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Jobcenter: Dienstwagen zur privaten Nutzung im Rahmen der Ausübung einer Erwerbstätigkeit ist Einkommen
Ein geldwerter Vorteil in Form eines Dienstwagens ist gem. § 11 Abs. 1 S. 2 SGB II als Einkommen zu berücksichtigen.
Die Überlassung eines Dienstwagens durch den Arbeitgeber auch zur privaten Nutzung durch den Arbeitnehmer mindert das ALG 2, denn es ist anrechenbares Einkommen.
Die Überlassung eines Dienstwagens vom Arbeitgeber zur privaten Nutzung im Rahmen der Ausübung seiner Erwerbstätigkeit stellt anrechenbares Einkommen in Geldeswert dar.
Zu mindestens dann, wenn der Sachbezug vom Arbeitnehmer als Gegenleistung für seine Arbeits- bzw Dienstleistung akzeptiert wird.
Dem steht auch nicht entgegen, dass eine solche Sachleistung nicht allgemein veräußert bzw in Geld getauscht werden kann.
Wenn der Sachverhalt keine konkrete wirtschaftliche Bewertung eines solchen Sachbezugs nach seinem Verkehrswert erlaubt, kann auf die steuerliche Bewertung zurückgegriffen werden, wenn damit keine höhere Bewertung als mit dem Verkehrswert erfolgt.
So entschieden vom LSG Sachsen- Anhalt mit Urteil vom 20.06.2024 – L 2 AS 596/20 –
Begründung: Keine Anrechnung des Sachbezugs PKW
Die Berechnung der Leistungsansprüche sei jeweils unter Berücksichtigung des reinen monatlichen Netto-Verdienstes der Klägerin im Sinne des Überweisungsbetrages ohne Anrechnung des Sachbezugs PKW vorzunehmen – so die Vorinstanz SG Halle ( Saale ) – S 10 AS 809/17 –
Das Jobcenter ging in Berufung mit folgender Begründung:
Das Jobcenter verweist in seiner Berufung auf das Urteil des SG Berlin vom 05.März 2019 – S 127 AS 16902/16 – wonach der mit der privaten Nutzbarkeit eines Dienstwagens verbundene wirtschaftliche Vorteil als sonstige Einnahme in Geldeswert zu berücksichtigen sei.
Einnahmen in Geldeswert sind bei einer Erwerbstätigkeit zu berücksichtigen
Mit der ab dem 1. August 2016 geltenden Gesetzesänderung seien Einnahmen in Geldeswert auch weiterhin zu berücksichtigen, wenn sie – wie hier – im Rahmen einer Erwerbstätigkeit zuflössen.
Das LSG Sachsen gab dem Jobcenter recht und urteilte:
Privatnutzung des Dienstwagens ist ein geldwerter Vorteil und somit anrechenbares Einkommen da
Die aus den Beschäftigungen der Bürgergeldempfänger herrührenden Einnahmen in Geld und die als geldwerter Vorteil gewährte Privatnutzung des Dienstwagens stellten Einkommen dar, das bedarfsmindernd zu berücksichtigen ist.
Einkommen ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG grundsätzlich alles, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält (vgl. BSG, Urteil vom 30. Juli 2008 – B 14 AS 26/07 R -).
Das Einkommen muss keinen Marktwert haben
Zu der Frage, ob in einem Zufluss Einkommen zu sehen ist, kommt es nicht darauf an, ob dieser einen Marktwert hat, d.h. ob tatsächlich eine reale Chance für eine Umsetzung einer Einnahme in Geld besteht (vgl. BSG, Urteil vom 10. Mai 2011 – B 4 KG 1/10 R – ).
Ausgewiesener Sachbezug auf den Lohnabrechnungen in Form der privaten Nutzungsmöglichkeit des Dienstwagens stellt Einkommen dar
Der arbeitsvertraglich vereinbarte und in den Lohnabrechnungen der Antragstellerin von ihrem Arbeitgeber ausgewiesene Sachbezug in Form der privaten Nutzungsmöglichkeit des Dienstwagens stellt zu berücksichtigendes Einkommendar.
Der Sachbezug floss der Leistungsempfängerin im Rahmen der Ausübung ihrer Erwerbstätigkeit zu. Denn der Nutzungsvorteil durch Überlassung des betrieblichen Fahrzeuges zu privaten Zwecken hat hier seine Grundlage im Arbeitsvertrag.
