Verfassungsbeschwerde: Hartz IV für EU-Bürger

Lesedauer 2 Minuten

Verfassungsbeschwerde soll „Hartz IV“ für EU-Bürger sichern

15.10.2013

Das deutsche Sozialrecht sieht vor, dass EU-Bürger, die sich in Deutschland zur Arbeitssuche aufhalten keine „Hartz IV“ Leistungen beziehen dürfen. Ob diese Gesetzeslage verfassungs- und europarechtskonform ist, ist seit langem sehr umstritten. In zahlreichen Eilverfahren dazu hat die Mehrzahl der Sozialgerichte erhebliche Zweifel an der Europarechtmäßigkeit dieser Regelung geäußert und daher vorläufig Leistungen bewilligt, bis eine endgültige Klärung in den jeweiligen Klageverfahren erfolgen kann. Als erstes hat nun das LSG NRW am 11. Oktober 2013 in einem Urteil entschieden, dass der Ausschluss von EU-Bürgern für Sozialleistungen rechtswidrig ist. Daneben sind Revisionen beim BSG anhängig, um eine grundsätzliche Klärungen zu dieser Frage herbeizuführen.

Da Klageverfahren bei Sozialgerichten wegen Überlastung der Gerichte oft Jahre dauern, sind die Betroffenen auf Eilverfahren bei den Sozialgerichten angewiesen. Angesichts der sehr umstrittenen Rechtslage, der überwiegenden Ansicht, dass ein Leistungsausschluss für EU­Bürger europarechtswidrig ist und dass das BVerfG klargestellt hat, dass der Anspruch auf eine Sicherung des Existenzminimums ein Menschenrecht ist, führen die Sozialgerichte im Eilverfahren eine sog. Folgenabwägung durch. Dabei wird das Interesse am Überleben der Betroffenen gegen das Interesse des Staates auf Ausschluss dieser Betroffenen von Sozialleistungen abgewogen. Diese Abwägung führt dann dazu, dass Leistungen vorläufig, zunächst als Darlehen, bewilligt werden.

Der 29. Senat des LSG Berlin-Brandenburg weicht seit längerem stark von der allgemeinen Praxis ab. So verweigert er bereits eine Folgenabwägung und stellt sich auf den Standpunkt, der Ausschluss von EU-Bürgern von „Hartz IV“ Leistungen sei nicht zu beanstanden und die Betroffenen könnten ja ihre Hilfsbedürftigkeit durch Ausreise in ihr Heimatland beenden. „Eine solche ‚Geht doch nach Hause!‘ Argumentation ist eines unabhängigen Gerichts unwürdig“, sagt Rechtsanwalt Michael Wittich, der gegen eine Entscheidung des 29. Senats nun Verfassungsbeschwerde erhoben hat. In diesem Fall wurde einer Spanierin, die seit 2010 in Berlin lebt, die Bewilligung von „Hartz IV“ verwehrt. „Wenn ein Landessozialgericht sich weigert, das Kernstück des Eilrechtsschutzes – nämlich die Folgenabwägung – anzuwenden, dann ist der verfassungsmäßig gebotene effektive Rechtsschutz nicht mehr gewahrt.“, sagt Rechtsanwalt Wittich weiter.

In Berlin-Brandenburg gleicht der Rechtsschutz in diesen Angelegenheiten einer Lotterie. Die verschiedenen Senate beim Landessozialgericht vertreten verschiedene Ansichten, so dass der Erfolg eines Rechtsmittels in erster Linie davon abhängt, bei welchem Senat die Betroffenen landen. Der Republikanische Anwaltsverein (RAV) und die Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ) verurteilt diese Praxis, die Rechtsunsicherheit schafft und die EU-Bürgerschaft entwertet. Insbesondere die extrem restriktive Rechtsprechung des 29. Senats des LSG Berlin-Brandenburg sei nicht hinnehmbar. (pm)

Bild: Tony Hegewald / pixelio.de