Die Verpflichtung, ein vom getrennt lebenden Ehegatten weiterhin genutztes Hausgrundstück, das bis zum Auszug des Leistungsberechtigten Schonvermögen i.S.d. § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II darstellte, vor Ablauf des Trennungsjahres zu veräußern, kann eine besondere Härte i.S.d. § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 2. Alt. SGB II darstellen (Orientierungssatz Detlef Brock). So entschieden vom LSG Niedersachsen – Bremen, Urt. v. 31.05.20217 – L 13 AS 105/16 –
Besondere Härte richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls
Wann von einer besonderen Härte i. S. des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II auszugehen ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, wobei maßgebend nur außergewöhnliche Umstände sein können, die nicht durch die ausdrücklichen Freistellungen über das Schonvermögen und die Absetzungsbeträge nach § 12 Abs. 2 SGB II erfasst werden (BSG, Urteil vom 16. Mai 2007 – B 11b AS 37/06 R – ).
Dabei gilt beim Bürgergeld möglicherweise – aber nicht zwingend (Geiger in LPK-SGB II, 6. Aufl. 2017, § 12 Rn. 82) – ein strengerer Maßstab als im Recht der Sozialhilfe, in dem die Leistungsbewilligung nicht vom Einsatz und der Verwertung des Vermögens abhängig gemacht werden darf, wenn dies für den Anspruchsteller oder seine Angehörigen “eine Härte bedeuten würde”.
Für die Anwendung des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II müssen Umstände vorliegen, die dem Betroffenen ein deutlich größeres Opfer abverlangen als eine einfache Härte und erst recht als die mit der Vermögensverwertung stets verbundenen Einschnitte.
Wann kann ein Härtefall im Sinne des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6, 2. Alt. SGB II vorliegen?
Zum Bsp. dann, wenn ein erwerbsfähiger Hilfebedürftiger kurz vor dem Rentenalter seine Ersparnisse für die Altersvorsorge einsetzen müsste, obwohl seine Rentenversicherung Lücken wegen selbständiger Tätigkeit aufweist.
Familienhafte Rücksichtnahme spielt eine große Rolle bei der Berücksichtigung der besonderen Härte
Eine besondere Härte kann sich auch aus den besonderen persönlichen Umständen (z. B. einer schwerwiegenden familiären Konfliktsituation) ergeben, die mit der Vermögensverwertung einer Immobilie verbunden sind (BSG, Urteil vom 6. Mai 2010 – B 14 AS 2/09 R –; LSG NSB, Urteil vom 23. Februar 2011 – L 13 AS 155/08 –).
Familiäre Belange können auch im SGB II unter Härtegesichtspunkten zu einer Vermögensfreistellung führen
Das setzt aber auch voraus, dass die Geltendmachung der Forderung sich aufgrund außergewöhnlicher Umstände in besonderer Weise belastend auf den Familienverband auswirkt.
Vorliegen einer besonderen Härte ergibt sich hier bei dieser Einzelfallentscheidung bereits aus den Wertungen des BGB
Ist die ursprüngliche Sympathie, die Grundlage des Heiratsentschlusses war, nicht völlig zerstört, ist unabdingbar, die Wartefrist einzuhalten, die eheerhaltenden Überlegungen der Partner Raum geben soll.
Diese Erwägungen des Gesetzgebers würden durch eine Verpflichtung des ausgezogenen Ehegatten konterkariert, auf die Verwertung des Familienheimes, in dem der Ehepartner noch seinen Lebensmittelpunkt hat, während des Trennungsjahres zur Sicherung des eigenen soziokulturellen Existenzminimums auch in Mangelfällen hinzuwirken, in denen der Ehepartner keinen Getrenntlebenunterhalt leisten kann und demzufolge eine Leistungsberechtigung nach dem SGB II besteht.
Daraus folgt nach Auffassung des LSG NSB, dass während des laufenden Trennungsjahres demzufolge die Verwertung der vom Ehegatten weiterhin bewohnten Ehewohnung, bei der es sich während der Zeit des Zusammenlebens um ein selbst genutztes Hausgrundstück von angemessener Größe handelte regelmäßig eine besondere Härte i. S. des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6, 2. Alt. SGB II dar stellt.
Jedenfalls soweit damit nach einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise die Erwartungshaltung des Leistungsberechtigten seinem Ehegatten gegenüber verknüpft wäre, er möge diese Wohnung ebenfalls als seinen Lebensmittelpunkt aufgeben mit der Folge, dass der ehelichen Lebensgemeinschaft bereits vor Ablauf des Trennungsjahres die Grundlage entzogen wäre.
Anmerkung zum Bürgergeld
Als Vermögen sind Sachen und Rechte nach § 12 Absatz 1 Satz 2 Nummer 7 SGB II nicht zu berücksichtigen, soweit ihre Verwertung für die betroffene Person eine besondere Härte bedeuten würde.
Von der Verwertung von Vermögenswerten, die nicht schon durch Privilegierung (§ 12 Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 – 6) oder Frei- beträge (§ 12 Absatz 2) geschützt sind, ist abzusehen, wenn dies für die leistungsberechtigte Person eine besondere Härte bedeuten würde.
Die Besonderheiten der Karenzzeit für Vermögen nach § 12 Absatz 3 sind zu berücksichtigen.
Eine besondere Härte liegt vor, wenn der betroffenen Person durch die Verwertung des Vermögens ein deutlich größeres Opfer abverlangt
wird, als die mit der Vermögensverwertung stets verbundenen Einschnitte (einfache Härte).
Die besondere Härte kann sich sowohl aus den besonderen Lebensumständen der oder des Leistungsberechtigten als auch aus der Herkunft des Vermögens ergeben.
Beispiele wären hier besondere Familien- und Erbstücke, Verkauf einer selbst bewohnten Immobilie von nicht angemessener Größe, Vermögensrückstellungen für eine würdige Beerdigung und Grabpflege (Bestattungssparbuch, Treuhandvermögen oder Dauerpflegevertrag).
Im Einzelfall ist die besondere Härte von nachweislich (Beweislast liegt beim erwerbsfähigen Leistungsberechtigten) angesparten Vermögensbeträgen aus privilegierten Einnahmen zu prüfen.
Wann geht die Rechtsprechung zum Bürgergeld vom Nicht – Vorliegen einer besonderen Härte aus?
Eine mit dem Einsatz von geschenktem Vermögen für den Lebensunterhalt einhergehende Enttäuschung der Erwartung des Schenkers begründet keine besondere Härte im Sinne des § 12 Abs 3 S 1 Nr 6 SGB 2 aF, sondern ist typische Folge der Pflicht zum vorrangigen Einsatz von Vermögen im Grundsicherungsrecht, von der Geschenke nicht ausgenommen sind (LSG Hamburg, Urt. v. 18.01.2024 – L 4 AS 6/23 D – ).
Detlef Brock ist Redakteur bei Gegen-Hartz.de und beim Sozialverein Tacheles e.V. Bekannt ist er aus dem Sozialticker und später aus dem Forum von Tacheles unter dem Namen “Willi2”. Er erstellt einmal wöchentlich den Rechtsticker bei Tacheles. Sein Wissen zum Sozialrecht hat er sich autodidaktisch seit nunmehr 17 Jahren angeeignet.