Welche Angebote gibt es für Menschen mit Behinderung?

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Menschen mit Behinderung sollen in allen Lebensbereichen selbstbestimmt teilhaben können. Rechtliche Grundlage ist vor allem das Neunte Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX), das Leistungen zur medizinischen, beruflichen und sozialen Teilhabe bündelt und seit dem Bundesteilhabegesetz systematisch weiterentwickelt wurde.

Für Kinder ist die Frühförderung als sogenannte „Komplexleistung“ aus medizinisch-therapeutischen und heilpädagogischen Maßnahmen verankert – ab Geburt bis zur Einschulung.

Unabhängige Beratung vor Ort

Weil Zuständigkeiten oft verzahnt sind, beginnt Teilhabe in der Praxis fast immer mit guter Beratung. Eine zentrale, kostenlose Anlaufstelle ist die Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (EUTB).

Sie berät Menschen mit (drohender) Behinderung sowie Angehörige trägerunabhängig – häufig mit Peer-Beraterinnen und -Beratern – und verweist passgenau zu Leistungen und Kostenträgern.

Daneben bündeln Pflegestützpunkte der Pflege- und Krankenkassen die Beratung zu Pflege, Unterstützung im Alltag und Antragswegen und koordinieren regionale Hilfen.

Früh gefördert, besser beteiligt: Angebote für Kinder und Familien

Früh erkennen, gezielt helfen: Interdisziplinäre Frühförderstellen kombinieren medizinische Therapien mit heilpädagogischer Begleitung, mobil oder ambulant. Die Komplexleistung soll Doppelstrukturen vermeiden und Familien entlasten. Je nach Bedarf werden weitere Hilfen ergänzt – von Assistenzleistungen über Hilfsmittel bis zu familienentlastenden Diensten.

Lernen und Studieren: Nachteilsausgleiche und Barrierefreiheit

In Schule und Hochschule sichern Nachteilsausgleiche faire Bedingungen – etwa angepasste Prüfungsformate, verlängerte Bearbeitungszeiten oder unterstützende Technik.

Studierende mit Behinderungen haben einen gesetzlich verankerten Anspruch darauf; der Ausgleich dient nicht der Leistungsreduktion, sondern der chancengerechten Erbringung derselben Leistung. Hochschulen sind verpflichtet, angemessene Vorkehrungen zu treffen. Beratungsstellen der Studierendenwerke begleiten die Antragstellung.

Arbeit und Ausbildung: Wege in Beschäftigung

Wer (wieder) arbeiten will, erhält Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben – von beruflicher Orientierung über Qualifizierung und technische Arbeitshilfen bis zu Betrieblicher Eingliederung.

Zuständig ist häufig die Bundesagentur für Arbeit; seit 1. Januar 2025 liegen für erwerbsfähige Leistungsberechtigte im SGB II, sofern die BA der zuständige Rehaträger ist, Förderentscheidung und Finanzierung nicht mehr bei den Jobcentern, sondern bei den Agenturen für Arbeit. Das soll Verfahren vereinfachen und beschleunigen.

Eine wichtige Brücke in reguläre Beschäftigung ist das „Budget für Arbeit“. Es ermöglicht, statt einer Tätigkeit in der Werkstatt einen sozialversicherungspflichtigen Job auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aufzunehmen; Kern ist ein Lohnkostenzuschuss an Arbeitgeber und die Finanzierung notwendiger Anleitung und Begleitung am Arbeitsplatz. Ergänzend gibt es das Budget für Ausbildung, das betriebliche Ausbildungspfade öffnet.

Zusätzlichen Rahmen setzen das Schwerbehindertenrecht im Betrieb und die Inklusionsämter: Arbeitgeber ab 20 Arbeitsplätzen müssen eine Mindestquote schwerbehinderter Beschäftigter erfüllen; wer sie unterschreitet, zahlt eine gestaffelte Ausgleichsabgabe, deren Sätze 2025 angehoben wurden.

Kündigungen schwerbehinderter Beschäftigter bedürfen grundsätzlich der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts – ein wichtiger Schutz für Menschen mit einer Behinderung.

Mobilität und Alltagsunterstützung: Vom ÖPNV bis Hilfsmittel

Teilhabe braucht Bewegung. Schwerbehinderte Menschen können – je nach Merkzeichen im Ausweis – den öffentlichen Personennahverkehr unentgeltlich nutzen; die Rechtsgrundlage regelt Voraussetzungen und die erforderliche Wertmarke.

Für Schwerbehinderte mit dem Merkzeichen „B“ fahren Begleitpersonen im Nah- und häufig auch im Fernverkehr kostenfrei mit. Parallel sorgt das Hilfsmittelverzeichnis der gesetzlichen Krankenversicherung dafür, dass notwendige Produkte – vom Rollstuhl bis zum Bildschirmlesegerät – systematisch erfasst sind und grundsätzlich verordnungsfähig bleiben.

