Über das Bürgergeld kursieren viele falsche Vorstellungen. Politiker und Medien schüren diese bewusst, um den Sozialstaat zu zersetzen. Diese Hetzer irren sich nicht, sondern verbreiten gezielt Lügen. Im Irrtum sind all diejenigen, die diese Lügen glauben. Wir stellen zehn Irrtümer vom Kopf auf die Füße.
Inhaltsverzeichnis
Irrtum Nummer 1: (Alle) Bürgergeld-Bezieher sind arbeitslos
Alle Bürgergeld-Bezieher sind hilfebedürftig, aber nicht alle sind erwerbslos.
Wer Bürgergeld bezieht, kann aus eigenen Mitteln nicht den Lebensunterhalt decken.
800.000 Menschen stocken ihren unzureichenden Lohn aus ihrer Erwerbsarbeit mit Bürgergeld auf. Sie sind nicht arbeitslos, sondern arbeiten oft bis zum Umfallen und körperlich hart, zum Beispiel im Paketdienst oder in der Raumpflege.
Irrtum Nummer 2: Alle Bürgergeld-Bezieher könnten arbeiten
Wer Bürgergeld bezieht, muss erstens hilfebedürftig sein, und zweitens grundsätzlich erwerbsfähig. Die grundsätzliche Zahl von 5,5 Millionen Bürgergeld-Empfängern wird missbraucht, um so zu tun, als könnten diese alle einer Erwerbsarbeit nachgehen.
Fast zwei Millionen Kinder beziehen jedoch Bürgergeld, dazu kommen chronisch Kranke, Alleinerziehende und Menschen, die Angehörige in Vollzeit pflegen. Diese gelten zwar als erwerbsfähig, können aber in ihrer konkreten Lebenssituation keiner Erwerbsarbeit nachgehen, die ihren Lebensunterhalt deckt.
Hinzu kommen Bürgergeld-Bezieher, die in Maßnahmen zur Qualifizierung, in schulischer oder beruflicher Ausbildung stehen, sowie Menschen mit ausländischen Berufsabschlüssen, die auf deren Anerkennung warten. Dann beziehen Arbeitssuchende Bürgergeld, bei denen Suchtkrankheiten, psychische Probleme oder fehlende Abschlüsse bearbeitet werden müssen, bevor sie überhaupt auf dem regulären Arbeitsmarkt Fuß fassen können.
Irrtum Nummer 3: Die meisten, die Bürgergeld beziehen, wollen nicht arbeiten
Dieses alte Märchen dient seit jeher dazu, Sozialrechte einzuschränken und die Schuld an gesellschaftlichen Verhältnissen ausgerechnet auf diejenigen zu schieben, die am stärksten unter ihnen leiden.
Jobcenter sind zügig dabei, Bürgergeld-Bezieher zu sanktionieren. Trotzdem ist die Anzahl derjenigen unter den bestraften Leistungsberechtigten, die Arbeit verweigern, extrem gering.
Sie liegt seit Jahren zwischen einem Prozent und rund 1,5 Prozent. Darunter fallen auch all jene, die eine Maßnahme abbrechen, oder zum Beispiel nicht an einem Bewerbungstraining teilnehmen.
Irrtum Nummer 4: Wer Bürgergeld bekommt, hat so viel wie jemand, der voll arbeitet
Politiker aus CDU/CSU, AfD und FDP verbreiten diese Lüge, um Geringverdiener gegen Arbeitssuchende aufzuhetzen. So lenken sie vom wirklichen Thema ab: Bessere Bezahlung für Berufe mit geringem Einkommen.
Die Behauptung ist schlicht falsch. Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) berechnete, dass Alleinstehende, die Vollzeit im Mindestlohn arbeiten, rund 532 EUR mehr im Monat haben als Bürgergeld-Beziehende.
Das Bürgergeld ist so angelegt, dass sich Arbeit immer lohnt. Es sichert das sozioökonomische Existenzminimum von Hilfebedürftigen – und mehr nicht.
Hinzu kommt, dass Geringverdiener ebenfalls Anspruch auf staatliche Leistungen haben wie Wohngeld, Kinderzuschlag oder größere Freibeträge. Damit ist der Unterschied zum Bürgergeld noch größer.
Diejenigen, die gegen das vermeintlich zu hohe Bürgergeld hetzen, sind übrigens dieselben, die jahrelang gegen einen Mindestlohn kämpften und jede Verbesserung der Arbeitnehmerrechte attackieren.
Irrtum Nummer 5: Arbeitnehmer kündigen massenhaft, um Bürgergeld zu bekommen
Dieses Gerücht wird aus Kreisen gestreut, die generell gegen Arbeits- und Sozialrechte wettern.
Es ist längst widerlegt. 2023, nach Einführung des Bürgergeldes, beantragten es weniger Menschen, die aus dem regulären Arbeitsmarkt kamen, als jemals zuvor Hartz IV – seit 2005. Es waren 54.000 Menschen weniger als 2022.
