Das Jobcenter wollte einer alleinerziehenden Mutter mit zwei pflegebedürftigen Kindern keine Umzugsfirma bezahlen, da die Kosten nicht angemessen seien. Die Mutter müsse den Umzug in Eigenregie mit Hilfe von Familie, Freunden und Bekannten oder kostengünstigen Alternativen wie studentischen Helfern oder karitativen Einrichtungen organisieren. Eindeutig rechtswidrig sagen die Richter der 12. Kammer des SG Karlsruhe ( Urteil vom 01.10.2024 – S 12 AS 2387/22 -)
Es gibt keinen allgemeinen Erfahrungssatz, wonach ein Umzug unter Heranziehung studentischer Umzugshelfer stets kostengünstiger wäre, als die Beauftragung eines Umzugsunternehmens mit dem gesamten Umzug (a. A. SG Hamburg, Urteil vom 22.08.2022 – S 62 AS 1988/19; LSG Hamburg, Urteil vom 22.12.2022 – L 4 AS 202/22 D -).
Als notwendige Umzugskosten zu übernehmen sind insbesondere Aufwendungen für einen Transportwagen, Benzin, die Anmietung von Umzugskartons, die Kosten für Verpackungsmaterial, etwa erforderliche Versicherungen, Sperrmüllentsorgung und die üblichen Kosten für die Versorgung der Mithelfer.
Der Anspruch auf Übernahme von Umzugskosten nach § 22 Abs 6 SGB 2 kann auch solche Aufwendungen umfassen, die im Zusammenhang mit einem Aus- und Einbau einer Einbauküche entstehen.
Das Jobcenter muss einer alleinerziehenden Mutter mit 2 kranken, pflegebedürftigen Kindern die Kosten für ihren Umzug aus Karlsruhe nach Ettlingen mit 2.200,- € bezahlen, denn
Inhaltsverzeichnis
Ein Umzug ist erforderlich, wenn dadurch die Kosten der Unterkunft gesenkt werden
Kostensenkung der Mietkosten:
1. der Umzug war erforderlich, weil durch den Umzug minderten die drei Grundsicherungsleistungsberechtigten die öffentlichen Grundsicherungsleistungen für ihre Kosten für Unterkunft und Heizung um 126,11 € monatlich von 1.014,01 € in Karlsruhe auf angemessene 887,90 € in Ettlingen.
Mobbing als Umzugsgrund
2. Es war es zum Schutze der psychischen Gesundheit der pflegebedürftigen Tochter der Alleinerziehenden erforderlich, aus dem in Karlsruhe-Nordstadt bewohnten Mehrfamilienmietshaus wegzuziehen, weil sie unter dortigen Streitigkeiten mit Nachbarskindern dermaßen litt, dass polizeiliche Ermittlungen wegen Beleidigung, Körperverletzung, Diebstahl und Stalking rechtsanwaltlich eingeleitet und eine therapeutische Behandlung der seelischen Folgen veranlasst worden war.
Großmutter beaufsichtigte zeitweise die Kinder während des Umzugs- Aufsichts – und Betreuungsleistungen durch die Großmutter
3. Ein Zuzug nach Ettlingen war besonders zweckförderlich, weil die hier wohnhafte Großmutter der Kinder der Mutter zeitweilig unterstützend deren Aufsicht und Betreuung (zum Beispiel auch stundenweise während des Umzugs übernehmen konnte). So aktuell veröffentlicht von der 12. Kammer des Sozialgerichts Karlsruhe ( Urteil vom 01.10.2024 – S 12 AS 2387/22 -).
Leitsätze des Gerichts
1. Es gibt keinen allgemeinen Erfahrungssatz, wonach ein Umzug unter Heranziehung studentischer Umzugshelfer stets kostengünstiger wäre als die Beauftragung eines Umzugsunternehmens mit dem gesamten Umzug.
2. Die Verwaltungspraxis des Jobcenters Karlsruhe, als Tageslohn für (studentische) Umzugshelfer pauschal nur 50,- € zu übernehmen, ist evident rechtswidrig, weil der Mindestlohn 12,50 € beträgt und ein regulärer Arbeitstag acht Stunden dauert, sodass die Tagespauschale mindestens doppelt so hoch sein muss.
3. Der Abbau und das Entfernen der eigenen Einbauküche sind beim Auszug aus einer angemieteten Wohnung vom Mieter geschuldet und die dadurch entstehenden Kosten als wirtschaftliche Umzugskosten im Sinne von § 22 Abs. 6 SGB II anzusehen, wenn durch die Mitnahme der Einbauküche verhindert werden kann, dass in der neuen Wohnung eine neue Einbauküche zulasten der öffentlichen Hand in kostspieligerer Weise angeschafft werden muss.