Wohnen und Selbstständigkeit: Barrierearm zu Hause

Wer die eigene Wohnung barriereärmer umbauen will, kann auf Förderkredite der KfW zurückgreifen; maßgeblich ist das Programm „Altersgerecht Umbauen“ (159).

Zuschüsse aus dem Programm 455-B wurden in den vergangenen Jahren immer wieder aufgelegt, stehen 2025 allerdings nicht als Bundeszuschuss zur Verfügung; vielerorts helfen daher ergänzend Landes- oder Kommunalprogramme. Individuelle Wohnassistenz kann – je nach Bedarfslage – über Eingliederungshilfe oder Pflegeversicherung abgesichert werden.

Pflege und persönliche Assistenz: Leistungen, die mitwachsen

Wenn zusätzlich Pflegebedarf besteht, greifen Leistungen der Pflegeversicherung – zu Hause, teilstationär oder stationär.

Zum 1. Januar 2025 sind die Leistungsbeträge um 4,5 Prozent gestiegen; seit 1. Juli 2025 gibt es zudem einen gemeinsamen Jahresbetrag für Verhinderungs- und Kurzzeitpflege, um Entlastungsangebote flexibler zu nutzen. Pflegeberatung bietet Orientierung, die Pflegestützpunkte koordinieren lokale Hilfen und unterstützen bei Anträgen.

Digitale und wirtschaftliche Teilhabe: Barrierefreiheit wird Pflicht
Mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) gilt seit dem 28. Juni 2025: Bestimmte Produkte und Dienstleistungen des privaten Markts – etwa Betriebssysteme, Selbstbedienungsterminals, E-Commerce, Telekommunikations- und Bankdienste – müssen barrierefrei ausgestaltet sein.

Das Gesetz setzt den European Accessibility Act in deutsches Recht um und stärkt den Zugang zu digitalen Angeboten, die für Alltag, Bildung, Arbeit und Konsum zunehmend unverzichtbar sind.

Finanzen und Rechtsansprüche: Entlastungen gezielt nutzen

Steuerlich unterstützt der Behinderten-Pauschbetrag nach § 33b EStG die Deckung behinderungsbedingter Mehraufwendungen; seine Höhe richtet sich nach dem Grad der Behinderung, für bestimmte Konstellationen bestehen erhöhte Pauschbeträge. Pflegepersonen und Pflegegrade sind ebenfalls in der Norm berücksichtigt; die aktuellen Hinweise des Bundesfinanzministeriums liefern Details für das Veranlagungsjahr 2025.

So kommt man ins Handeln: Der praktische erste Schritt

Wer erstmals Leistungen braucht oder bestehende Hilfen neu ordnen will, fährt gut mit einer Doppelstrategie: eine EUTB-Beratung für den Überblick und Wegweiser durch das Reha- und Teilhaberecht; dazu – bei Pflegebedarf – ein Termin im Pflegestützpunkt vor Ort, um konkrete Unterstützungssettings zu planen und Anträge sauber aufzusetzen.

Bei beruflichen Zielen lohnt der direkte Kontakt mit der Bundesagentur für Arbeit zur Teilhabe am Arbeitsleben; Reha-Themen übernehmen – je nach Erwerbsbiografie – auch die Deutsche Rentenversicherung oder andere Rehaträger

Zunächst muss der Grad der Behinderung (GdB) durch das zuständige Versorgungsamt festgestellt werden. Eine Behinderung im rechtlichen Sinne liegt ab einem GdB von mindestens 20 vor. Von einer Schwerbehinderung spricht man bei einem GdB von 50 oder mehr.

Liegt der GdB zwischen 30 und 40, kann auf Antrag die Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen erfolgen, sofern ansonsten ein geeigneter Arbeitsplatz nicht erlangt oder gehalten werden kann.

Der Antrag erfolgt schriftlich beim Versorgungsamt – häufig auch online möglich. Nach übermittelten medizinischen Befunden entscheidet der ärztliche Dienst und erteilt einen entsprechenden Bescheid. Erst nach Feststellung (GdB ≥ 50) kann der Schwerbehindertenausweis ausgestellt werden.

Alles auf einem Blick: Welche Angebote können schwerbehinderte Menschen in Anspruch nehmen

Steuerliche Nachteilsausgleiche – schon ab GdB 20

Bereits ab einem GdB von 20 kann der sogenannte Behinderten-Pauschbetrag in der Einkommensteuer geltend gemacht werden. Die Summe ist gestaffelt und reicht von 384 € bei GdB 20 bis zu 2 840 € bei GdB 100; Menschen mit Hilflosigkeit oder Blindheit erhalten sogar bis zu 7 400 €.

Rechte und Vergünstigungen im Alltag – ab GdB 30 bis 50

  • Mit einem GdB von 30 bis 40 ist auf Antrag eine Gleichstellung mit Schwerbehinderten möglich – über die Agentur für Arbeit. Dies eröffnet Zugang zu bestimmten arbeitsrechtlichen Nachteilsausgleichen.

