Jobcenter übernehmen für Bürgergeld-Bezieher keine Stromschulden, wenn eine Ratenzahlungsvereinabrung mit dem Energieversorger möglich und zumutbar ist. Denn die Aufrechnung von Darlehen im SGB II beträgt ab dem 01.07.2023 in der Regel nur noch 5 % ( Aktuelle Entscheidung des 7. Senats des LSG NRW zum Bürgergeld und Stromschulden ).
Keine Übernahme von Stromschulden durch das JobCenter, wenn die Übernahme der Schulden zur Behebung einer mit drohender Wohnungslosigkeit vergleichbaren Notlage nicht notwendig und gerechtfertigt sind.
Inhaltsverzeichnis
Keine Schuldenübernahme bei Selbsthilfe
Eine Schuldenübernahme ist nicht gerechtfertigt, weil der Antragsteller nicht alle ihm zumutbaren Selbsthilfemöglichkeiten erfolglos ausgeschöpft hat. So aktuell die Begründung eines Landessozialgerichts zur Übernahme von Stromschulden beim Bürgergeld.
Orientierungssatz Detlef Brock
1. Wenn Bürgergeld für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird, können auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist.
Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht.
Vermögen nach § 12 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 SGB II ist vorrangig einzusetzen. Geldleistungen sollen als Darlehen erbracht werden (§ 22 Abs. 8 SGB II).
Dass auch Energieschulden von § 22 Abs. 8 Satz 1 SGB II wegen einer vergleichbaren Notlage wie bei Mietschulden erfasst werden, ist in Rechtsprechung und Literatur anerkannt (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 17.06.2020 – L 4 AS 712/15 – ).
2. Auch für die Übernahme von Energiekostenrückständen gilt, dass der Selbsthilfegrundsatz zur Auslegung und zur Ermittlung der Reichweite der Obliegenheiten der leistungsberechtigten Person bei der Ausfüllung von Anspruchsvoraussetzungen heranzuziehen ist, da das Jobcenter sonst zum Ausfallbürgen der Energieversorgungsunternehmen würde.
3. Die Aufrechnung von Darlehen im SGB II beträgt ab dem 01.07.2023 in der Regel nur noch 5 %, somit ist der Ratenzahlungsplan ( monatl. Raten 50 Euro ) für den Bürgergeldempfänger zumutbar.
Praxistipp: ebenso zur Sozialhilfe
Das Risiko des Energieversorgers, die von ihm an seinen Kunden erbrachten Leistungen auch abgegolten zu erhalten, muss Regulierungen zunächst weitgehend in dem zugrundeliegenden rein zivilrechtlichen Rechtsverhältnis unterliegen, bevor ein etwaiger Einstand des Sozialleistungsträgers und damit eine Risikoüberleitung auf den Steuerzahler in Betracht kommen kann. SG Karlsruhe, S 1 SO 4091/15 ER –
Dementsprechend hat der Empfänger von Leistungen nach dem SGB XII sich sowohl ernsthaft um Ratenzahlungsvereinbarungen mit dem bisherigen Energieversorger als auch um einen Vertragsabschluss mit einem anderen Stromanbieter zu bemühen.
Hinweis zur Aufrechnung von Darlehen beim Bürgergeld
Ab dem 1. Juli 2023 wird die Aufrechnungsgrenze für Darlehen nun auf 5 Prozent gesenkt. Dies gilt für Bestands- und Neufälle bei der Tilgung von Darlehen (§ 42a Abs. 2 Satz 1 SGB II).
Auch bei mehreren Darlehen ist die Tilgung durch Aufrechnung auf insgesamt 5 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs begrenzt.
Keine Aufrechnung mit darlehensweise gewährten Leistungsansprüchen
Eine monatliche Aufrechnung erfolgt nicht, soweit Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als Darlehen (z. B. in den Fällen nach § 24 Absatz 5 oder § 27 Absatz 3 (Darlehen bei nicht sofort verwertbarem Vermögen oder an Auszubildende in besonderen Härtefällen)) erbracht werden (§ 42a Absatz 2 Satz 4).
In diesem Fall erhält der Darlehensnehmer Leistungen bis zu einem bestimmten Zeitpunkt, an dem seine Bedürftigkeit entfällt. Eine Darlehenstilgung durch monatliche Aufrechnung ist daher nicht vorgesehen, wenn der Gegenanspruch, mit dem aufgerechnet werden soll, selbst darlehensweise gewährt wird.
Die Regelung stellt damit klar, dass eine Aufrechnung nicht mit darlehensweise gewährten Leistungsansprüchen erfolgt.
Rechtstipp
Nach § 22 Abs. 8 S. 4 SGB 2 sind regelmäßig Geldleistungen als Darlehen und ein Zuschuss nur ausnahmsweise und in atypischen Fällen zu erbringen.
So steht auch wirtschaftlich unvernünftiges (vorwerfbares) Handeln eines Leistungsberechtigten, das die drohende Wohnungslosigkeit (mit)verursacht haben mag, einer Übernahme von Mietschulden als Leistungsanspruch nach dem SGB II nicht entgegen.
