthaben vollständig aus eigenen Mitteln – und nicht aus Sozialleistungen – angespart hatten.

Rechtsgrundlage: § 22 Abs. 3 SGB II und frühere BSG-Sicht

Grundsätzlich mindern Rückzahlungen und Guthaben, die dem Bedarf für Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind, ab dem Monat der Rückzahlung oder Gutschrift die Aufwendungen (§ 22 Abs. 3 SGB II).

Nach früherer BSG-Rechtsprechung (22.03.2012 – B 4 AS 139/11 R) war die Norm nicht auf Rückzahlungen beschränkt, die ausschließlich aus Zahlungen der Leistungsberechtigten resultierten.

Neuregelung seit 01.08.2016: Halbsatz 2 schützt Eigenmittel

Mit dem Neunten Gesetz zur Änderung des SGB II (Rechtsvereinfachungsgesetz vom 26.07.2016; Inkrafttreten 01.08.2016) wurde § 22 Abs. 3 SGB II um einen zweiten Halbsatz ergänzt. Danach wirken sich auch Rückzahlungen, die auf nicht anerkannte Aufwendungen für Unterkunft und Heizung entfallen, im aktuellen Monat nicht mindernd aus.

Der Gesetzgeber hält es für unbillig, wenn zuvor aus Eigenmitteln finanzierte Anteile später die Leistungen mindern (BT-Drs. 18/8041, S. 38).

Anwendung auf Aufstocker: gleichgelagerte Interessenlage

Nach Auffassung der Kammer ist § 22 Abs. 3 Halbsatz 2 SGB II auch auf Aufstocker anzuwenden, die ihr Betriebskostenguthaben vollständig aus Eigenmitteln aufgebaut haben. Die Interessenlage entspricht derjenigen, in der Leistungsbeziehende den unangemessenen Teil der Unterkunftskosten aus dem Regelbedarf bestreiten.

Anmerkung von Bürgergeld-Experte Detlef Brock

  1. Der Rechtsauffassung des SG Nürnberg ist grundsätzlich zu folgen. Auch beim Bürgergeld ist die Grundkonstellation klar: § 22 Abs. 3 SGB II. Rückzahlungen, die sich auf Kosten für Haushaltsenergie oder nicht anerkannte Aufwendungen für Unterkunft und Heizung beziehen, bleiben außer Betracht.
  2. Für Bürgergeld-Beziehende, einschließlich Aufstocker, gilt: Werden Mietkosten nicht vollständig von der Behörde übernommen und wurde sparsam gewirtschaftet, stehen Betriebskostenguthaben nach dem SGB II regelmäßig den Leistungsbeziehenden zu.