Schwerbehindertenausweis und Nachteilsausgleiche – ab GdB 50

Ab einem GdB von 50 erhält man auf Antrag den Schwerbehindertenausweis. Dieser dient als Nachweis für diverse Rechte und Vergünstigungen.

Mobilität (ÖPNV, BahnCard etc.)

  • Mit einem Schwerbehindertenausweis und bestimmten Merkzeichen (G, aG, Bl, H, Gl) plus einem Beiblatt mit Wertmarke kann man im ÖPNV unentgeltlich mitfahren. Bei den Merkzeichen H, Bl oder TBl ist die Wertmarke kostenfrei; bei anderen kostet sie – ab 2025 – ca. 104 € jährlich (bzw. 53 € für sechs Monate), Ausnahmen bestehen bei Sozialleistungsbezug.
  • Mit einem GdB ≥ 70 besteht Anspruch auf ermäßigte BahnCards (BahnCard 25 und 50).
  • Das Merkzeichen B erlaubt die kostenfreie Mitnahme einer Begleitperson oder eines Hundes – im Nah- und Fernverkehr.

Arbeitsleben: Kündigungsschutz, Zusatzurlaub

  • Zusatzurlaub: Schwerbehinderte Arbeitnehmer:innen erhalten bei GdB ≥ 50 Anspruch auf fünf zusätzliche Urlaubstage (bei 5‑Tage‑Woche).
  • Besonderer Kündigungsschutz: Kündigungen erfordern die vorherige Zustimmung des Integrationsamts – auch bei GdB 30–40, wenn gleichgestellt.

Steuer- und Finanzvergünstigungen

  • Kfz‑Steuerermäßigung oder -befreiung: möglich bei bestimmten Merkzeichen („G“, „aG“, „H“) im Ausweis.
  • Ermäßigungen/Eingeständnisse im kulturellen Leben: ermäßigter Eintritt in Museen, Theater, Kino etc.
  • Kindergeld über 25 hinaus: für erwachsene Kinder mit Behinderung, wenn sie vor dem 25. Lebensjahr behindert wurden und den Lebensunterhalt nicht eigenständig sichern können.
  • Telefon- oder Rundfunkmöglichkeiten: Sozialtarife der Telekom oder Rundfunkgebühren-Ermäßigung möglich bei GdB ≥ 50.
  • Bausparvertrag vorzeitig kündigen: bei GdB ≥ 95 oder wenn der Partner GdB ≥ 95 hat, ohne Kostenabzüge möglich.

Weitere Nachteilsausgleiche & administrative Hilfen

  • Viele Angebote sind abhängig von Merkzeichen, nicht nur vom GdB. Nachteilsausgleiche ermöglichen Barrierefreiheit, Unterstützung im Alltag, techn. Hilfsmittel etc.

Landesbezogene Leistungen

  • Zum Beispiel das Gehörlosengeld: regional unterschiedlich, etwa in Berlin aktuell 176 €, in Sachsen 130 € bei GdB 100. Zuständig sind Sozial- oder Jugendämter bzw. Landschaftsverbände.

Beantragung im Überblick – Wie und wo?

  • GdB festlegen: Antrag beim örtlichen Versorgungsamt stellen (schriftlich oder online). Nach Prüfung erfolgt Bescheid und ggf. Ausstellung des Ausweises.
  • Schwerbehindertenausweis / Beiblatt: Nach GdB ≥ 50 kann der Ausweis beantragt werden; Beiblatt mit/ohne Wertmarke separat. Für Menschen mit Sozialleistungen oft gebührenfrei.
  • Gleichstellung: Bei GdB 30–40 erfolgt Gleichstellung auf Antrag bei der Agentur für Arbeit.
  • Sozialsteuerliche Vergünstigungen: Pauschbeträge in der Steuererklärung über Lohnsteuerkarte oder Steuerformular geltend machen (GdB-Bescheid vorlegen).
  • Regionale Spezialleistungen: z. B. Gehörlosengeld – bei zuständigen Ämtern (Sozialamt, Landschaftsverbände) beantragen.

Fazit

Die Teilhabeangebote in Deutschland sind fein abgestuft und eng an den Grad der Behinderung ge-knüpft. Bereits ab einem GdB von 20 gibt es steuerliche Entlastung; ab GdB 30–40 kann eine Gleich-stellung Vieles erleichtern. Ab GdB 50 öffnen sich umfassende Rechte – von Mobilität bis Beruf und Alltagsvergünstigungen.
Wer systematisch vorgehen möchte, sollte:
1. Beim Versorgungsamt GdB feststellen lassen.
2. Schwerbehindertenausweis und ggf. Beiblatt beantragen.
3. Steuerliche Pauschbeträge geltend machen.
4. Gleichstellung beantragen, wenn relevant.
5. Regionale Beratung nutzen – insbesondere bei speziellen Leistungen wie Gehörlosengeld.
Gezielte Beratung durch EUTB, Pflegestützpunkte oder Behindertenbeauftragte vor Ort kann helfen, individuell passende Unterstützungswege zu finden.