Frank Bsirske von der Gewerkschaft ver:di stellte klar: „Die Zahlen zeigen klipp und klar, dass weniger Menschen aus einem Job in das Bürgergeld gewechselt sind als jemals zuvor.”
Irrtum Nummer 6: Das Bürgergeld ist ein bedingungsloses Grundeinkommen
Hier handelt es sich um das alte Märchen von der „sozialen Hängematte“. Bürgergeld ist an eine Mitwirkungspflicht gebunden, die Jobcenter knallhart interpretieren – und oft sogar rechtswidrig, wie Urteile von Sozialgerichten belegen.
Wer Bürgergeld bezieht, muss alles tun, was er kann, um wieder in Arbeit zu kommen, er muss für das Jobcenter erreichbar sein, sowie Stellenangebote und Maßnahmen der Jobcenter annehmen.
Irrtum Nummer 7: Mit Bürgergeld habe ich weniger Geld, aber auch weniger Stress
Wer Bürgergeld bezieht, muss sich ununterbrochen gegenüber dem Jobcenter rechtfertigen. Jedes kleinste Detail über Finanzen, Vermögen, persönliche Beziehungen oder die Wohnsituation müssen Betroffene dem Jobcenter offenbaren. Das bedeutet weniger Geld und mehr Stress.
Armut selbst bedeutet dabei permanenten Stress durch dauernden Mangel, und dieser Stress zermürbt psychisch. Janina Lütt schreibt in der Zeitung Freitag: „ sie (geraten) als Bezieherin in (…) finanzielle Probleme, falls die Waschmaschine, PC oder das Auto kaputt geht. Wenn sich die Ausgaben anhäufen, ist es der erste Schritt nach unten in die Armutsspirale.“
Irrtum Nummer 8: Das Bürgergeld ist zu hoch
Das Grundgesetz verpflichtet dazu, dass der Staat denjenigen das Existenzminimum deckt, die dieses nicht aus eigenen Mitteln können. Wie hoch oder niedrig das Bürgergeld ausfällt, ist also keine willkürliche Entscheidung, sondern an die Berechnung dieses Existenzminimums geknüpft.
Studien von Sozialverbänden ergaben im Gegenteil, dass die Regelsätze weit höher sein müssten, um tatsächlich das Existenzminimum zu garantieren.
Irrtum Nummer 9: Jeder kann Bürgergeld bekommen
Das ist falsch, denn die Voraussetzungen für diese Leistung sind Hilfebedürftigkeit, Erwerbsfähigkeit und ein deutscher Wohnsitz. Jobcenter achten sehr genau darauf, dass alle anderen möglichen Sozialleistungen berücksichtigt werden, die möglicherweise statt Bürgergeld gelten können.
Dazu zählen unter anderem Arbeitslosengeld, Kindergeld, Unterhalt, Elterngeld, Mutterschaftsgeld, Erwerbsminderungs- , Hinterbliebenen- und Waisenrente, Krankengeld, Wohngeld oder BAföG.
Erst, wenn diese Mittel den Lebensunterhalt nicht decken oder nicht bewilligt werden, gibt es einen Anspruch auf Bürgergeld. Die Betroffenen müssen ihre Bedürftigkeit akribisch nachweisen, und ihr Bestmögliches tun, um die Situation zu ändern.
Irrtum Nummer 10: Bürgergeld-Bezieher müssen mit Druck zur Arbeit getrieben werden
Das war die Devise bei Hartz IV, und die Ergebnisse waren belegbar katastrophal (vorausgesetzt, jemand hielt dies wirklich für sinnvoll, um Menschen in Arbeit zu integrieren). Gewöhnlich geht es bei dieser Behauptung darum, Bürgergeld Empfänger zum Nulltarif auszupressen.
Hartz IV Betroffene wurden in eine Situation der Ausbeutung gezwungen und in Ein-Euro -Jobs an die Stelle bezahlter Arbeit getrieben. So wurde ihnen der Zugang zum regulären Arbeitsmarkt verschlossen – statt geöffnet. Der verschärfte Druck führte zum Drehtür-Effekt. Ausbeuter füllten sich die Konten, und nach einigen Wochen waren die Ausgebeuteten wieder beim Jobcenter.
Das Problem Nummer Eins der Arbeitslosen im Bürgergeld ist nicht fehlende Motivation, sondern fehlende Qualifikation, denn die meisten sehnen sich danach, endlich einen „echten Job“ zu bekommen. Sie benötigen keinen Druck, sondern Aus- und Weiterbildung.
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Dr. Utz Anhalt ist Buchautor, Publizist, Sozialrechtsexperte und Historiker. 2000 schloss er ein Magister Artium (M.A.) in Geschichte und Politik an der Universität Hannover ab. Seine Schwerpunkte liegen im Sozialrecht und Sozialpolitik. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Dokumentationen für ZDF , History Channel, Pro7, NTV, MTV, Sat1.