4. Das Jobcenter kann nicht mit Erfolg einwenden, es wäre zur Minderung der Leistungen nach § 22 SGB II regelmäßig zweckdienlich und angemessen, absichtlich einen Monat lang umzuziehen und hierfür doppelt Miete zu zahlen, anstatt die doppelte Mietzahlung für die alte und die neue Wohnung zu vermeiden und innerhalb weniger Tage zum Monatswechsel umzuziehen.
5. Das Jobcenter kann nicht mit Erfolg einwenden, es wäre zur Minderung der Leistungen für Umzugskosten nach § 22 Abs. 6 SGB II zweckdienlich und angemessen, sich bei der Beförderung von Umzugsgut von einem rechtsanwaltlichen Prozessbevollmächtigten unter die Arme greifen zu lassen.
6. Die Angemessenheit von Umzugskosten nach § 22 Abs. 6 SGB II bemisst sich nicht nach dem im Einzelfall missgünstigen Sozialneid öffentlich Bediensteter.
Anmerkung Detlef Brock – Autor des wöchentlichen Rechtsprechungstickers von Tacheles e. V.:
Mein lieber Mann, hier hat das Gericht das Jobcenter aber aufgezeigt, was und warum Umzugskosten bei Bürgergeldempfängern, gerade bei Alleinerziehenden, zu übernehmen sind, vorausgesetzt, eine Zusicherung lag vor, hier lag sie vor. Das Gericht bzw. der Richter hat klare Worte gefunden, warum hier das Jobcenter rechtswidrig handelte.
Praxistipp
1. Die Umzugskosten sind zu begrenzen auf die eigentlichen Kosten des Umzugs, wie die Kosten für Transport, Hilfskräfte, erforderliche Versicherungen, Benzin, Verpackungsmaterial usw. Die Aufwendungen für die Einzugsrenovierung gehören daher nicht zu den Umzugskosten.
Als notwendige Umzugskosten zu übernehmen sind insbesondere Aufwendungen für einen Transportwagen, Benzin, die Anmietung von Umzugskartons, die Kosten für Verpackungsmaterial, etwa erforderliche Versicherungen, Sperrmüllentsorgung und die üblichen Kosten für die Versorgung der Mithelfer.
Gegebenenfalls stellen auch Aufwendungen für einen gewerblich organisierten Umzug berücksichtigungsfähige Unterkunftskosten im Sinne des § 22 Abs. 6 SGB II dar, über deren Übernahme der Grundsicherungsträger ggfs. ermessensgerecht zu entscheiden hat ( BSG Rechtsprechung ).
Die Gewährung von Leistungen für einen Umzug wird durch § 22 Abs. 6 Satz 1 und 2 SGB II zwar unter einen Zusicherungsvorbehalt und in das Ermessen des kommunalen Trägers gestellt.
Das Ermessen des kommunalen Trägers zur Erteilung der Zusicherung ist danach aber in den Fällen eingeschränkt, in denen der Umzug durch den kommunalen Träger veranlasst oder – wie hier – aus anderen Gründen notwendig ist.
Im Falle eines notwendigen Umzugs kann die Zusicherung der Kostenübernahme nur in atypischen Fällen versagt werden, wobei insbesondere die Angemessenheit der anfallenden Kosten zu berücksichtigen ist.
Generell besteht die Obliegenheit der im Grundsicherungsbezug Umziehenden, die Umzugskosten möglichst gering zu halten.
Soweit möglich und zumutbar, kann der Grundsicherungsträger Hilfebedürftige auf Selbsthilfeleistungen (z.B. Einpacken der Möbel und Transport des Umzugsgutes mit Helfern im eigenen Auto) verweisen. Es ist sogar in Kreisen mit mittleren und höheren Einkommensverhältnissen üblich, mit Hilfe von Freunden und Bekannten umzuziehen.
Sind Eigenbemühungen aber wegen Alter, Krankheit oder Behinderung nicht zumutbar
Sind Eigenbemühungen aber wegen Alter, Krankheit oder Behinderung nicht zumutbar, müssen die Kosten für ein Umzugsunternehmen übernommen werden
Denn für den Fall, dass der Leistungsberechtigte den Umzug wegen einer Behinderung nicht selbst vornehmen oder durchführen kann, stellen auch Aufwendungen für einen gewerblich organisierten Umzug berücksichtigungsfähige Unterkunftskosten im Sinne des § 22 Abs. 6 SGB II dar (BSG Urteil vom 6.5.2010 – B 14 AS 7/09 R – ).
Hierbei darf der Leistungsträger die Vorlage von Kostenvoranschlägen mehrerer Umzugsunternehmer fordern und das günstigste Angebot auswählen (Piepenstock/Senger in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 22 (Stand: 03.07.2024), Rn. 249).
