Weniger Arbeiten und dafür mehr Witwenrente stimmt so nicht

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Wer eine Witwenrente bezieht und zugleich noch erwerbstätig ist, stellt sich häufig die Frage, ob sich eine Reduzierung der Arbeitszeit lohnen könnte.

Auf den ersten Blick scheint die Rechnung plausibel: Fällt das eigene Einkommen, sinkt der Anrechnungsbetrag und die Witwen- oder Witwerrente steigt. Doch wer allein auf diesen Effekt vertraut, riskiert unterm Strich ein niedrigeres Gesamteinkommen – und damit genau das Gegenteil dessen, was er eigentlich beabsichtigt.

Die rechtliche Basis der Einkommensanrechnung

Grundlage der Berechnung ist § 97 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Dort legt der Gesetzgeber fest, dass von dem „bereinigten Nettoeinkommen“ des Hinterbliebenen nur ein Freibetrag völlig unangetastet bleibt.

Alles, was darüber hinausgeht, wird zu 40 Prozent auf die Rente angerechnet. Parallel verweisen die Vorschriften auf § 18a ff. SGB IV, um zu bestimmen, welche Einnahmen überhaupt als Erwerbseinkommen zählen und wie sie netto zu ermitteln sind.

Für den aktuellen Rentenanpassungszeitraum (1. Juli 2024 bis 30. Juni 2025) beträgt der Freibetrag 1 038,05 Euro.

Zum 1. Juli 2025 steigt er auf 1 076,86 Euro. Damit kommt erstmals seit zwei Jahren wieder eine merkliche Entlastung für rund vier Millionen Leistungsbezieher, die neben der Hinterbliebenenrente eigenes Einkommen erzielen.

Weniger Lohn heißt nicht automatisch mehr

Die Einkommensanrechnung folgt einer scheinbar einfachen Formel, doch sie besitzt eine Tücke: Die Rentenerhöhung infolge geringeren Verdienstes ist – prozentual gesehen – stets kleiner als der reale Nettolohnverlust.

Weil nur 40 Prozent des über dem Freibetrag liegenden Einkommens auf die Rente angerechnet werden, bleibt die verbleibende Differenz vollständig verloren.

Ein Rechenbeispiel aus der Beratungspraxis verdeutlicht den Effekt. Eine Witwe verdient netto 1 500 Euro und erhält eine Witwenrente von nominal 1 000 Euro. Nach Abzug des Freibetrags werden 423,14 Euro ihres Einkommens angerechnet; davon mindern 40 Prozent – also 169,26 Euro – die Rente.

Ausgezahlt werden mithin 830,74 Euro. Ihr monatliches Gesamteinkommen beläuft sich auf 2 330,74 Euro.

Reduziert dieselbe Person ihre Arbeitszeit so, dass nur noch 1 200 Euro netto fließen, sieht das Ergebnis zunächst attraktiv aus.

Nun liegen lediglich 123,14 Euro über dem Freibetrag; 49,26 Euro davon kürzen die Rente, sodass 950,74 Euro ausbezahlt werden. Die Rente steigt also um runde 120 Euro, während das Erwerbseinkommen um 300 Euro sinkt. Unter dem Strich gehen 180 Euro verloren. Der anfängliche „Gewinn“ erweist sich als Trugschluss.

Freibetragserhöhung 2025: Wichtige, aber begrenzte Entlastung
Die bevorstehende Anhebung des Freibetrags mildert diese Verluste, beseitigt sie aber nicht vollständig.

Wichtig: Selbst mit 1 076,86 Euro bleiben die 40 Prozent Anrechnungsquote unverändert.

Wer deutlich oberhalb des Freibetrags verdient, verliert bei einer Jobkürzung weiterhin mehr Nettolohn als die Rente wettmacht. Nur in seltenen Konstellationen – etwa knapp oberhalb des Freibetrags – kann das Pendel zugunsten der Hinterbliebenen ausschlagen.

Auch Kinderfreibeträge, die pro waisenberechtigtem Kind den Grundfreibetrag um aktuell 220,19 Euro erhöhen, ändern lediglich die Höhe der Schwelle, nicht aber das Prinzip.

Steuer- und Sozialversicherungsfolgen nicht vergessen

Hinzu kommt eine zweite Ebene: Sinkt das Erwerbseinkommen, verringern sich zugleich Ansprüche in anderen Systemen – von der späteren eigenen Altersrente bis hin zu eventuellen Krankengeld– oder Arbeitslosengeld-Bemessungen. Umgekehrt kann eine teilweise Steuererstattung eintreten, wenn die Progression fällt. Die Nettoeffekte sind individuell und erfordern eine ganzheitliche Betrachtung.

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Handlungsoption für Betroffene

Vor jeder Reduzierung der Arbeitszeit empfiehlt sich eine präzise Modellrechnung, die sämtliche Parameter einbezieht: aktueller und zukünftiger Freibetrag, Brutto-/Nettoeffekt, Steuerklasse, Sozialabgaben und eventuelle Kinderzuschläge.

Die Deutsche Rentenversicherung stellt auf Anfrage eine Prognoseberechnung zur Verfügung; unabhängige Rentenberaterinnen und Rentenberater können individuelle Szenarien durchspielen. Erst wenn das Gesamtbild vorliegt, lassen sich fundierte Entscheidungen treffen.

Wer die Arbeitszeit dennoch vermindern möchte, sollte den Schritt nicht allein am Geldbeutel messen.

Familiäre Verpflichtungen, gesundheitliche Gründe oder der Wunsch nach mehr Freizeit können gute Motive sein, bewusst ein geringeres Gesamteinkommen zu akzeptieren. Wichtig ist nur, die finanzielle Dimension vorher zu kennen, statt hinterher von einer Lücke überrascht zu werden.

Rechnung „weniger arbeiten = mehr Witwenrente“ stimmt rechnerisch, aber nicht ökonomisch

Die Rechnung „weniger arbeiten = mehr Witwenrente“ stimmt rechnerisch, aber nicht ökonomisch. Weil das Anrechnungsmodell nur 40 Prozent des über dem Freibetrag liegenden Einkommens auf die Rente durchschlägt, bleibt der überwiegende Teil eines gekürzten Lohns unersetzbar.

Mit der Freibetragserhöhung ab 1. Juli 2025 verbessert sich die Situation zwar leicht, doch das Grundproblem bleibt bestehen. Wer nicht nur Zeit, sondern auch Geld sparen will, muss die Zahlen sorgfältig durchgehen – sonst führt der gut gemeinte Schritt in die berüchtigte „Anrechnungsfalle“.