Ziel ist das elementare Grundbedürfnis der Unterkunftssicherung, ggf. auch bei schuldhafter Gefährdung der Unterkunft, durch staatliche Hilfe.
Diese Sicherstellung ist eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates aus dem Recht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (vgl. Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 9. Februar 2010, Az. 1 BvL 1/09 ).
Andererseits sollen Leistungen nach dem SGB II grundsätzlich nicht der Schuldentilgung dienen. Nur in eng begrenzten Ausnahmefällen sind Grundsicherungsleistungen zur Schuldentilgung zu gewähren.
Hieraus folgt, dass ein atypischer Fall im Sinne von § 22 Abs. 8 SGB II, also eine Konstellation, in der anstelle eines Darlehens ein Zuschuss zu erbringen ist, dann vorliegt, wenn der Einzelfall signifikant vom (typischen) Regelfall abweicht. Dabei ist auch das Verhalten des JobCenters in die Bewertung einzubeziehen (vgl. BSG Urteil vom 18. November 2014, Az. B 4 AS 3/14 R ).
Ein mitwirkendes Fehlverhalten auf seiner Seite, das als eine besondere Behandlung des Falles im Sinne einer Abweichung von der grundsätzlich zu erwartenden ordnungsgemäßen Sachbearbeitung zu verstehen ist, kann im Einzelfall eine Atypik des verwirklichten Tatbestandes begründen.
Allerdings muss das Verhalten des JobCenters – wesentlich mitwirkend für die Entstehung der Schulden sein.
Haben es Umstände in der Sphäre des Leistungsberechtigten und der Sphäre der Verwaltung zu der Entstehung der Schulden beigetragen, ist nur dann von einer wesentlichen Mitwirkung des Jobcenters auszugehen, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für das Entstehen der Schulden annährend gleichwertig sind.
Kommt dagegen dem – Fehlverhalten – des Leistungsberechtigten eine überragende Bedeutung für das Auflaufen der Schulden zu, ist kein atypischer Fall gegeben, denn sein Verhalten verdrängt das Fehlverhalten des JobCenters.
Wann kann so ein Fall für einen Bürgergeldempfänger gegeben sein?
Zum Beispiel, wenn das JobCenter rechtswidrig eine erhöhte Sanktion gegen den Leistungsempfänger verhängt hatte. Denn diese Sanktion hatte zur Herbeiführung der Energieschulden geführt, so dass hier im Einzelfall ein Zuschuss zu zahlen ist statt eines Darlehens.
Härtefallmehrbedarf bei Stromschulden nach § 21 Abs. 6 SGB II
Jobcenter muss Härtefall – Mehrbedarf für die anfallenden Stromkosten über den im Regelbedarf hierfür enthaltenen Anteil berücksichtigen, wenn die erhöhten Stromkosten aufgrund der besonderen Sachlage unvermeidbar sind.
In so einem Fall kann – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen – über § 21 Abs. 6 SGB II ein Mehrbedarf für Stromverbrauch in Betracht kommen aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen.
Ein Beispiel aus der Praxis
Leistungsempfängerin ist auf die dauerhafte Nutzung von Elektrogeräten angewiesen, welche über das Normalmaß hinaus gehen.
Wäschetrockner ist zwingend notwendig aufgrund Krankheit und Behinderung
Spülmaschine zur Reinigung des Geschirrs, welche in der notwendigen Häufigkeit selbst manuell im Spülbecken nicht gereinigt werden kann
Die JobCenter lehnen das in der Regel ab, weil der Mehrbedarf vorrangig durch alle verfügbaren Mittel zu decken ist
Zu berücksichtigen sind insbesondere gewährte Leistungen anderer Leistungsträger als der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende (z.B. Unterhaltsvorschuss, Leistungen der Kranken und Pflegekassen), Zuwendungen Dritter (z.B. von Familienangehörigen) können in Form von Sach-, Geld- oder Dienstleistungen gewährt werden. Auf die rechtliche Einordnung als Einnahmen kommt es insoweit nicht an.
Einnahmen für die Deckung der in § 21 Abs. 6 SGB II vorgesehenen Sonderbedarfe können aber nur vom JobCenter berücksichtigt werden, wenn eindeutig feststeht, dass und in welchem Umfang Geldleistungen und sonstige Zuwendungen Dritter tatsächlich zugeflossen sind.
Einnahmen dürfen vom Jobcenter nicht nur vermutet werden, sie müssen auch nach gewiesen werden
Der Zufluss dieser Leistungen muss konkret nachgewiesen sein und darf nicht lediglich unterstellt oder vermutet werden. Es kommt allein auf den tatsächlichen Zufluss bereiter Mittel, also von Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II an.
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Detlef Brock ist Redakteur bei Gegen-Hartz.de und beim Sozialverein Tacheles e.V. Bekannt ist er aus dem Sozialticker und später aus dem Forum von Tacheles unter dem Namen “Willi2”. Er erstellt einmal wöchentlich den Rechtsticker bei Tacheles. Sein Wissen zum Sozialrecht hat er sich autodidaktisch seit nunmehr 17 Jahren angeeignet.