Als alleinerziehende Mutter zweier pflegebedürftiger Kinder im eigenen Haushalt musste die Mutter ihre Einbauküche nicht selbst abbauen, transportieren und aufbauen, sondern durfte insofern die Firma auf Kosten des Jobcenters beauftragen
Denn:
Der Abbau und das Entfernen der eigenen Einbauküche sind beim Auszug aus einer angemieteten Wohnung vom Mieter geschuldet und die dadurch entstehenden Kosten als wirtschaftliche Umzugskosten im Sinne von § 22 Abs. 6 SGB II anzusehen, wenn durch die Mitnahme der Einbauküche verhindert werden kann, dass in der neuen Wohnung eine neue Einbauküche zulasten der öffentlichen Hand in kostspieligerer Weise angeschafft werden muss.
Hinsichtlich der Einbauküche konnte die Alleinerziehende hier auch nicht auf den Vorrang der Selbsthilfe verwiesen werden, da der Aus- und Einbau einer Einbauküche weitergehende handwerkliche Kenntnisse erfordert, die in der Regel weder von einem Leistungsberechtigten noch von seinen ehrenamtlichen oder studentischen Gelegenheitshelfern erwartet werden können. Vielmehr ist insoweit in der Regel ein professionelles Umzugsunternehmen oder ein vergleichbarer Dienstleister erforderlich.
Der Anspruch auf Übernahme von Umzugskosten nach § 22 Abs 6 SGB 2 kann auch solche Aufwendungen umfassen, die im Zusammenhang mit einem Aus- und Einbau einer Einbauküche entstehen.
Vor dem Hintergrund, dass Umzugsunternehmen den Ab- und Aufbau von Einbauküchen stets nur zusammen mit einem Transport der jeweiligen Einbauküche anbieten, war die Klägerin auch nicht verpflichtet, den Transport der Einbauküche wiederum ohne Hinzuziehung eines professionellen Umzugsunternehmens zu organisieren (vgl. SG Hamburg, Urteil vom 22. August 2022 – S 62 AS 1988/19 – ).
Die Angemessenheit von Umzugskosten nach § 22 Abs. 6 SGB II bemisst sich nicht nach dem im Einzelfall missgünstigen Sozialneid öffentlich Bediensteter
Denn bei der behördlichen Ermessensausübung nach § 22 Abs. 6 SGB II kommt es nicht darauf an, ob Mitarbeiter des zuständigen Jobcenters Menschen im Grundsicherungsbezug generell keine Geldleistungen gönnen.
Die Jobcenter-Beschäftigten ihrerseits können als nicht hilfebedürftige Erwerbstätige keine Leistungen der öffentlichen Hand beanspruchen; maßgeblich sind allein die Selbst- und Fremdhilfemöglichkeiten der Betroffenen in existenzieller Not und nicht die diesbezüglichen persönlichen Selbsthilfemöglichkeiten der behördlichen Entscheidungsträger in vergleichbaren Lebenssituationen.
Tipp zum SGB XII – Sozialhilfe § 35 SGB XII
Familienangehörige und Freunde sind grundsätzlich nicht verpflichtet, für einen Leistungsberechtigten einen Umzug durchzuführen.
Schlussbemerkung:
Dieses Einzelurteil zeigt doch wieder, dass in der Regel Alleinerziehende Bürgergeld Beziehende, gerade auch wenn die Kinder noch krank oder pflegebedürftig sind, meiner Meinung nach große Chancen haben, einen Anspruch auf Übernahme der Umzugskosten durch das Jobcenter durchzusetzen.
Der Anspruch auf Übernahme von Umzugskosten nach § 22 Abs. 6 SGB 2 kann sehr wohl auch solche Aufwendungen umfassen, die im Zusammenhang mit dem Aus- und Einbau einer Einbauküche entstehen, denn sehr oft lehnen die Gerichte dies mit dem Hinweis auf den Vorrang der Selbsthilfe ab.
Nach § 22 Abs. 6 Satz 1 SGB 2 können Umzugskosten bei vorheriger Zusicherung übernommen werden. Ohne Zusicherung sind sie vom Grundsicherungsträger zu übernehmen, wenn der Umzug notwendig ist, z.B. bei Ermessensreduzierung auf Null.
- Über den Autor
- Letzte Beiträge des Autors
Detlef Brock ist Redakteur bei Gegen-Hartz.de und beim Sozialverein Tacheles e.V. Bekannt ist er aus dem Sozialticker und später aus dem Forum von Tacheles unter dem Namen “Willi2”. Er erstellt einmal wöchentlich den Rechtsticker bei Tacheles. Sein Wissen zum Sozialrecht hat er sich autodidaktisch seit nunmehr 17 Jahren angeeignet.