Politiker und bestimmte Medien behaupten unentwegt, Leistungsberechtigte beim Bürgergeld seien “faul” und bräuchten nur Druck, um zu arbeiten. Dieses Märchen leugnet, dass sehr viele Menschen Bürgergeld beziehen, die zwar grundsätzlich als erwerbsfähig gelten, aber große gesundheitliche Probleme haben.
Inhaltsverzeichnis
Bürgergeld und Erwerbsfähigkeit
Voraussetzung für das Bürgergeld ist es, erwerbsfähig zu sein und dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen. Wer als nicht erwerbsfähig eingestuft ist, fällt deswegen unter Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch XII, also Grundsicherung oder Sozialhilfe.
Die Erwerbsminderungsrente
Für einen Anspruch auf volle Erwerbsminderungsrente müssen drei Kriterien erfüllt sein: Erstens fünf Jahre Wartezeit in der Rentenversicherung sowie zweitens in den letzten fünf Jahren durchgehend gezahlte Pflichtbeiträge und drittens eine Arbeitsfähigkeit von weniger als drei Stunden pro Tag.
Wer unter den gleichen Bedingungen weniger als sechs, aber mehr als drei Stunden arbeiten kann, hat Anspruch auf eine teilweise Erwerbsminderungsrente.
Voraussetzung ist auch, dass Maßnahmen wie Reha oder angepasste Arbeitsmodelle nicht zum Erfolg führten.
Bürgergeld und Erwerbsminderung
Wer unter volle Erwerbsminderung fällt, hat keinen Anspruch auf ergänzendes Bürgergeld. Im Sinne des Bürgergeldes wird dieser Mensch als nicht erwerbsfähig eingestuft. Bei Bedarf können grundsätzlich Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch XII (Sozialhilfe) bezogen werden.
Anders sieht es aus bei der teilweisen Erwerbsminderungsrente. Die Betroffenen können nicht nur rund doppelt so lange pro Tag arbeiten wie voll Erwerbsgeminderte, sondern ihre Rente ist auch wesentlich niedriger.
Die Rente soll einen Ausgleich schaffen für die Arbeit, die die Betroffenen nicht leisten können und zählt nicht für die Stunden, die teilweise Erwerbsgeminderte tätig sein könnten.
Beim Bürgergeld sind teilweise Erwerbsgeminderte als erwerbsfähig eingestuft. Sie können und müssen häufig Bürgergeld beanspruchen und sind ebenso wie andere Leistungsberechtigte verpflichtet, sich darum zu kümmern, in Arbeit zu kommen.
Kaum vermittelbar
In der Realität sieht diese Möglichkeit zu arbeiten allerdings düster aus. Teilweise Erwerbsgeminderte leiden unter schweren Krankheiten wie Arthrosen oder versteiften Wirbelsäulen, Herzleiden oder Krebs.
Sie können nicht nur weniger als sechs Stunden pro Tag arbeiten, sondern sind bei der Arbeit sehr häufig auch kaum belastbar.
Mehr als ein Drittel der Erwerbsgeminderten leiden unter psychischen Erkrankungen. Dazu gehören wiederkehrende Depressionen, Anpassungsstörungen und Schmerzen ohne körperliche Ursache.
Lesen Sie auch:
– Erwerbsminderungsrente: Das sind die Fangfragen der Gutachter
Ein Spießrutenlauf
Teilweise Erwerbsgeminderte, deren mickrige Rente nicht zum Leben reicht und die keine Arbeit finden, müssen Bürgergeld beziehen. Für viele wird der Behördenwirrwarr zu einem Alptraum.
Die unterschiedlichen Forderungen von Rentenversicherung und Jobcenter können sie kaum erfüllen. Zudem greift das Jobcenter bei ihnen ebenso hart durch wie bei Gesunden, und sehr schnell werden Menschen, die wegen psychischen Problemen oder körperlichen Einschränkungen erwerbsgemindert sind, sanktioniert.
Kranke sollen sich verhalten wie Gesunde
Schnell wird ihnen unterstellt, ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen zu sein. Da sie als erwerbsfähig gelten, wird von ihnen erwartet, dass sie sich verhalten, als seien sie kerngesund – körperlich wie seelisch. Das sind sie aber nicht und können sich nicht so verhalten.
Sinnlose Maßnahmen
Viele teilweise Erwerbsgeminderte, die zusätzlich Bürgergeld beziehen, werden vom Jobcenter sinnlose Maßnahmen gesteckt. Echte Stellenangebote gibt es für diese Betroffenen nicht, und in der Statistik macht es sich gut, wenn die Bürgergeld-Bezieher irgendwie untergebracht sind.
Die Erwerbsgeminderten, die sowieso alle Hände voll zu tun haben, ihren schwierigen Alltag als Kranke zu organisieren, müssen sich in solchen Fällen durch überflüssige Beschäftigungen quälen, bei denen die Betroffenen meist wissen, dass sie überflüssig sind.
Die Arbeitsmarktrente
Einen Ausweg bietet die Arbeitsmarktrente. Zeigt sich, dass teilweisen Erwerbsgeminderten der Arbeitsmarkt verschlossen ist, lässt sich eine Arbeitsmarktrente beziehen.
Das bedeutet, die teilweise Erwerbsminderungsrente wird in eine volle umgewandelt, ohne dass sich der gesundheitliche Zustand verschlechtert hätte. Sie dient dann als Ausgleich dafür, dass die Betroffenen nicht in Arbeit vermittelbar sind.
Was sind die Bedingungen?
Eine Arbeitsmarktrente setzt voraus, dass die Betroffenen erstens eine teilweise Erwerbsminderungsrente beziehen und zweitens keine Erwerbsarbeit haben. Zudem müssen drittens Bemühungen, eine Teilzeitstelle zu finden, nachgewiesen erfolglos gewesen sein.
Generell prüft die Rentenversicherung automatisch, ob Sie nach einem halben Jahr Anspruch auf die Arbeitsmarktrente haben. Beziehen Sie eine teilweise Erwerbsminderungsrente und haben über ein halbes Jahr ohne Erfolg eine halbe Stelle gesucht? Dann sollten Sie bei der Rentenversicherung auf eine Arbeitsmarktrente drängen, falls die Versicherung nicht selbst aktiv wird.
Für viele teilweise Erwerbsgeminderte im Bürgergeld-Bezug bedeutet das eine Erleichterung.
Arbeitsmarktrente bei vergeblicher Jobsuche
Dieses Umwandeln der Rente nach einem halben Jahr ist eine interne Praxis der Rentenkasse. Außerdem gilt gesetzlich: Schaffen es weder die Bundesagentur für Arbeit noch die Rentenversicherung, einen Versicherten innerhalb eines Jahres nach Rentenantragstellung in eine geeignete Arbeit zu bringen, dann gilt der Arbeitsmarkt als verschlossen.
Kurz gesagt: Spätestens nach einem Jahr teilweiser Erwerbsminderungsrente ohne Aussicht auf einen Teilzeitjob haben Sie einen Anspruch auf Arbeitsmarktrente.
Anspruch auf Bürgergeld?
Gerichtsfest ist folgendes: Wer eine Arbeitsmarktrente vom Rentenversicherungsträger bezieht hat bei Vorliegen der sonsttigen Voraussetzungen einen Anspruch auf Bürgergeld, weil er oder sie nicht medizinisch voll erwerbsgemindert ist.