Privater Nutzungsvorteil stellt eine als Einkommen zu berücksichtigende Einnahme in Geldeswert dar
Der private Nutzungsvorteil ist auch eine als Einkommen zu berücksichtigende Einnahme in Geldeswert. Einnahmen in Geldeswert sind im Allgemeinen solche, die nicht unmittelbar in Bar- oder Buchgeld bestehen, aber einen in Geld zu bemessenden wirtschaftlichen Wert haben (vgl. BSG, Urteil vom 5. August 2021 – B 4 AS 83/20 R – ).
In den Fällen der gesetzlich weiterhin vorgesehenen Berücksichtigung von Sachbezügen im Rahmen von Arbeits- bzw. Dienstverhältnissen als Einkommen gründet sich die Bewertung als Einnahmen in Geldeswert darauf, dass der Sachbezug als Gegenleistung für eine Arbeits- bzw. Dienstleistung erbracht wird.
Geldwerter Vorteil ist auch als bereites Mittel zugeflossen
Der geldwerte Vorteil in Form der kostenlosen Privatnutzung des Kfz ist der Leistungsbezieherin auch im Sinne eines sog. bereiten Mittels zugeflossen. Ausschlaggebend ist, ob eine Leistung in dem Monat des Zuflusses tatsächlich zur Verfügung stand (st. Rspr. vgl. BSG, Urteil vom 6. Juni 2023 – B 4 AS 86/21 R – ).
Bezogen auf die Sachbezüge genügt es dafür bereits, dass der Arbeitgeber seiner Verpflichtung aus dem Arbeitsvertrag nachgekommen ist und diese – wie hier – tatsächlich zur Verfügung gestellt hat.
BSG, Urteil vom 5. August 2021 – B 4 AS 83/20 R –
Ob und inwieweit diese dann genutzt werden, stellt lediglich eine nachgelagerte und unbeachtliche Verwendungsentscheidung der Leistungsberechtigten über das ihnen bereits zur Verfügung stehende Einkommen dar.
Bedenken gegen die Bemessung des geldwerten Vorteils gemäß der Höhe der in den Lohnabrechnungen verzeichneten Beträge hat das Gericht nicht.
Anmerkung vom Sozialrechtsexperten Detlef Brock:
Für die Begrenzung der Bewertung der Überlassung von betrieblichen Kfz zur privaten Nutzung auf Teile des Regelbedarfs (hierfür Geiger in: Münder/Geiger/Lenze, SGB II, 8. Auflage 2023, § 11 Rn. 8; Schwabe in: BeckOGK (Gagel), Stand: 1. Februar 2024, § 11 SGB II Rn. 35) gibt es nach der seit 1. August 2016 geltenden Fassung des § 2 Abs. 6 Alg II-V schon keine Rechtsgrundlage mehr.
Rechtstipp – noch anderer Auffassung war:
LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 26. Februar 2016 – L 4 AS 159/12 –
Eine Einkommensanrechnung nach § 11 Abs 1 S 1 SGB II iVm § 2 Abs 6 S 1 Alg II-V aF (juris: AlgIIV 2008) setzt voraus, dass es sich um Einkünfte aus einer Erwerbstätigkeit handelt und diese tauschbar sind, dh einen Geldwert haben.
Einnahmen ohne Verkehrs- oder Marktwert – wie die unentgeltliche private Nutzungsmöglichkeit eines Dienst-Pkw – sind daher nicht als Einkommen anzurechnen.
Für die Überlassung eines Dienstwagens durch den Arbeitgeber auch zur privaten Nutzung durch den Arbeitnehmer hat das LSG Sachsen-Anhalt die Marktfähigkeit verneint (LSG Sachsen-Anhalt BeckRS 2016, 105990). Die Revision unter dem Az. B 14 AS 15/16 R hat das BSG als unzulässig verworfen.
Gleicher Auffassung:
Ein geldwerter Vorteil in Form eines Dienstwagens ist gem. § 11 Abs. 1 S. 2 SGB II als Einkommen zu berücksichtigen (LSG Berlin-Brandenburg v. 15.11.2021 – L 1 AS 705/19)
Detlef Brock ist Redakteur bei Gegen-Hartz.de und beim Sozialverein Tacheles e.V. Bekannt ist er aus dem Sozialticker und später aus dem Forum von Tacheles unter dem Namen “Willi2”. Er erstellt einmal wöchentlich den Rechtsticker bei Tacheles. Sein Wissen zum Sozialrecht hat er sich autodidaktisch seit nunmehr 17 Jahren angeeignet.